Ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig im Herkunftsmitgliedstaat seiner Tochter und seiner Ehefrau aufhält, während diese sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben, kann sich nach einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auf deren Unionsbürgerschaft berufen, um sein Aufenthaltsrecht auf das Unionsrecht zu stützen.

Anlass für diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs war ein Fall aus Ulm: Herr Iida, ein japanischer Staatsangehöriger, ist seit 1998 mit einer Deutschen verheiratet und lebt seit 2005 in Ulm (Deutschland), wo er einer festen Beschäftigung nachgeht. Ihre Tochter wurde 2004 in den Vereinigten Staaten geboren und besitzt die deutsche, die japanische und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Seit 2008 leben die Ehegatten, ohne geschieden zu sein, de facto getrennt, da sich die Ehefrau mit ihrer Tochter in Wien (Österreich) niedergelassen hat. Sie üben das Sorgerecht für ihre Tochter gemeinsam aus. Herr Iida besucht seine Tochter an einem Wochenende pro Monat in Wien, und sie verbringt die Ferien meist bei ihrem Vater in Ulm. Herr Iida hat im Rahmen der Familienzusammenführung und, seit dem Wegzug seiner Familie, aufgrund seiner entgeltlichen Tätigkeit ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten. Da die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Ermessen steht, hat Herr Iida eine Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines Unionsbürgers auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 über die Unionsbürgerschaft1 beantragt, die ihm von den deutschen Behörden verweigert wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg richtete daraufhin in dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union und fragt den Europäischen Gerichtshof, ob das Unionsrecht es einem Drittstaatsangehörigen, der das Sorgerecht über sein Kind – das ein Unionsbürger ist – ausübt, zur Aufrechterhaltung der regelmäßigen persönlichen Beziehungen erlaubt, im Herkunftsmitgliedstaat des Kindes (Deutschland) zu bleiben, wenn sich das Kind in einem anderen Mitgliedstaat (Österreich) niedergelassen hat.
Der Gerichtshof der Europäischen Union führt zunächst aus, dass Herrn Iida auf Antrag und unabhängig von seiner familiären Situation grundsätzlich die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie 2003/109 über Drittstaatsangehörige2 zuerkannt werden kann. Er hält sich nämlich seit über fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland auf und verfügt offenbar über Einkünfte, die für seinen eigenen Lebensunterhalt ausreichen, und über eine Krankenversicherung.
Sodann stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass Herr Iida kein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger eines Unionsbürgers auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 beanspruchen kann. Denn ein solches Recht setzt nach der Richtlinie voraus, dass dem Verwandten in gerader aufsteigender Linie von dem Kind Unterhalt gewährt wird. Herr Iida erfüllt diese Voraussetzung jedoch nicht, da im Gegenteil er seiner Tochter Unterhalt gewährt.
Im Übrigen kann Herr Iida zwar als Familienangehöriger seiner Ehefrau, von der er getrennt lebt, aber nicht geschieden ist, angesehen werden, doch erfüllt er nicht die in der Richtlinie vorgesehene Voraussetzung, sie in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, begleitet zu haben oder ihr dorthin nachgezogen zu sein.
Der Gerichtshof der Europäischen Union fügt hinzu, dass Herr Iida ein Aufenthaltsrecht nicht unter Verweis auf die Unionsbürgerschaft seiner Tochter oder seiner Ehefrau unmittelbar auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stützen kann. Denn in Anbetracht der Umstände dieser Rechtssache würde, wenn Herrn Iida ein von ihrem Unionsbürgerstatus abgeleitetes Aufenthaltsrecht versagt würde, weder ihnen der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit ihrem Status verbundenen Rechte verwehrt noch die Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass sich Herr Iida stets im Einklang mit dem nationalen Recht in Deutschland aufgehalten hat, ohne dass das Fehlen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts seine Tochter oder seine Ehefrau davon abgehalten hätte, ihr Recht auf Freizügigkeit durch einen Umzug nach Österreich auszuüben. Außerdem kann Herrn Iida auch nach ihrem Umzug ein Aufenthaltsrecht in Deutschland auf einer anderen Rechtsgrundlage erteilt werden, ohne dass es einer Berufung auf die Unionsbürgerschaft seiner Tochter und seiner Ehefrau bedarf.
Herr Iida kann sich schließlich auch nicht auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen, die ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und bestimmte Rechte des Kindes vorsieht. Da Herr Iida nämlich nicht die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 erfüllt und kein Aufenthaltsrecht als langfristig Aufenthaltsberechtigter im Sinne der Richtlinie 2003/109 beantragt hat, weist seine Situation keinen Anknüpfungspunkt zum Unionsrecht auf, so dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht anwendbar ist.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 8. November 2012 – C-40/11 [Yoshikazu Iida / Stadt Ulm]
- Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl.EU L 158, S. 77, berichtigt im ABl.EU 2004 L 229, S. 35[↩]
- Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ABl.EU 2004, L 16, S. 44[↩]