Aus dem assoziationsrechtlichen Gebot, die Rechtsstellung von selbstständig Erwerbstätigen aus der Türkei nicht zu verschlechtern, ergibt sich für diesen Personenkreis keine Befreiung von der Visumpflicht für die Einreise nach Deutschland.

Dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lag der Visumantrag eines türkischen Staatsangehörigen aus dem Jahr 2010 zugrunde, der als selbstständiger Unternehmer auf dem Gebiet der Software-Beratung tätig ist und seinen Geschäftssitz in Istanbul hat. Diese Firma hatte einen Dienstleistungsauftrag mit einer in Göteborg/Schweden ansässigen Firma zu dem Zweck geschlossen, für ein deutsches Softwareunternehmen bei deren Kunden in Duisburg, „detaillierte technische Spezifikationen“ auszuarbeiten.
Im April 2010 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Einladung der Duisburger Firma bei dem deutschen Generalkonsulat in Istanbul die Erteilung eines Schengen-Visums zu Geschäftsreisen für den Zeitraum von 45 Tagen, was das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul ablehnte.
Gegen die Ablehnung dieses Antrages durch Bescheid des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul vom 27. April 2010 remonstrierte der Kläger. Er machte geltend, er dürfe nach Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei (ZP), das im Jahr 1973 in Deutschland in Kraft getreten ist, i.V.m. § 1 Nr. 1 DVAuslG 1965 visumfrei einreisen, um die genannten Dienstleistungen zu erbringen.
Im Remonstrationsbescheid teilte das Generalkonsulat dem Kläger mit, dass er nicht berechtigt sei, visumfrei zu Geschäftszwecken einzureisen, und wies den Antrag des Klägers auf Erteilung eines zustimmungsfreien Schengen-Visums zurück.
Das erstinstanzlich mit der daraufhin erhobenen Klage des Geschäftsmannes befasste Verwaltungsgericht Berlin hatte unter Abweisung der weitergehenden Klage festgestellt, dass die Ablehnung des Visums durch den Remonstrationsbescheid des Generalkonsulats rechtswidrig gewesen ist [1]. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und festgestellt, dass der Kläger berechtigt sei, unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts in der Türkei im Rahmen von Auftragsverhältnissen visumfrei für seine Firma mit Sitz in Istanbul zur Erbringung von Dienstleistungen an Personen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes einzureisen und sich zu diesem Zweck nicht länger als drei Monate in Deutschland aufzuhalten [2]. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin sei der Kläger aufgrund von Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll berechtigt, zur Ausübung der von ihm beabsichtigten Beratungstätigkeiten visumfrei einzureisen, befand das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Die bei Inkrafttreten des Verschlechterungsverbots des Art. 41 Abs.1 Zusatzprotokoll geltende Rechtslage habe vorgesehen, dass die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in Form eines Sichtvermerks von Ausländern einzuholen sei, die im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit ausüben wollten (§5 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG 1965). Gemäß § 2 Abs. 3 AuslG 1965 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG 1965 hätten Staatsangehörige der in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten, zu denen die Türkei seinerzeit gehört habe, keiner Aufenthaltserlaubnis bedurft, wenn sie sich nicht länger als drei Monate im Geltungsbereich des Ausländergesetzes aufhalten und keine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Es sei unstreitig, dass die vom Kläger beabsichtigten Dienstleistungen eine Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Bestimmungen darstellten. Der Kläger könne sich aber auf die Ausnahmedefinition der Nummer 15 der Verwaltungsvorschriften zu § 2 AuslG 1965 berufen, da diese Vorschrift ihren Anwendungsbereich nicht auf Arbeitnehmer eines ausländischen Unternehmens beschränkt habe, so dass auch eine entsprechende Tätigkeit des Unternehmers selbst erfasst gewesen sei.
Das Bundesverwaltungsgericht sah dies nun jedoch anders und entschied auf die Revision der Bundesrepublik, dass sich aus Artikel 41 Absatz 1 ZP zwar ein Verbot der Verschlechterung der Rechtsstellung für Erbringer von Dienstleistungen aus der Türkei ergibt. Im konkreten Fall liegt aber keine derartige Verschlechterung vor. Denn türkische Staatsangehörige bedurften schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verschlechterungsverbots im Jahr 1973 eines Visums, wenn die Einreise zum Zweck einer Erwerbstätigkeit erfolgte (§ 1 Absatz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 10.09.1965). Die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen – wie hier die Erarbeitung technischer Spezifikationen im Softwarebereich – fällt auch unter den Begriff der Erwerbstätigkeit. Etwas anderes galt nach der im Jahr 1973 maßgeblichen Rechtslage nur für die Dienstleistung durch Arbeitnehmer für ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei, nicht aber für Selbstständige.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Februar 2015 – 1 C 9.2014