Beruhte der Aufenthalt eines Einbürgerungsbewerbers im Inland zeitweise auf einer Täuschung über seine Identität oder sonstige aufenthaltsrechtlich beachtliche Umstände, kommt es für den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 10 Abs. 1 StAG und die dabei rückblickend zu treffende Prognose maßgeblich darauf an, wie sich die Ausländerbehörde verhalten hätte, wenn sie von der Täuschung Kenntnis gehabt hätte (hypothetische ex ante-Prognose). Dabei ist bei anerkannten Flüchtlingen die Bindungswirkung des § 6 AsylG zu beachten.

Die Einbürgerung scheitert mithin nicht an einer Identitätstäuschung, wenn Ausländerbehörde hieraus keine Konsequenzen gezogen hat.
Die gegenteilige Annahme des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der Ausländer habe jedenfalls vor Offenlegung seiner wahren Identität keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet begründen können [1], verletzt Bundesrecht.
Maßgeblich für die Prüfung des mit der Verpflichtungsklage verfolgten Einbürgerungsanspruchs ist die gegenwärtige Rechtslage [2] und damit das Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG – in der aktuellen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (BMGuaÄndG 1) vom 11.10.2016 [3]. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Abs. 1 Satz 1 StAG oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn er die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG aufgezählten Voraussetzungen erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG vorliegt.
Zwischen den Beteiligten ist im hier vom Bundesverwaltungsgericht allein streitig, ob der Ausländer im – für die Beurteilung der Sachlage – maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, obwohl er nach seiner Einreise zunächst über seine Identität getäuscht und aufgrund dieser Täuschung – möglicherweise zu Unrecht – Flüchtlings- und Abschiebungsschutz und darauf aufbauend einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten hat.
Das Erfordernis eines rechtmäßig gewöhnlichen Inlandsaufenthalts entspricht inhaltlich der wortgleichen Formulierung der Vorgängerregelung in § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG [4]. Es enthält mit der Gewöhnlichkeit des Inlandsaufenthalts einerseits und der Rechtmäßigkeit dieses gewöhnlichen Aufenthalts andererseits zwei selbständige Tatbestandsvoraussetzungen [5].
Bei der Auslegung des im Staatsangehörigkeitsgesetz verwendeten Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an die Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) und die dazu ergangene Rechtsprechung angeknüpft werden [6]. Danach hat ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn er nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, so dass eine Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Das ist der Fall, wenn er hier nach den tatsächlichen Verhältnissen seinen Lebensmittelpunkt hat. Hierfür bedarf es mehr als der bloßen Anwesenheit des Betroffenen während einer bestimmten Zeit. Nicht erforderlich ist, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat; auch ein zeitlich befristeter Aufenthaltstitel und der bloße Verzicht auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen schließen einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht aus. Da die Rechtmäßigkeit von der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts zu unterscheiden ist, bedarf es für Letztere auch keiner förmlichen Zustimmung der Ausländerbehörde, sondern es genügt, dass diese unbeschadet ihrer rechtlichen Möglichkeiten davon Abstand nimmt, den Aufenthalt zu beenden, etwa weil sie eine Aufenthaltsbeendigung für unzumutbar oder undurchführbar hält [7].
Für die Feststellung, ob ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, bedarf es einer in die Zukunft gerichteten Prognose, bei der nicht nur die Vorstellungen, sondern auch die Möglichkeiten des Ausländers zu berücksichtigen sind. Denn es genügt nicht, dass er sich auf unabsehbare Zeit in Deutschland aufhalten will, er muss dazu auch die Möglichkeit haben. Daran fehlt es, wenn er nach den gegebenen Umständen nicht im Bundesgebiet bleiben kann, weil sein Aufenthalt in absehbarer Zeit beendet werden wird. Dies zu entscheiden und durchzusetzen ist Sache der Ausländerbehörde. Wenn nach den ausländerrechtlichen Vorschriften und den auf ihrer Grundlage getroffenen Anordnungen der Ausländerbehörde ein Ende des Aufenthalts abzusehen ist, ist auch im Staatsangehörigkeitsrecht die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts ausgeschlossen. Nimmt die Ausländerbehörde dagegen den Aufenthalt auf nicht absehbare Zeit hin, kommt ein dauernder Aufenthalt in Betracht [8]. Diese Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das für die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I die mit dem Aufenthalt verbundenen „Umstände“ im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) daraufhin würdigt, ob sie „erkennen lassen“, dass der Betreffende zukunftsoffen „bis auf weiteres“ am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet verweilen wird [9].
Einer vorausschauenden Prognose bedarf es auch dann, wenn der gewöhnliche Aufenthalt – wie hier – rückblickend für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zu ermitteln ist. Dabei bleiben spätere Entwicklungen unberücksichtigt. Entscheidungserhebliche Änderungen wirken sich daher erst vom Zeitpunkt der Änderung an auf die Begründung oder das Entfallen des gewöhnlichen Aufenthalts aus [10].
Beruht der Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet auf einer Täuschung der Behörden, etwa über seine Identität, Herkunft oder sonstige für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet beachtliche Umstände, führt dies – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht automatisch zu einer Verneinung des gewöhnlichen Aufenthalts, bis der Ausländerbehörde alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt sind. Auch die bloße Angreifbarkeit eines durch Täuschung erlangten Aufenthaltstitels steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht zwingend entgegen. Bei der Prognose, ob ein Ausländer vor Aufdeckung der Täuschung mit einer Beendigung seines Aufenthalts rechnen musste, ist vielmehr in den Blick zu nehmen, wie die Ausländerbehörde – bei Kenntnis des vollständigen Sachverhalts und in Ansehung der daraus resultierenden rechtlichen Möglichkeiten – voraussichtlich reagiert hätte [11]. Dies stellt sicher, dass der Ausländer aus der Täuschung keinen von der Rechtsordnung nicht gedeckten Vorteil erhält, und gilt auch dann, wenn er sich mit der Täuschung strafbar gemacht hat und/oder einen Ausweisungsgrund verwirklicht bzw. ein Ausweisungsinteresse begründet hat. Denn selbst ein derartiges Verhalten führt nicht zwangsläufig zu einer Aufenthaltsbeendigung.
Da es für den gewöhnlichen Aufenthalt allein auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, kann entgegen der Auffassung der am Verfahren beteiligten Landesanwaltschaft bei der Auslegung auch nicht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zurückgegriffen werden, wonach ein türkischer Arbeitnehmer bei einer durch Täuschung erlangten Aufenthaltserlaubnis keine ordnungsgemäße Beschäftigung ausübt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Täuschende wegen seines Verhaltens bestraft worden ist und ob eine ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen worden ist. Denn der assoziationsrechtliche Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ setzt nach ständiger Rechtsprechung eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus [12]. Soweit die Landesanwaltschaft darauf hinweist, dass es „gute Gründe“ dafür geben kann, dass die Ausländerbehörde einen durch Täuschung erwirkten Aufenthaltstitel nicht zurücknimmt, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung, sondern bestätigt im Gegenteil, dass allein die Angreifbarkeit eines Aufenthaltstitels nicht zwangsläufig etwas über die Dauerhaftigkeit des weiteren Aufenthalts aussagt.
Auch Sinn und Zweck des gesetzlichen Kriteriums des gewöhnlichen Aufenthalts erfordern nicht zwingend die Nichtanrechnung von unter Identitätstäuschung zurückgelegten Aufenthaltszeiten. Ausmaß und Umfang der erreichten Integration knüpfen bei der Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG nicht allein an einen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt von mindestens acht Jahren an. Dieser muss von einer Aufenthaltserlaubnis abgedeckt gewesen sein, außerdem müssen die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sein und darf kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG vorliegen. Dabei ist § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG i.V.m. § 12a StAG und § 11 StAG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass nicht jedes strafbare Verhalten und nicht jedes Ausweisungsinteresse einbürgerungsschädlich ist.
§ 10 Abs. 1 Satz 1 StAG setzt weiter voraus, dass der Ausländer seit acht Jahren „rechtmäßig“ seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts wird bei Drittstaatsangehörigen vor allem durch den Besitz eines Aufenthaltstitels vermittelt (§ 4 AufenthG). Die Rechtmäßigkeit muss sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt beziehen, diesen also „abdecken“. Da sich unter Geltung des neuen Systems der Aufenthaltstitel nach dem durch das Zuwanderungsgesetz zum 1.01.2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz im Grundsatz jede Aufenthaltserlaubnis in ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfestigen kann, sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Daueraufenthalts selbst Zeiten zu berücksichtigen, in denen der Ausländer unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes nur im Besitz einer für einen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis war, wenn ihm auf diesem Wege ein Zugang zu einer dauerhaften Aufenthaltsposition eröffnet worden ist [13]. Für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts kommt es allein auf den formalen Besitz eines Aufenthaltstitels und nicht auf dessen rechtmäßige Erteilung an. Dies gilt auch bei einem durch Täuschung erwirkten Aufenthaltstitel, der, solange er wirksam und nicht zurückgenommen ist, einen rechtmäßigen Aufenthalt vermittelt.
Aus der Formulierung „seit acht Jahren“ ergibt sich schließlich, dass der rechtmäßige gewöhnliche Inlandsaufenthalt in den letzten acht Jahren vorgelegen haben muss. Dabei sind kurzfristige Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit, die darauf beruhen, dass der Ausländer nicht rechtzeitig die Erteilung oder Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt hat, nach § 12b Abs. 3 StAG unbeachtlich.
In Anwendung dieser Grundsätze hatte der Ausländer im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (20.04.2016) durchgängig seit acht Jahren (April 2008 – April 2016) rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet.
Der Ausländer war in diesem Zeitraum durchgängig im Besitz eines Aufenthaltstitels in Form einer (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG. Die ihm im März 2008 – unter falscher Identität – erteilte Niederlassungserlaubnis ist weder unwirksam noch wurde sie nach Offenlegung der Täuschung (rückwirkend) aufgehoben.
Die Ausländerbehörde hat mit der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bewusst gegenüber dem Ausländer eine Regelung getroffen, auch wenn sie seinerzeit dessen wahre Identität nicht kannte. Dieser Verwaltungsakt ist mit der Bekanntgabe an den Ausländer wirksam geworden (Art. 43 VwVfG BY). Er leidet nicht an einem zur Nichtigkeit führenden Fehler (Art. 43 Abs. 3 i.V.m. Art. 44 VwVfG BY). Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen über seine Identität täuschenden Ausländer insbesondere keinen besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des Art. 44 Abs. 1 VwVfG BY aufweist. Denn sie bezieht sich auf eine real existierende Person. Auch Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG BY liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass ein durch arglistige Täuschung erwirkter Verwaltungsakt nicht nichtig, sondern nur rücknehmbar ist [14]. Die Ausländerbehörde hat die dem Ausländer erteilte Niederlassungserlaubnis nach Offenlegung der Identitätstäuschung auch nicht (rückwirkend) aufgehoben. Damit bedarf es keiner Entscheidung, ob die dem Ausländer unter falscher Identität erteilten Aufenthaltstitel – wie vom Berufungsgericht angenommen – allein wegen der Identitätstäuschung rechtswidrig waren und deshalb hätten (ersatzlos) zurückgenommen werden können. Die Klärung der Identität stellt nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG zwar eine Regelerteilungsvoraussetzung dar. Gleiches gilt nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für das Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses (früher: Ausweisungsgrund), das auch bei falschen Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels besteht (vgl. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG). Beide Regelungen sind nach § 5 Abs. 3 AufenthG bei humanitären Aufenthaltstiteln nach dem Kapitel 2 Abschnitt 5 aber nur eingeschränkt anwendbar.
Die Identitätstäuschung hat auch nicht zur Folge, dass der Ausländer zumindest bis zur Offenlegung seiner wahren Identität keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen konnte. Gegenteiliges ergibt sich nicht – wie vom Berufungsgericht angenommen – aus dem Umstand, dass die Ausländerbehörde, solange ihr die Identitätstäuschung nicht bekannt war, hieraus keine aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen ableiten konnte. Maßgeblich für den gewöhnlichen Aufenthalt und die dabei zu treffende Prognose ist vielmehr, wie sich die Ausländerbehörde verhalten hätte, wenn ihr die Täuschung bekannt gewesen wäre. Auch unter dieser Prämisse musste der Ausländer in der Vergangenheit nach Maßgabe der einschlägigen ausländerrechtlichen Bestimmungen und ihrer Handhabung durch die Ausländerbehörde nicht mit einer Beendigung seines Aufenthalts rechnen.
Selbst wenn man zu Lasten des Ausländers unterstellt, dass die falschen Angaben über seine Identität und Herkunft für den gewährten Flüchtlings- und Abschiebungsschutz ursächlich waren, hätte die Ausländerbehörde den Aufenthalt nicht allein aus diesem Grund beenden können. Zwar hätte das Bundesamt dann nach Aufdeckung der Täuschung seinen auf einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil beruhenden Bescheid möglicherweise nach dem Rechtsgedanken des § 826 BGB unter Durchbrechung der Rechtskraft aufheben können [15]. Wegen der Verbindlichkeit asylrechtlicher Entscheidungen (§ 6 AsylG; früher: § 4 AsylVfG a.F.) war es der Ausländerbehörde hingegen verwehrt, eine Aufenthaltsbeendigung allein auf die – hier unterstellte – Angreifbarkeit des dem Ausländer im asylrechtlichen Verfahren gewährten Schutzes zu stützen. Vielmehr hätte sie vor einer Aufenthaltsbeendigung zunächst beim Bundesamt auf eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung hinwirken müssen. Dass sie dies getan hätte, wenn ihr die Identitätstäuschung schon früher bekannt gewesen wäre, ist den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen. Danach ist die Ausländerbehörde der Beklagten in der Vergangenheit gegen nachträglich offenbarte Identitätstäuschungen nicht vorgegangen, sondern reagiert hierauf erst jetzt durch Rücknahme der durch Täuschung erwirkten Aufenthaltstitel und Stellung einer Strafanzeige wegen mittelbarer Falschbeurkundung nach § 271 StGB. Selbst auf diesem inzwischen eingeschlagenen Wege kann bei Asylberechtigten und international Schutzberechtigten zwar möglicherweise die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (rückwirkend) beendet werden, nicht aber dessen Gewöhnlichkeit, solange es – wie hier – an einer Aufhebung der Schutzgewährung durch das Bundesamt fehlt.
Der Unbeachtlichkeit der früheren Identitätstäuschung steht die besondere Bedeutung der Identität im Einbürgerungsverfahren nicht entgegen. Zwar ist eine geklärte Identität notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil bei der Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe [16]. Inzwischen bestehen aber keine Zweifel (mehr) an der Identität des Ausländers, sondern geht es allein um die Frage, ob die frühere Identitätstäuschung der Anrechnung der unter Identitätstäuschung zurückgelegten Aufenthaltszeiten entgegensteht.
Das gefundene Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung als Ausdruck der Selbstbehauptung des Rechts [17]. Das Bundesverfassungsgericht verlangt nicht, dass jede durch Täuschung erlangte Rechtsposition rückgängig gemacht werden muss, sondern nur, dass eine Rechtsordnung die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit nicht untergraben darf. Dabei betont es, dass es grundsätzlich Sache der gesetzgeberischen Beurteilung ist, auf welche Weise dies geschieht. Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen die gesetzlichen Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf (begünstigender) Verwaltungsakte. Hierdurch gewährt das Recht einer missbräuchlich handelnden Person für Rechtspositionen, die sie im Widerspruch zum geltenden Recht durch Täuschung erlangt hat, keinen Bestandsschutz. Dass die zuständige Behörde von dieser Möglichkeit im Einzelfall keinen Gebrauch macht, untergräbt nicht die Wirksamkeit der Rechtsordnung.
Aus dem gleichen Grund ist das Begehren des Ausländers auf Einbürgerung unter Einbeziehung der vor Offenlegung der Identitätstäuschung im Bundesgebiet zurückgelegten Aufenthaltszeiten auch nicht rechtsmissbräuchlich. Täuscht ein Ausländer deutsche Behörden über aufenthaltsrechtlich beachtliche Umstände, ist es Aufgabe der Ausländerbehörde, auf dieses – grundsätzlich integrationsschädliche – Verhalten zu reagieren (etwa durch Strafanzeige wegen mittelbarer Falschbeurkundung, Hinwirken auf eine Aufhebung der Entscheidung des Bundesamts und/oder Aufhebung des dem Ausländer erteilten Aufenthaltstitels) mit entsprechenden Folgewirkungen für ein späteres Einbürgerungsverfahren. Macht die Ausländerbehörde indes – wie hier – von den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keinen Gebrauch, ist die Einbürgerungsbehörde bei der Prüfung der auf die Aufenthaltsdauer bezogenen Einbürgerungsvoraussetzungen an diese Entscheidung gebunden und kann dem Ausländer die – von der Ausländerbehörde folgenlos hingenommene – Täuschung nicht entgegenhalten. Die Befugnis der Staatsangehörigkeitsbehörden zur Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen und die Eigenständigkeit des Staatsangehörigkeitsrechts ändern hieran nichts.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Juni 2017 – 1 C 16.16
- BayVGH, Ufrteil vom 20.04.2016 – VGH 5 B 15.2106[↩]
- BVerwG, Urteil vom 05.06.2014 – 10 C 2.14, BVerwGE 149, 387 Rn. 10[↩]
- BGBl. I S. 2218[↩]
- BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 – 1 C 31.03, BVerwGE 122, 199, 202[↩]
- BVerwG, Urteil vom 26.04.2016 – 1 C 9.15, BVerwGE 155, 47 Rn. 11[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18.11.2004 – 1 C 31.03, BVerwGE 122, 199, 202 f.; und vom 26.04.2016 – 1 C 9.15, BVerwGE 155, 47 Rn. 12[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 23.02.1993 – 1 C 45.90, BVerwGE 92, 116, 121 ff.; vom 18.11.2004 – 1 C 31.03, BVerwGE 122, 199, 202 f.; vom 26.02.2009 – 10 C 50.07, BVerwGE 133, 203 Rn. 31 ff.; und vom 26.04.2016 – 1 C 9.15, BVerwGE 155, 47 Rn. 13[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 23.02.1993 – 1 C 45.90, BVerwGE 92, 116, 124 f.; und vom 26.04.2016 – 1 C 9.15, BVerwGE 155, 47 Rn. 14[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 10.12 2013 – B 13 R 9/13 R – NZS 2014, 264 Rn. 27 f. m.w.N.[↩]
- s.a. BSG, Urteil vom 10.12 2013 – B 13 R 9/13 R – NZS 2014, 264 Rn. 29 m.w.N.[↩]
- hypothetische ex ante-Prognose[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 12.04.2005 – 1 C 9.04, BVerwGE 123, 190, 199 f. unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 05.06.1997 – C‑285/95 [ECLI:EU:C:1997:280], Kol, Rn. 25 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 26.04.2016 – 1 C 9.15, BVerwGE 155, 47 Rn. 17 ff.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 09.09.2014 – 1 C 10.14 – InfAuslR 2014, 446 Rn. 15 ff. zur Wirksamkeit einer durch Identitätstäuschung erschlichenen Einbürgerung[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.2013 – 10 C 27.12, BVerwGE 148, 254 Rn. 18 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 01.09.2011 – 5 C 27.10, BVerwGE 140, 311 Rn. 11 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 24.05.2006 – 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24, 49 ff.[↩]