Die Weisung der Aufsichtsbehörde – und die Haftungsverlagerung

Weisungen einer übergeordneten Körperschaft, die der nachgeordneten Verwaltung zur gleichmäßigen Ausführung behördlicher Aufgaben allgemein eine bestimmte Gesetzesauslegung vorschreiben, führen – anders als die Weisung in einem konkreten Einzelfall – nicht zu einer Haftungsverlagerung von der nachgeordneten auf die übergeordnete Behörde. Die übergeordnete Körperschaft kann sich aber dann nicht auf ihre fehlende Passivlegitimation berufen, wenn sie auf eine entsprechende Nachfrage des Geschädigten diesem gegenüber den Eindruck erweckt, es sei vom Vorliegen einer haftungsverlagernden Weisung auszugehen.

Die Weisung der Aufsichtsbehörde – und die Haftungsverlagerung

Allerdings teilt der Bundesgerichtshof nicht die Auffassung der Vorinstanz, die davon ausgegangen ist, der Erlass vom 31.03.2006 habe eine Weisung dargestellt, die eine Haftungsverlagerung von den Kommunen als örtliche Ordnungsbehörden auf das beklagte Land bewirkt habe1.

Eine allgemeine Weisung der obersten Aufsichtsbehörde (§ 7 Abs. 3 OGB NW) gemäß § 9 Abs. 2 Buchst. a OGB NW, die die gleichmäßige Durchführung der ordnungsbehördlichen Aufgaben im Gefolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.20062 durch die örtlichen Stellen gewährleisten sollte, stellt keine Weisung dar, die eine Haftungsverlagerung von den Kommunen als örtliche Ordnungsbehörden auf das beklagte Land bewirkt habe1.

Der Erlass, der sich im vorliegenden Fall zudem unmittelbar nur an die Bezirksregierungen als Aufsichtsbehörden (§ 7 Abs. 2 OBG NW) richtete, regelte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts landesweit das weitere Vorgehen der Ordnungsbehörden im Zusammenhang mit dem Verbot privat veranstalteter Sportwetten aufgrund des seinerzeit geltenden Lotteriestaatsvertrags. Er bezog sich dabei auf eine unbestimmte Vielzahl von Einzelfällen, denen zudem unterschiedliche Sachverhalte zugrunde lagen. Der Bundesgerichtshof nimmt wegen der Einzelheiten auf seine Ausführungen in dem in der Parallelsache – III ZR 333/13 ergangenen Urteil vom selben Tag Bezug. Eine derartige allgemeine Weisung löst keine Haftungsverlagerung von der ausführenden auf die anweisende Behörde aus3.

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Jedoch ist es aufgrund der besonderen Umstände dem beklagten Land Nordrhein-Westfalen ausnahmsweise versagt, sich auf die fehlende Passivlegitimation zu berufen. Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat auf Anfrage der Bevollmächtigten der Klägerin ausdrücklich bestätigt, dass der Erlass vom 31.03.2006 Weisungscharakter für die Ordnungsbehörden in Nordrhein-Westfalen gehabt habe. Zwar sagt allein die Tatsache, dass die Weisung einer höheren Behörde vorliegt, über die Haftungsverlagerung auf ihren Rechtsträger nichts aus, da eine allgemeine Weisung, wie ausgeführt, dies nicht bewirkt. Im vorliegenden Sachverhalt ist jedoch der Zusammenhang zu beachten, in dem das Ministerium seine dem Wortlaut nach mehrdeutige Erklärung abgegeben hat. Die Anfrage der Bevollmächtigten der Klägerin diente für das Land ersichtlich dazu, die Frage der Passivlegitimation der Stadt und des Landes für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu klären. Vor diesem Hintergrund mussten die Vertreter der Kläger das Schreiben des Innenministeriums dahin verstehen, dass das Land Nordrhein-Westfalen das Vorliegen einer sich auf einen überschaubaren Kreis bestimmter Personen beziehenden, die Haftung auf ihn verlagernden Weisung4 bestätigte. Hieran muss sich das Land festhalten lassen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. April 2015 – III ZR 204/13

  1. vgl. dazu z.B. BGH, Urteile vom 21.05.1959 – III ZR 7/58, NJW 1959, 1629, 1630; vom 16.12 1976 – III ZR 3/74, NJW 1977, 713; vom 07.02.1985 – III ZR 212/83, NVwZ 1985, 682, 683; und vom 11.12 2008 – III ZR 216/07, VersR 2009, 930 Rn. 5[][]
  2. BVerfGE 115, 276[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 28.06.1971 – III ZR 111/68, NJW 1971, 1699, 1700; und vom 12.12 1974 – III ZR 76/70, BGHZ 63, 319, 324[]
  4. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.12 1974 – III ZR 76/70, BGHZ 63, 319, 324[]
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