Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet1.
Der Antragsteller hat daher substantiiert darzulegen, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Auch im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren gilt der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kommt daher nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat2.
Daran gemessen hat in dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren der Antragsteller den Rechtsweg gegen die von ihm beanstandete Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des klageabweisenden Urteils nicht ordnungsgemäß erschöpft:
Er hat mit Blick auf die eingelegte Berufung weder einen (Eil)Antrag nach § 719 Abs. 1 in Verbindung mit § 707 ZPO noch einen isolierten Antrag gemäß § 718 ZPO gestellt. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zielt darauf ab, eine ordnungsgemäße Vorprüfung der Beschwerdepunkte durch die zuständigen gerichtlichen Instanzen zu gewährleisten, dadurch das Bundesverfassungsgericht zu entlasten und für seine eigentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes freizumachen3.
Im vorliegenden Fall ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht deshalb geboten, weil das Verfahren von allgemeiner Bedeutung oder dem Antragsteller das Abwarten der fachgerichtlichen Entscheidungen unzumutbar im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wäre4.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG und auch bei der Frage, ob dem Antragsteller ein Zuwarten bis zu einer fachgerichtlichen Entscheidung unzumutbar ist, weil ihm ein schwerer oder unabwendbarer Nachteil drohte (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), ist ein strenger Maßstab zugrunde zu legen. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht ist – anders als der vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren – nicht darauf angelegt, möglichst lückenlos vorläufigen Rechtsschutz zu bieten. Erst recht ist das Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht darauf angelegt, das fachgerichtliche Verfahren vorwegzunehmen5.
Nach diesen Maßstäben sind Gründe für die Unzumutbarkeit des Zuwartens auf eine etwaige Entscheidung des Berufungsgerichts über entsprechend zu stellende Anträge nach § 719 Abs. 1 in Verbindung mit § 707 oder § 718 ZPO weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Juni 2023 – 2 BvQ 60/23
- vgl. BVerfGE 7, 367 <371> 103, 41 <42> 121, 1 <15> 134, 138 <140 Rn. 6 m.w.N.> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.09.2022 – 2 BvR 1627/22, Rn. 1[↩]
- vgl. BVerfGE 4, 193 <198> Beschluss vom 23.06.2021 – 2 BvQ 63/21, Rn. 2[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2021 – 2 BvQ 63/21, Rn. 3[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2021 – 2 BvQ 63/21, Rn. 4[↩]
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