Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes1.

Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier i.V.m. § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsgebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.
Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen2. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen3. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“ werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit4. Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen5.
Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind6. Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung – jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vielfach als unzulässig angesehen wird7 – nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags abgestellt wird8 oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden9.
Gemessen an diesen Maßstäben hielt der im Rahmen der hier entschiedenen Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg10 einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens eine zum maßgeblichen Zeitpunkt schwierige Tatsachenfrage „durchentschieden“. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage kam es entscheidend auf die Rechtslage im Juli 2016 an. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer alles ihm Mögliche getan, damit über seinen Prozesskostenhilfeantrag entschieden werden konnte. Dass das Verwaltungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt über seinen Antrag entschieden hat, kann nicht zu seinen Lasten gehen. Die entscheidungserhebliche Frage, ob unverfolgt ausgereisten Syrern bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Folter bei Rückkehrerbefragungen aufgrund einer durch das syrische Regime angenommenen oppositionellen Gesinnung droht und ihnen deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, war zum maßgeblichen Zeitpunkt im Juli 2016 jedenfalls durch das Hamburgische Oberverwaltungsgericht als das dem Verwaltungsgericht Hamburg übergeordnete Gericht nicht geklärt. Erst mit Urteil vom 11.01.2018 – 1 Bf 81/17.A – hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die Verfolgung syrischer Staatsangehöriger wegen illegaler Ausreise, Stellung eines Asylantrags und Verbleib im westlichen Ausland verneint. Diese Frage war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch in der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt. Die Obergerichte gaben entsprechenden Klagen zu diesem Zeitpunkt sogar eher statt11. Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis war darüber hinaus sehr uneinheitlich. Die vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss zitierten obergerichtlichen Entscheidungen, welche die Flüchtlingszuerkennung für unverfolgt ausgereiste Syrer verneinen, sind nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt im Juli 2016 ergangen und konnten nicht zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden. Die Versagung von Prozesskostenhilfe hat den Beschwerdeführer als Unbemittelten schlechter gestellt als einen Bemittelten und ihm die Chance genommen, seine Auffassung in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten. Die Durchführung erstinstanzlicher Verfahren zur Sache war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch noch erforderlich, um dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht Gelegenheit zu geben, sich mit der entscheidungserheblichen Frage auseinanderzusetzen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss der des Zweitens vom 23. Oktober 2018 – 2 BvR 1050/17
- vgl. BVerfGE 78, 104, 117 f.; 81, 347, 357 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347, 357 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347, 357; vgl. ausführlich Bergner/Pernice, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S. 241, 258 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347, 359[↩]
- vgl. BVerfGK 2, 279, 282; 8, 213, 217[↩]
- vgl. in jeweils unterschiedlichen Konstellationen BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003 – 1 BvR 1152/02, NJW 2003, S. 3190, 3191; Beschluss vom 13.07.2005 – 1 BvR 175/05, NJW 2005, S. 3489; BVerfGK 8, 213, 216 ff.; Beschluss vom 08.07.2016 – 2 BvR 2231/13, NJW-RR 2016, S. 1264, 1266; Linke, NVwZ 2003, S. 421, 423 ff.[↩]
- vgl. kritisch und m.w.N. Neumann/Schacks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl.2018, § 166 Rn. 29[↩]
- vgl. BayVGH, Beschluss vom 07.04.2017 – 7 ZB 16.498, Rn. 1; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.06.2012 – 12 PA 69/12, Rn. 2[↩]
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2012 – 18 E 1326/11, Rn.19; OVG Bremen, Beschluss vom 02.09.2014 – 2 PA 93/14, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a. A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.07.2004 – 2 PA 1176/04, DÖV 2005, S. 34[↩]
- VG Hamburg, Beschluss vom 09.03.2017 – 16 A 7372/16[↩]
- vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13[↩]