Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren – und die SUP-Richtlinie

§ 13b BauGB ist mit Art. 3 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie) unvereinbar.

Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren – und die SUP-Richtlinie

Ein entsprechender Bebauungsplan darf nicht ohne Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB) und Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) erlassen werden. Die Vorschriften über das beschleunigte Verfahren nach § 13b Satz 1 i. V. m. § 13a BauGB tragen dieses Vorgehen nicht. § 13b BauGB ist unionsrechtswidrig und deswegen nicht anwendbar, weil er die Überplanung von Außenbereichsflächen auf der Grundlage einer unzulässigen Typisierung ohne Umweltprüfung zulässt.

Nach § 13b Satz 1 BauGB, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz) vom 14.06.20211 gilt § 13a BauGB bis zum Ablauf des 31.12.2022 entsprechend für Bebauungspläne mit einer Grundfläche im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 2 BauGB von weniger als 10 000 Quadratmetern, durch die die Zulässigkeit von Wohnnutzungen auf Flächen begründet wird, die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen. Durch den Verweis auf § 13a BauGB kann das nach dieser Vorschrift auf Flächen im Siedlungsbereich beschränkte beschleunigte Verfahren2 für die Überplanung von bestimmten Außenbereichsflächen nutzbar gemacht werden. Damit ist u. a. eine Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB) nicht erforderlich (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB), womit auch die Pflicht zur Erstellung eines Umweltberichts entfällt.

Diese Regelung wird den Anforderungen der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme3 – SUP-Richtlinie – nicht gerecht.

Weiterlesen:
Innenstadtrelevante Karnevalskostüme

Die SUP-Richtlinie verfolgt gemäß Art. 1 das Ziel, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden. Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie, dass die unter Art. 3 Abs. 2 bis 4 SUP-Richtlinie fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung nach Art. 4 bis 9 SUP-Richtlinie unterzogen werden. Während Art. 3 Abs. 2 SUP-Richtlinie Pläne und Programme zum einen anhand der UVP-Pflichtigkeit der damit ermöglichten Projekte (Art. 3 Abs. 2 Buchst. a SUP-Richtlinie) und zum anderen anhand der Erforderlichkeit einer Prüfung nach Maßgabe der FFH-Richtlinie (Art. 3 Abs. 2 Buchst. b SUP-Richtlinie) bezeichnet, die grundsätzlich einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen, ist gemäß dem Vorbehalt nach Art. 3 Abs. 3 SUP-Richtlinie eine Umweltprüfung bei Plänen und Programmen der vorgenannten Art, die lediglich die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen oder nur geringfügige Änderungen vorsehen, nur dann erforderlich, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Entsprechendes gilt nach Art. 3 Abs. 4 SUP-Richtlinie für andere Pläne und Programme. Sowohl bei Plänen und Programmen nach Art. 3 Abs. 3 als auch bei solchen nach Abs. 4 SUP-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten diese Entscheidung gemäß Art. 3 Abs. 5 Satz 1 SUP-Richtlinie entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination dieser beiden Ansätze zu treffen. Sie müssen in jedem Fall die einschlägigen Kriterien des Anhangs II berücksichtigen, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von der Richtlinie erfasst werden (Art. 3 Abs. 5 Satz 2 SUP-Richtlinie).

Weiterlesen:
Rechtswidriges Berufsausübungsverbot für den Seelotsen - und die Amtshaftung

Bei der Umsetzung dieser Vorgaben ist den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum eingeräumt. Dieses Ermessen ist jedoch eingeschränkt. In der Sache müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass sämtliche Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden4. Während demnach die Erreichung des in Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie normierten Ziels strikt vorgegeben ist, können die Mitgliedstaaten bei den Modalitäten, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, eine Auswahl unter den in der Richtlinie aufgezählten Varianten – Einzelfallprüfung, Artfestlegung oder Kombination von beiden – treffen. Wenn durch die in Art. 3 Abs. 5 SUP-Richtlinie genannten Mechanismen gewährleistet sein soll, dass kein Plan, der voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat, der Umweltprüfung entzogen wird5, sind für die Artfestlegung strenge Maßstäbe zu beachten. Diese sind nur dann gewahrt, wenn angesichts der nach Maßgabe der einschlägigen Kriterien nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 SUP-Richtlinie i. V. m. Anhang II der Richtlinie für die Art des Plans geltenden qualitativen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass erhebliche Umweltauswirkungen „a priori“, d. h. von vornherein, nicht eintreten werden6. Bei der Artfestlegung muss danach durch die – weite und umfassende – Umschreibung der Voraussetzungen gewährleistet sein, dass für jeden möglichen Einzelfall erhebliche Umweltauswirkungen durch den Plan ausgeschlossen sind7. Eine Artfestlegung, mit der das Ziel des Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie lediglich im Wege einer typisierenden bzw. pauschalierenden Betrachtungsweise, d. h. im Allgemeinen und regelhaft, aber zugleich verbunden mit der Hinnahme von Ausnahmen, erreicht wird, ist unzulänglich.

Weiterlesen:
Auslagenerstattung im einstweiligen Anordnungsverfahren - und der nicht begründete Antrag

Mit diesen Anforderungen ist § 13b BauGB nicht vereinbar. Die Rechtslage ist durch die vorstehend aufgezeigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinreichend geklärt (sog. acte éclairé), sodass es einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht bedarf8.

Der Gesetzgeber hat sich – abgesehen von der auf das Habitatrecht bezogenen Einzelfallprüfung nach § 13b Satz 1 i. V. m. § 13a Abs. 1 Satz 5 Alt. 1 BauGB – dafür entschieden, gemäß Art. 3 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 SUP-Richtlinie bestimmte Arten von Plänen festzulegen. Diese sind – neben dem zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift, der für die Beurteilung von Umweltauswirkungen von vornherein unbeachtlich ist – durch eine quantitative (Grundflächenbegrenzung) und zwei qualitative (Beschränkung auf Wohnnutzung sowie Anschluss der überplanten, im Außenbereich gelegenen Fläche an im Zusammenhang bebaute Ortsteile) Voraussetzungen gekennzeichnet. Das ist jedoch unzureichend. Denn bei den so umschriebenen Plänen können erhebliche Umweltauswirkungen nicht in jedem Fall – und im Übrigen, soweit ersichtlich, auch nicht in der Regel – ausgeschlossen werden. Der von § 13b BauGB ermöglichte Zugriff auf Außenbereichsflächen schließt auch bei einer flächenmäßig begrenzten Wohnbebauung in der Nachbarschaft zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil nicht aus, dass mittels des beschleunigten Verfahrens Bebauungspläne erlassen werden können, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben werden. Das gilt schon wegen der ganz unterschiedlichen bisherigen Nutzung der potenziell betroffenen Flächen und der Bandbreite ihrer ökologischen Wertigkeit (vgl. Anhang II der SUP-Richtlinie Nr. 1 Spiegelstrich 1, 3 und 4). So können etwa Wiesenflächen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen (z. B. Feuchtwiese, Magerwiese) Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten bieten und somit zur Artenvielfalt beitragen. Davon ist auch bei Streuobstwiesen und bei bewaldeten Flächen auszugehen, selbst wenn diese keinem besonderen naturschutzrechtlichen Schutzregime (vgl. § 20 Abs. 2 BNatSchG) unterliegen. Der Umstand, dass sich die überplanbaren Außenbereichsflächen an einen bebauten Ortsteil anschließen müssen, führt auf kein anderes Ergebnis. Das folgt schon daraus, dass die bereits vorhandene Bebauung nichts über die umweltrelevanten Eigenschaften der sich anschließenden Außenbereichsflächen aussagt. Auf eine vermeintliche Prägung durch die benachbarte Bebauung und einen damit einhergehenden Verlust der Schutzwürdigkeit kann nicht abgestellt werden. Zudem können gerade besonders schützenswerte Flächen im Außenbereich die Grenze für eine Siedlungstätigkeit markieren.

Weiterlesen:
Die Impfkosten für das Kindergartenpersonal

Anders als im Rahmen der von § 13a BauGB privilegierten Innenentwicklung9, lässt sich für eine ? wie von § 13b BauGB ermöglichte ? Außenentwicklung daher gerade keine Art von Plänen und Programmen definieren, die a priori voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat. Das gilt selbst dann, wenn es sich nur um eine „kleine Fläche“ i. S. v. Art. 3 Abs. 3 SUP-Richtlinie handelt. Damit kann offenbleiben, welche Anforderungen an die Erheblichkeit von Umweltauswirkungen von Plänen und Programmen zu stellen sind.

Die Kollision von nationalem mit Unionsrecht ist nach den Grundsätzen zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts10 aufzulösen. Bei einem Konflikt zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht ist es Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden11.

Eine hiernach vorrangige unionsrechtskonforme Auslegung des § 13b BauGB scheidet aus. Es ist nicht Sache des Bundesverwaltungsgerichts, eine eindeutige gesetzliche Regelung contra legem durch eine anderslautende zu ersetzen, um das gesetzgeberische Ziel einer Verfahrenserleichterung zu verwirklichen12.

Wegen der Unanwendbarkeit des § 13b BauGB geht der Verweis in Satz 1 auf § 13a BauGB ins Leere. Das gilt insgesamt und betrifft nicht nur § 13a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Das beschleunigte Verfahren zeichnet sich gerade durch den (nach § 13a Abs. 3 BauGB bekannt zu machenden) Verzicht auf eine Umweltprüfung aus (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB: „wird von der Umweltprüfung … abgesehen“). Die übrigen in § 13a Abs. 2 BauGB vorgesehenen verfahrens- und materiell-rechtlichen Modifikationen knüpfen daran als begleitende Regelungen an und sind Teil eines Vereinfachungs- und Beschleunigungskonzepts für Bebauungspläne der Innenentwicklung.

Weiterlesen:
Abschiebehaft - und die Prüfpflicht des Gerichts

Die Wahl des beschleunigten Verfahrens gemäß § 13b Satz 1 i. V. m. § 13a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB statt des gebotenen Regelverfahrens hat dazu geführt, dass es die Antragsgegnerin rechtswidrig unterlassen hat, eine Umweltprüfung im Sinne von § 2 Abs. 4 BauGB durchzuführen und nach § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB einen Umweltbericht zu erstellen, der als Teil der Begründung (§ 2a Satz 3 BauGB) nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit dem Entwurf öffentlich auszulegen und nach § 9 Abs. 8 BauGB der Begründung beizufügen ist. Hierin liegt ein gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlicher Verfahrensfehler, der nach § 4 Abs. 2 und 4 UmwRG auch von einem anerkannten Umweltverband gerügt werden kann.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2023 – 4 CN 3.22

  1. BGBl. I S. 1802[]
  2. vgl. BVerwG, Urteile vom 04.11.2015 – 4 CN 9.14, BVerwGE 153, 174 Rn. 22 ff. und zuletzt vom 25.04.2023 – 4 CN 5.21 15 ff., m. w. N.[]
  3. ABl. L 197 S. 30[]
  4. EuGH, Urteile vom 22.09.2011 – C-295/10 [ECLI:EU:C:2011:608], Rn. 46, 53; vom 10.09.2015 – C-473/14 [ECLI:EU:C:2015:582], Rn. 47; und vom 21.12.2016 – C-444/15 [ECLI:EU:C:2016:978], Rn. 53; siehe auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 08.09.2016 im Verfahren – C-444/15, Rn. 42[]
  5. EuGH, Urteil vom 22.09.2011 – C-295/10, Rn. 53[]
  6. EuGH, Urteil vom 18.04.2013 – C-463/11 [ECLI:EU:C:2013:247], Rn. 39[]
  7. vgl. auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 19.12.2012 – C-463/11, Rn. 51[]
  8. siehe zuletzt EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C-561/19 [ECLI:EU:C:2021:799], Consorzio Italian Management, Rn. 31 m. w. N.[]
  9. vgl. EuGH, Urteil vom 18.04.2013 – C-463/11, Rn. 39[]
  10. vgl. schon EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – C-6/64 [ECLI:EU:C:1964:66], Costa/E.N.E.L.[]
  11. EuGH, Urteile vom 18.03.2004 – C-8/02 [ECLI:EU:C:2004:161], Leichtle, Rn. 58; vom 13.07.2016 – C-187/15 [ECLI:EU:C:2016:550], Pöpperl, Rn. 43 ff. und zuletzt vom 24.07.2023 – C-107/23 [ECLI:EU:C:2023:606], PPU, Rn. 95[]
  12. zu den Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung vgl. EuGH, Urteile vom 24.01.2012 – C-282/10 [ECLI:EU:C:2012:33], Dominguez, Rn. 25; und vom 18.01.2022 – C-261/20 [ECLI:EU:C:2022:33], Thelen, Rn. 28[]
Weiterlesen:
NPD ins Bürgerhaus

Bildnachweis:

  • Bundesverwaltungsgericht: Robert Windisch