Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ist als Gericht im Sinne des Unionsrechts unabhängig. Die alleinige Beteiligung der Legislative und der Exekutive bei der Ernennung eines Richters begründet nicht die Abhängigkeit eines Richters.

So hat der Gerichtshof der Europäischen Union in dem hier vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen entschieden und angeführt, dass die Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht Wiesbaden zur Begründung seiner Zweifel darlegt, für sich genommen nicht ausreichen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Gericht nicht unabhängig ist.
Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen zu einem anderen Sachverhalt ist vom Verwaltungsgericht Wiesbaden eine weitere Frage zu seiner eigenen Situation an den Gerichtshof herangetragen worden. Da es Zweifel an seiner eigenen Unabhängigkeit und somit an seiner Eigenschaft als Gericht hat, das zur Vorlage an den Gerichtshof berechtigt ist, hat das Verwaltungsgericht den Gerichtshof auch zu diesem Aspekt befragt.
Zur Urteilsbegründung hat der Gerichtshof der Europäischen Union erklärt, dass es unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens die geäußerten Zweifel in Bezug auf seine eigene Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive prüft.
Diese Zweifel beruhen darauf, dass erstens die Richter vom Justizministerium ernannt und befördert würden, sich zweitens die Beurteilung der Richter durch das Justizministerium nach denselben Bestimmungen richte, die für Beamte gälten, drittens die personenbezogenen Daten und die dienstlichen Kontaktdaten der Richter vom Justizministerium verwaltet würden, das damit Zugriff auf diese Daten habe, viertens Beamte zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs als Richter auf Zeit ernannt werden dürften und fünftens das Justizministerium die externe und die interne Organisation der Gerichte vorgebe, die Personalzuweisung, die Kommunikationsmittel und die EDV-Ausstattung der Gerichte bestimme und auch über Auslandsdienstreisen der Richter entscheide.
Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausgeführt, dass er unter Heranziehung seiner Rechtsprechung zum Begriff „Gericht“im Sinne des Unionsrechts und insbesondere zur Unabhängigkeit, die erforderlich ist, um als solches angesehen zu werden, feststellt, dass die Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht Wiesbaden zur Begründung seiner Zweifel darlegt, für sich genommen nicht ausreichen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Gericht nicht unabhängig ist.
Insbesondere ist der Gerichtshof der Europäischen Union der Auffassung, dass der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, nicht geeignet ist, eine Abhängigkeit dieses Richters ihnen gegenüber zu schaffen oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt ist und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliegt.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 9. Juli 2020 – C-272/19