Kann ein Ausländer wegen Krankheit, Behinderung oder Alters nicht die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben, darf seinem Einbürgerungsbegehren nicht entgegengehalten werden, er habe es in der Vergangenheit versäumt, sich diese Kenntnisse anzueignen.

In dem jetzt vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschiedenen Rechtsstreit reiste die Klägerin, eine 1939 geborene iranische Staatsangehörige, im Jahr 1988 in das Bundesgebiet ein und wurde 1995 als Asylberechtigte anerkannt.2008 beantragte sie ihre Einbürgerung und gab unter Vorlage eines ärztlichen Attests an, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, die gesetzlich vorgeschriebenen deutschen Sprachkenntnisse zu erwerben. Das wurde durch eine amtsärztliche Untersuchung bestätigt. Die beklagte Stadt Bochum lehnte die Einbürgerung der Klägerin mit der Begründung ab, sie erfülle nicht die sprachlichen Anforderungen. Weil sie seit ihrer Einreise genügend Zeit gehabt habe, die erforderlichen Deutschkenntnisse zu erwerben, könne sie sich nun nicht darauf berufen, gegenwärtig nicht mehr Deutsch lernen zu können.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verpflichtete die Stadt Bochum zur Einbürgerung der Klägerin, da die Berücksichtigung etwaiger Versäumnisse in der Vergangenheit im Gesetz keine Stütze finde 1. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster ist dem gefolgt 2. Nach Ansicht des OVG Münster kommt es für die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG nur auf die gegenwärtigen Verhältnisse an. Ob der Ausländer den mangelnden Erwerb von Sprachkenntnissen durch unzureichende Bemühungen in der Vergangenheit zu vertreten habe, sei nach der Vorschrift nicht von Bedeutung. Dagegen wendet sich die Beklagte mit den Revisionen. Das Bundesverwaltungsgerichts hat diese Auffassung nun bestätigt und die Revision der Beklagten zurückgewiesen:
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG setzt die Einbürgerung voraus, dass ein Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Von dieser Voraussetzung wird nach dem im Jahr 2007 in das Gesetz eingefügten Absatz 6 der Vorschrift abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.
Für die Anwendung dieses Ausnahmetatbestands kommt es nach dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang nur auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag an. Ob der Ausländer in der Vergangenheit ausreichende Sprachkenntnisse hätte erwerben können, ist auch nach der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift ohne Bedeutung.
Zwar hat der Gesetzgeber die Sprachanforderungen bei der Einbürgerung im Laufe der Zeit kontinuierlich verschärft. Zugleich hat er aber im Änderungsgesetz von 2007 auch eine Ausnahmeregelung zugunsten von kranken oder behinderten Personen sowie Personen geschaffen, die diese Anforderungen aufgrund ihres Alters nicht mehr erfüllen können. Da die Klägerin mit Ausnahme des Spracherfordernisses alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt, die notwendigen Sprachkenntnisse aber krankheitsbedingt nicht mehr erwerben kann, ist hiervon abzusehen und die Klägerin einzubürgern.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Juni 2014 – 10 C 2.2014
- VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.01.2010 – 17 K 2215/09[↩]
- OVG NRW, Beschluss vom 22.01.2013 – 19 A 363/10[↩]