Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass f

Für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen Änderung der politischen Verhältnisse im Herkunftsland gelten einheitliche Maßstäbe bei der Beurteilung der Gefahr künftiger Verfolgung. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Ausländer wegen im Heimatland erlittener Vorverfolgung oder ausschließlich wegen Nachfluchtaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt worden ist.
Dies betonte jetzt das Bundesverwaltungsgericht in dem Fall eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit, der wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland als Flüchtling anerkannt wurde. Im Jahr 2008 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Anerkennung. Aufgrund der geänderten Verhältnisse in der Türkei habe der Kläger wegen seiner Nachfluchtaktivitäten politische Verfolgung nicht mehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen1. Auf die Berufung des Klägers hat ihr dagegen das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht stattgegeben, weil eine politische Verfolgung des Klägers trotz des Wandels in der Türkei – gemessen an einem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab – nicht hinreichend sicher ausgeschlossen sei((Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 09.02.2010 – 4 LB 9/09)).
Auf die Revision des Bundesamtes hat nun das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Im Anschluss an sein Urteil vom 24. Februar 20112 hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass die in § 73 Abs. 1 Satz 2 und 3 AsylVfG geregelten Widerrufsvoraussetzungen im Lichte der Art. 11 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG auszulegen sind.
Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft ist hiernach grundsätzlich das Spiegelbild der Anerkennung: Diese Eigenschaft entfällt schon dann, wenn die politischen Veränderungen der Umstände im Herkunftsland des Flüchtlings so erheblich und nicht nur vorübergehend sind, dass seine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Dies hat das Bundesamt nachzuweisen.
Nach dieser beweisrechtlichen Konzeption der Richtlinie, die auch der Wiederholungsvermutung für Vorverfolgte in Art. 4 Abs. 4 bei der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegt, ist nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Diese hatte für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung verlangt, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist. Ausreichend ist nunmehr, dass sich die Lage im Herkunftsland im Vergleich zum Zeitpunkt der Anerkennung erheblich, d.h. deutlich und wesentlich geändert hat, und infolge der Veränderungen der politischen Verhältnisse keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Die der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände müssen dabei dauerhaft beseitigt sein; verlangt wird eine Prognose stabiler Verhältnisse auf absehbare Zeit. Da das Berufungsgericht seiner Verfolgungsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat, hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache zur erneuten Prüfung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 10.10