Die durch Einbürgerung erworbene deuschte Staatsangehörigkeit geht bei Wiederbeantragung der ausländischen Staatsangehörigkeit nur im Fall unfreiwilliger Antragstellung nicht verloren. Die Beweislast für die Unfreiwilligkeit trägt der Betroffene.

Nach § 12 Abs. 1 S. 1 PassG darf die örtlich zuständige Passbehörde (§ 19 Abs. 1 PassG) den Reisepass einziehen, wenn dieser ungültig ist. Die Ungültigkeit folgt daraus, dass der deutsche Reisepass nach dem PassG erforderliche Angaben enthält, die unzutreffend sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG). Nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 PassG ist die Staatsangehörigkeit des Passinhabers in den Pass aufzunehmen. Diese ist im hier streitbefangenen Reisepass des Klägers mit deutsch angegeben. Dies ist unzutreffend, da der Kläger seit dem 16.04.2001 wieder ausschließlich über die türkische Staatsangehörigkeit verfügte und die deutsche Staatsangehörigkeit noch nicht wiedererlangt hat.
Zwar hat der ursprünglich türkische Kläger am 28.02.2000 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Am Folgetage hat er – wozu er sich zuvor verpflichtet hatte – deswegen die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben. Bereits am 16.04.2001 hat er diese jedoch durch Beschluss des türkischen Ministerrates wiedererlangt. Dies wird durch mehrere Dokumente belegt und ist zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig. Eines Einbürgerungsbescheides bedarf es insoweit nicht, da nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsgesetz die Wirkung der Einbürgerungsentscheidung mit dem Datum der Entscheidung des Ministerrats eintritt 1. Auch macht die spätere nochmalige Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit im Jahr 2009 den vorherigen Wiedererwerb nicht rückwirkend ungeschehen. Selbst dann, wenn die ausländische Staatsangehörigkeit rückwirkend aufgegeben wird, lebt die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wieder auf, sondern ihr Verlust bleibt vom späteren Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit unberührt 2.
Es ist auch davon auszugehen, dass die Wiedereinbürgerung im Jahr 2001 aufgrund eines Antrags des Klägers im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG erfolgt ist.
Ein Antrag im Sinne des § 25 Abs. 1 StAG ist jede freie Willensbetätigung, die unmittelbar auf den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gerichtet ist 3. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Denn der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt aufgrund von Handlungen des Betroffenen ein, die auf einem selbstverantwortlichen und freien Willensentschluss gegründet sind 4. Er stellt damit keine grundgesetzlich verbotene Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit dar 5.
An der somit verfassungsrechtlich zu fordernden Freiwilligkeit der Antragstellung fehlt es grundsätzlich dann, wenn ein Betroffener die förmlich abgegebene Erklärung gar nicht abgeben wollte (§ 119 S. 1 BGB, offen in Bezug auf Willensmängel, da solche dort erkennbar nicht vorlagen, BVerwG, Urteil vom 21.05.1985, 1 C 12/84, Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr.5 35; BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11 11). Ein solches ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Antragsformular für eine Wiedereinbürgerung ohne Hinweis und ohne Erkennbarkeit für den Betroffenen zusammen mit einem Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit überreicht und in Verkennung seines Inhalts unterschrieben wurde 6.
Allerdings obliegen dem Betroffenen in staatsbürgerlichen Angelegenheiten gewisse Sorgfaltspflichten 7. Grundsätzlich ist deshalb zu verlangen, dass ein vorgelegtes Formular vor der Unterschrift durchgelesen und auf seinen Inhalt überprüft wird. Auch genügt es nicht, wenn ein Betroffener geltend macht, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auf Anregung der türkischen Behörden gestellt zu haben 8. Denn es kann von Einbürgerungsbewerbern in gesteigertem Maße erwartet werden, dass sie sich über die staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen einer sofort nach der Ausbürgerung beantragten Wiedereinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit informieren 9.
Für die Behauptung mangelnder Freiwilligkeit der Abgabe eines schriftlich gestellten Wiedereinbürgerungsantrags ist der Bürger beweispflichtig, nicht die Behörde.
Insoweit stehen dem Gericht als Erkenntnismittel lediglich die Aussagen des Klägers selbst sowie einige allgemein bekannte Umstände der damaligen Einbürgerungspraxis der Türkei zur Verfügung.
Auf Beweismittel aus der Sphäre des türkischen Generalkonsulats hat das Gericht keinen Zugriff. Nach Art. 44 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen sind Mitglieder eines konsularischen Postens nicht verpflichtet, Zeugenaussagen über Angelegenheiten zu machen, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen oder die darauf bezüglichen amtlichen Korrespondenzen und Schriftstücke vorzulegen. Sie sind auch berechtigt, die Aussage als Sachverständige über das Recht des Staates zu verweigern. Ausländische Behörden sind deshalb nur dann zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet, wenn – was im Hinblick auf die Türkei nicht der Fall ist – völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen 10. Entsprechend ist kein Fall bekannt, in dem ein türkisches Konsulat in Deutschland die Umstände der Wiedereinbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen durch Zeugenaussagen oder Vorlage von Originalen oder Kopien der maßgeblichen Antragsformulare konkretisiert hätte 11.
Da somit die Aufklärung der maßgeblichen Vorgänge, die zudem lange zurückliegen, weitgehend auf der Grundlage bloßen Klägervortrags erfolgen muss, gewinnt die Darlegungs- und Beweislast an Bedeutung. Zwar gilt allgemein der Grundsatz, dass für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Bürger beweispflichtig ist, für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in der Regel aber die Behörde die objektive Beweislast trägt 12. Deshalb wird auch vertreten, dass die materielle Beweislast für die Erweislichkeit der Freiwilligkeit der Antragstellung i.S. von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG bei der Behörde liegen soll 13. Insoweit ist die Beweislast aber umzukehren und vorrangig der Bürger hat die für die Unfreiwilligkeit eines schriftlich gestellten Wiedereinbürgerungsantrags sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen 14. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Die Möglichkeiten, eine innere Tatsache, wie es die Freiwilligkeit in ihrem Kern ist, zu beweisen, sind für die Gegenseite ohnehin beschränkt. Zudem ist davon auszugehen, dass die allermeisten in Deutschland eingebürgerten Türken ihren Antrag auf Wiedereinbürgerung in die Türkei bewusst und freiwillig – wenn seit dem Jahr 2000 häufig in Verkennung der Folgen für den Behalt der gerade erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit – gestellt haben, weil sie über beide Staatsangehörigkeiten verfügen wollten. Dies belegt die fortwährende politische Auseinandersetzung um die doppelte Staatsangehörigkeit. Eine wirklich unfreiwillige Antragstellung ist deshalb ein seltener Ausnahmefall, so dass hier die Regeln des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind. Dieser greift bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen, in denen ein gewisser Sachverhalt feststeht, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hinweist. Der Beweispflichtige braucht in diesen Fällen nur diesen Tatbestand darzutun. Es ist dann Sache desjenigen, der einen vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang des Geschehens behauptet, die ernstliche Möglichkeit eines solchen darzulegen, wobei eine bloße vage, nicht ernstliche Möglichkeit eines derart abweichenden Verlaufs den Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermag 15. Hat ein türkischer Staatsangehöriger jedoch greifbare Anhaltspunkte für einen irrtümlichen oder rechtswidrig aufgedrängten Staatsangehörigkeitserwerb geliefert, ist dies geeignet, den mit der Vorlage des türkischen Personenstandsregisterauszugs bewirkten Beweis des ersten Anscheins durch die ernsthafte Möglichkeit eines vom Regelfall abweichenden Geschehensablaufs im konkreten Fall zu entkräften. Die Führung eines vollen Beweises des Gegenteils ist nicht erforderlich. 16
Zwar verkennt das Gericht nicht, dass diese Beweislastumkehr in Einzelfällen bewirken kann, dass auch ein Bürger, der unwissentlich die Wiedereinführung in seiner Ursprungsstaatsangehörigkeit beantragt hat, hierdurch seine deutsche Staatsangehörigkeit wieder verliert, da ihm der Nachweis der Unfreiwilligkeit nicht gelingt. Dies begegnet aber keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Anforderungen an eine ausreichende Darlegung der Unfreiwilligkeit nicht unüberwindbar hoch angesetzt werden.
In Anwendung dieser Grundsätze ist nicht zu bezweifeln, dass der Kläger im türkischen Generalkonsulat einen förmlichen Wiedereinbürgerungsantrag unterzeichnet hat. Ob er damals – wenn, dann vermutlich ohne um die Folgen zu wissen – einen solchen Antrag stellen wollte, oder ob ihm – aus welchen Gründen auch immer – bei der Leistung seiner Unterschrift unter das entsprechende Antragsformular entgangen ist, welchen Inhalt der unterzeichnete Antrag hatte, lässt sich nicht aufklären. Es ist dem Kläger jedenfalls nicht gelungen, überzeugende Umstände dafür geltend zu machen, dass die Antragstellung unwissentlich und ungewollt erfolgt ist. Die verbleibenden Zweifel an der behaupteten Unfreiwilligkeit gehen damit zu seinen Lasten.
In objektiver Hinsicht stellt sich der damalige Geschehensablauf wie folgt dar:
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger im hier relevanten Zeitraum nur einmal – am 29.02.2000 – beim Generalkonsulat der Republik Türkei in Hamburg vorgesprochen hat. Grund für den Besuch war, dass er die Urkunde über seine bereits seit langem beantragte Ausbürgerung aus der türkischen Republik abholen wollte, da er diese noch den deutschen Behörden vorlegen musste.
In diesem Zusammenhang wurden dem Kläger mehrere – er berichtet mittlerweile von dreien – Formulare vorgelegt, die nach seinen Angaben bereits mit seinen Personalien ausgefüllt waren und die er lediglich zu unterzeichnen hatte.
Der Umstand, dass der Kläger nach der beantragten Ausbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit wieder erlangt hat, ist nur dadurch zu erklären, dass er neben den für die Ausbürgerung relevanten Formularen auch ein ihm am 29.02.2000 zugleich überreichtes Formular mit einem Wiedereinbürgerungsantrag unterzeichnet hat.
Dass die Wiedereinbürgerung von Amts wegen ohne Antrag des Klägers erfolgt ist, ist praktisch auszuschließen. Zuverlässige Quellen bestätigen ein solches Handeln der türkischen Konsulate nicht.
Praktisch auszuscheiden hat auch, dass allein eine einzige Unterschrift sowohl die Ausbürgerung als auch die Einbürgerung deckte, so dass die Stellung des Wiedereinbürgerungsantrags praktisch unvermeidlich war. Denn dann müssten praktisch alle Türken, die in jener Zeit ausgebürgert worden sind, hiernach auch wieder eingebürgert worden sein, was wiederum zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit geführt hätte. Dies ist aber nicht der Fall gewesen. In fünf Jahren (2000 – 2004) sollen 40.000 – 50.000 Türken einen Wiedereinbürgerungsantrag gestellt haben 17. Bei damals knapp 800.000 Einbürgerungen und einem Anteil der Türken von etwa ¼ sind in jenem Zeitraum jedoch rund 200.000 türkische Staatsangehörige deutsche Staatsangehörige worden 18, also die vierfache Menge an Personen. Deshalb ist auch hier anzunehmen, dass der Kläger einen separaten förmlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung unterzeichnet hat. Dies entspricht auch seinem Vortrag, drei Unterschriften unter drei Formulare geleistet zu haben.
Dass ihm unaufgefordert ein gesonderter Wiedereinbürgerungsantrag vorgelegt wurde, erscheint allerdings nicht als zweifelhaft. Seit jeher ist ein erhebliches Interesse vieler türkischer Staatsangehöriger zu erkennen, neben der deutschen ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu behalten. Allein dies rechtfertigte es damals aus türkischer Sicht, das Wiedereinbürgerungsformular auch ohne besonderen Antrag anzubieten. Hinzu kam das große Interesse des türkischen Staates, seine Staatsangehörigen nicht gänzlich zu verlieren. So ist bekannt geworden, dass ausgebürgerten türkischen Staatsangehörigen sogar von offizieller Seite geholfen wurde, den Wiedererwerb ihrer Staatsangehörigkeit den deutschen Behörden gegenüber zu verschleiern. Zu diesem Zweck sollen türkische Meldebestätigungen herausgegeben worden sein, die die doppelte Staatsangehörigkeit nicht auswiesen, um den Betroffenen in Deutschland keine Probleme zu bereiten 19. Auch der Personenstandsregisterauszug vom 26.09.2008 mag so zu erklären sein, wenn es sich nicht sogar um eine vom Kläger selbst beschaffte oder gefertigte Fälschung handelt.
Bereits Anfang der Neunzigerjahre hatte sich in den Auslandsvertretungen die Praxis herausgebildet, den Ausbürgerungsantragstellern sofort die Wiedereinbürgerung anzubieten. In "Der Spiegel" 24/1993, Seite 26 heißt es zur damaligen Praxis der türkischen Konsulate: "Im türkischen Generalkonsulat in Hamburg gibt es zwei Büroräume, in denen Türken nacheinander vorsprechen, wenn sie Deutsche werden wollen. Im ersten Zimmer beantragen sie ihre Ausbürgerung aus der Türkei. Im zweiten beantragen sie kurz danach ihre Wiedereinbürgerung. …. In dem anderen Zimmer, zweiter Schritt, wird wenig später dieser Grundsatz praktisch außer Kraft gesetzt. Der Bewerber, inzwischen Deutscher geworden, beantwortet 12 Fragen zur Person und zahlt eine Bearbeitungsgebühr von etwa 40 DM. Dann erhält der deutsche Ex-Türke seinen Pass mit dem Halbmond zurück." Später dürfte sich dann die Praxis durchgesetzt haben, das Wiedereinbürgerungsformular zugleich mit dem Austrittsformular zu überreichen. So heißt es im Internet in Bezug auf einen Fall aus dem September 1999 wörtlich: "Leider wurde mir beim Türkischen Konsulat in Hamburg während ich die Bescheinigung vom ausstritt aus der Türkischen Staatsangehörigkeit in Empfang nahm , ohne mein wissen während ich die Papiere unterschrieb die ich zum Erhalt des Entlassungurkunde Schreibens bekam ein ANTRAG auf Wiedereinbürgerung in die TÜRKISCHE untergejubelt, ohne mich zu informieren bzw zu sagen das ich die Deutsche automatisch verliere habe ich unwissend diesen Antrag unterschrieben." Ähnliches schilderte auch die in der vergleichbaren Sache 15 K 1628/09 zur mündlichen Verhandlung geladene Dolmetscherin in Bezug auf ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, die etwa zur gleichen Zeit erfolgte. Auch in der Literatur 6 ist diese Praxis, die sich auch in den von Klägerseite eingereichten Unterlagen 20 wiederfindet, bekannt. Danach soll es bis in das Jahr 2004 Praxis der türkischen Konsulate gewesen sein, dem Betroffenen bei der Antragstellung auf Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit mit dem Entlassungsantragsformular zugleich ein Antragsformular auf Wiedererwerb ohne ausdrückliche Belehrung über die doppelte Antragstellung zur Unterschrift vorzulegen. Aus der Rechtsprechung ist aus einer Reihe von Fällen betreffend das türkische Generalkonsulat in Nürnberg bekannt, dass manche Betroffene bei Abholung ihrer Entlassungspapiere sogar überredet wurden, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu stellen 21.
Zwar macht der Kläger geltend, den Inhalt der unterschriebenen Erklärung nicht ausreichend verstanden und keinesfalls die Wiedereinbürgerung gewollt zu haben. Dass dies so war, kann zwar nicht sicher ausgeschlossen werden. Den Kläger ist es jedoch nicht gelungen, überzeugende Umstände dafür geltend zu machen, dass er den Wiedereinbürgerungsantrag tatsächlich irrtümlich unterschrieben hat.
Die Umstände des Falles sprechen eher dagegen als dafür. Dass der Kläger gar nicht gemerkt hat, dass er mehrere verschiedene Formulare unterschreiben sollte, muss bereits deshalb ausscheiden, weil er sich noch heute daran erinnert, dass ihm drei Antragsformulare vorgelegt worden sind. Auch spricht viel dafür, dass er den Inhalt der Formulare hinreichend verstehen konnte. Der Kläger ist in einem türkischen Elternhaus aufgewachsen und spricht immer noch mit seinen Eltern türkisch. Das bedeutet, dass er in Türkisch jedenfalls schon in der Familie einen guten Gebrauchswortschatz erworben haben muss. Hierzu gehören zwar nicht auch juristische und insbesondere staatsrechtliche Fachbegriffe. Der Kläger hat jedoch einen Realschulabschluss erworben, hiernach einige Zeit die Fremdsprachenschule besucht, spricht mehrere Sprachen, hat eine betriebliche Ausbildung im Hotel abgeschlossen und verschiedene große Reisen unternommen. Um die Bedeutung amtlicher Formularanträge musste er deshalb wissen. Auch in der mündlichen Verhandlung machte er einen eloquenten und informierten Eindruck. Dies spricht dafür, dass er auch schon damals im Türkischen einen entsprechenden Wortschatz besaß und den Inhalt des Wiedereinbürgerungsantrags jedenfalls in Grundzügen zu verstehen vermochte, zumal die türkische Sprache seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben wird und aufgrund ihrer phonetischen Schreibweise leicht zu lesen ist. Soweit hinsichtlich einzelner Begriffe Zweifel und Unklarheiten blieben, war von ihm – einem damals 26jährigen, nicht ungebildeten und selbstbewussten Mann – zu erwarten, dass er bei den Mitarbeitern des Konsulats um Erläuterung bittet, welchen genauen Inhalt und Zweck das zu unterschreibende Schriftstück hat. Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das türkische Generalkonsulat lange Wartezeiten hat, mit seiner Kundschaft nicht immer pfleglich umgeht und auch die Bereitschaft zu besonderen Hilfestellungen oftmals fehlt, wäre eine solche Frage doch möglich gewesen und voraussichtlich auch zutreffend beantwortet worden. Da der Kläger von den deutschen Behörden ausdrücklich darauf hingewiesen war, dass die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den Erwerb und die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit ist, musste ihm die besondere Relevanz der auf dem Konsulat abgegebenen Erklärungen bewusst sein und zu angemessener Sorgfalt veranlassen. Sollte der Kläger allerdings damals keine weitere Mühe darauf verwendet haben, sich mit dem Inhalt der ihm vorgelegten Schriftstücke zu befassen, und diese "blind" unterschrieben haben, steht dies einer wirksamen Antragstellung nicht entgegen. So gibt es auch kein Anfechtungsrecht wegen Irrtums, wenn eine Urkunde, obwohl dies möglich ist, nicht durchgelesen und trotzdem unterschrieben wird 22. Auch auf Unfreiwilligkeit kann sich der Betroffene deshalb für diesen Fall nicht berufen.
Auch aus den weiteren Umständen des Falles ergeben sich keine brauchbaren Hinweise darauf, dass dem Kläger ein Wiedereinbürgerungsantrag unbemerkt untergeschoben sein könnte. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Kläger damals keinesfalls als Doppelstaatler auch die türkische Staatsangehörigkeit wieder erwerben wollte. Warum er gerne Deutscher werden wollte, hat er in der mündlichen Verhandlung einleuchtend erklärt. Sein damaliger Wunsch, an Wahlen teilnehmen zu können und die Vorteile einer deutschen Staatsangehörigkeit für Auslandsreisen zu nutzen, steht einer gleichzeitigen türkischen Staatsangehörigkeit nicht entgegen. Insbesondere hatte sich der Kläger nicht in einer Weise vom türkischen Staat abgewandt, die zuverlässig gegen den Wunsch nach einer doppelten Staatsangehörigkeit spricht. Ein solches wäre zum Beispiel bei in der Türkei politisch Verfolgten oder Systemkritikern der Fall. Zu diesen gehört der Kläger ersichtlich nicht. Auch seine Familienangehörigen haben bis heute die türkische Staatsangehörigkeit, so dass für ihn nichts dagegen sprach, diese neben der deutschen Staatsangehörigkeit zu besitzen. Der Umstand, dass durch die Wiedereinbürgerung kraft Gesetzes der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt, war damals – nur 2 Monate nach Inkrafttreten des neuen Rechts – in türkischen Kreisen noch weitgehend unbekannt, wie die erhebliche Zahl der Türken belegt, die damals ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer Wiedereinbürgerung eingebüßt haben.
Entsprechend stellt sich die rechtliche Situation hinsichtlich der Einziehung des Personalausweises dar.
Aufgrund der unzutreffenden Angabe der Staatsangehörigkeit des Klägers war sein Personalausweis nach § 7 Nr. 3 des bei Erlass des Widerspruchs noch anzuwendenden HmbPersAuswG ungültig. Nach § 9 HmbPersAuswG durfte die zuständige Ausweisbehörde diesen einziehen.
Auch ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Ausweisbehörde sowohl die Einziehung des Reisepasses als auch des Personalausweises verfügt hat.
Das der Passbehörde in § 12 Abs. 1 PassG eingeräumte Ermessen ist bereits in dem Sinne intendiert, dass im Fall der unzutreffenden Eintragung der deutschen Staatsangehörigkeit der Pass wegen des erheblichen öffentlichen Interesses an seiner Richtigkeit im Regelfall eingezogen werden soll. Eine solche Ermessenslenkung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, weil § 12 Abs. 3 PassG als Ausnahme vom Grundsatz des Absatzes 1 bestimmt, dass von der Einziehung abgesehen werden kann, wenn der Mangel, der sie rechtfertigt, geheilt oder fortgefallen ist 23. Solche Gründe, ausnahmsweise von der Einziehung abzusehen, lagen hier nicht vor. Insbesondere hat der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit inzwischen nicht wiedererlangt, schon aus zeitlichen Gründen nicht durch die Fiktion des § 3 Abs. 2 StAG und auch nicht durch Wiedereinbürgerung nach nunmehr tatsächlich endgültiger Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit.
Das von der Ausweisbehörde auch geprüfte Argument des Vertrauensschutzes kann in Fällen wie diesem praktisch keine Bedeutung entfalten, weil der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit hier ohnehin nur dann eintreten kann, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt dieser Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen konnte und deshalb – bei Anwendung angemessener Sorgfalt – auch um diese wissen musste 24. Ein schützenswertes Vertrauen kann deshalb gar nicht begründet worden sein. Ein solches kann auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 3 Abs. 2 StAG folgen, da nach dieser Vorschrift Vertrauensschutz ausdrücklich erst nach einer Zeitspanne von 12 Jahren gewährt werden soll.
Auch steht der hier verfügten Einziehung des deutschen Passes nicht entgegen, dass als milderes Mittel die bloße Sicherstellung in Betracht zu ziehen war. Hier war es nicht unverhältnismäßig, sofort die einschneidendere Maßnahme der Einziehung zu ergreifen, da es schon zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung keinen vernünftigen Zweifeln unterlag, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. Deshalb rechtfertigten nicht bloß Tatsachen die Annahme, dass Gründe für eine Einziehung vorliegen (so die Voraussetzung der Sicherstellung nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 PassG), sondern diese Gründe erschienen als dermaßen gesichert, dass sofort eine Einziehung ausgesprochen werden durfte.
Entsprechend stellt sich die Ermessensentscheidung in Bezug auf die ebenfalls im Ermessen der Ausweisbehörde stehende Einziehung des Personalausweises des Klägers dar.
Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 12. Juni 2014 – 15 K 3358/10
- ausführlich dazu: VG München, Urteil vom 05.10.2009, M 25 K 08.207319[↩]
- vgl. Marx, GK-StAR § 25 Rn. 43, 46[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22.06.1990, NJW 1990, 2193 f. 32; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11 12; entsprechend Abschnitt 25.01.3 Abs. 1 S. 1 der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13.12 2000 (StAR-VwV) ebenso wie Abschnitt 25.01.1. Abs. 2 S. 5 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 17.04.2009[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22.06.1990, NJW 1990, 2193 f. 32[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 24.05.2006, 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24 ff. 50[↩]
- Marx, GK-StAR § 25 Rn. 62[↩][↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff. 38[↩]
- BVerfG a.a.O.[↩]
- VG München, Urteil vom 05.10.2009, M 25 K 08.207320[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 22.05.2008, 5 B 27/08 7; BayVGH, Beschluss vom 22.09.2008, 5 ZB 07.1031 11; Beschluss vom 28.01.2009, 5 ZB 07.2080 10[↩]
- vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.09.2008, 5 ZB 07.24310, Beschluss vom 22.09.2008, 5 ZB 07.1031 10, Beschluss vom 28.01.2009, 5 ZB 07.2080 10; VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008, W 6 K 07.102820[↩]
- m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.09.2010, 5 C 20/09, NVwZ-RR 2011, 212 ff. 24; Beschluss vom 16.01.1992, 9 B 192/91, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 46 14[↩]
- Marx, GK-StAR § 25 Rn. 57 m.w.N.[↩]
- so bereits VG Hamburg, Urteil vom 03.04.2014, 15 K 1628/09[↩]
- vgl. BayVGH, Urteil vom 22.03.1999, 11 B 96.2183, DVBl.199, 1218 f. 42[↩]
- so auch BayVGH, Beschluss vom 28.01.2009, 5 ZB 07.2080 11[↩]
- BT-Drs. 15, 4496 S. 1 f.; und BT-Drs. 15/5006, S. 3[↩]
- vgl. zu den Zahlen Worbs, Die Einbürgerung von Ausländern in Deutschland, Working Paper 17 des Forschungsgruppe des Bundesamtes, 2. Aufl.2008, Internet[↩]
- BT-Drs. 15/4496 S. 1 f., spricht davon, dass laut Focus die türkischen Gouverneursämter im September 2001 angewiesen worden seien, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu manipulieren und den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu verschleiern[↩]
- Yücel, Mal eben ausgebürgert, S. 2[↩]
- VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008 – W 6 K 07.102820; BayVGH, Urteil vom 14.11.2007 – 5 B 05.2958 2, Urteil vom 14.11.2007 – 5 B 05.3039 3; und Urteil vom 14.11.2007 – 5 B 06.2769 2 f.; VG Darmstadt, Urteil vom 03.11.2006 – 5 E 1807/05 (3), 5 E 1807/05 1 f.; VG Ansbach, Urteil vom 14.12.2005 – AN 15 K 05.02076 2 ff.[↩]
- vgl. m.w.N. z.B. Franzen, jurisPK-BGB Band 1, 6. Aufl.2012, § 119 BGB Rn. 25[↩]
- vgl. m.w.N. BayVGH, Beschluss vom 05.12.2008 – 5 CS 08.2869 9[↩]
- vgl. m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.09.2010 – 5 C 20/09 14[↩]