Auch bei Hunden der in § 1 Abs. 2, Abs. 3 der baden-württembergischen Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über das Halten gefährlicher Hunde vom 3. August 2000 (PolVOgH) genannten Rassen kann eine verbindliche Einstufung als „Kampfhund“ im Sinne des § 1 Abs. 1 der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über das Halten gefährlicher Hunde regelmäßig nur aufgrund einer Prüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH erfolgen. Entgegen der einschlägigen Verwaltungsvorschrift ist ein solcher Wesenstest nicht bereits dann entbehrlich, wenn ein Hund einen der in § 2 S. 2 PolVOgH genannten Tatbestände erfüllt hat und daher als „gefährlich“ im Sinne des § 2 S. 1 PolVOgH einzustufen wäre. Maßstab des § 1 Abs. 4 PolVOgH ist nicht die Gefährlichkeit im Sinne des § 2 PolVOgH, sondern die gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 PolVOgH.

Auch bei einem zu Recht als gesteigert aggressiv und gefährlich eingestuften Hund kann die (erneute) Durchführung eines Wesenstests angezeigt sein, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Verhaltensänderung des Tieres vorliegen.
Nach § 1 Abs. 1 PolVOgH sind Kampfhunde im Sinne dieser Verordnung Hunde, bei denen aufgrund rassespezifischer Merkmale, durch Zucht oder im Einzelfall wegen ihrer Haltung oder Ausbildung von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen ist. Die Eigenschaft als Kampfhund wird bei Hunden der in § 1 Abs. 2 PolVOgH genannten Rassen bzw. deren Kreuzungen untereinander bzw. mit anderen Hunden vermutet, während sie bei sonstigen Hunden – d.h. sowohl bei Angehörigen bzw. Kreuzungen der in der in § 1 Abs. 3 PolVOgH genannten Rassen als auch bei anderen Hunden – nur dann angenommen werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte auf eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit hinweisen. In beiden Fällen beruht die Eigenschaft als Kampfhund daher nicht bzw. nicht vorrangig auf der Rassezugehörigkeit des Hundes, sondern auf dessen – in den Fällen des § 1 Abs. 2 PolVOgH allerdings vermuteter – individueller Aggressivität und Gefährlichkeit.
Nach § 1 Abs. 4 PolVOgH stützt die Ortspolizeibehörde die Einstufung eines Hundes als Kampfhund nach § 1 Abs. 1 bzw. Abs. 3 PolVOgH bzw. die Feststellung der Widerlegung der Vermutung des § 1 Abs. 2 PolVOgH regelmäßig auf das Ergebnis einer Prüfung. Die Durchführung eines solchen „Wesenstests“ stellt daher den vom Verordnungsgeber vorgesehenen Regelfall dar, von dem – unter in der Verordnung allerdings nicht näher umschriebenen Voraussetzungen – nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann.
Ein Absehen von der Durchführung einer solchen Prüfung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Hundehalter die Vermutung des § 1 Abs. 2 PolVOgH bereits auf andere Weise – etwa durch Vorlage aussagekräftiger Gutachten anderer Behörden (vgl. Nr. 1.04.5 VwVgH v. 15.12.2003, zuletzt aktualisiert am 14.02.2011) oder ggfs. auch privater Sachverständiger1 – widerlegen kann oder die gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit eines Hundes bereits durch eine andere Behörde – etwa beim Zuzug eines Hundehalters aus einem anderen Bundesland, das eine vergleichbare Wesensprüfung vorsieht – festgestellt wurde. Die Durchführung eines Wesenstests kann aber auch dann entfallen, wenn ein Hund seine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit bereits in einer Weise dokumentiert hat, die eine weitere Überprüfung entbehrlich erscheinen lässt.
Dies ist jedoch nicht schon dann der Fall, wenn ein Hund in der Vergangenheit eine der in § 2 S. 2 PolVOgH genannten Tatbestandsvarianten verwirklicht hat und daher als „gefährlich“ im Sinne des § 2 S. 1 PolVOgH eingestuft werden müsste. Zwar sieht Nr. 1.02.1 PolVOgH einen Verzicht auf die Durchführung einer Verhaltensprüfung vor, wenn sich die konkrete Gefährlichkeit eines Hundes bereits durch die Verwirklichung eines solchen Tatbestandes erwiesen hat. Als Verwaltungsvorschrift ohne Verordnungsrang entfaltet diese Regelung jedoch keine Außenwirkung; sie erweist sich zudem als nicht mit der Regelungssystematik der Verordnung vereinbar und kann daher auch zur Konkretisierung des Regel-Ausnahmeverhältnisses des § 1 Abs. 4 PolVOgH nicht herangezogen werden.
Nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers ist ein „gefährlicher“ Hund ein Hund, der – ohne Kampfhund gemäß § 1 der Verordnung zu sein – aufgrund seines Verhaltens die Annahme rechtfertigt, dass er eine gegenüber anderen Hunden erhöhte Gefährlichkeit für die in § 2 S. 2 PolVOgH genannten Rechtsgüter aufweist, die aber durch die in § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 – 4 und Abs. 7 PolVOgH geregelten Vorkehrungen neutralisiert bzw. auf ein sozialverträgliches Maß gemindert werden kann. Demgegenüber ist ein Kampfhund nach § 1 Abs. 1 PolVOgH ein Hund, der aufgrund rassespezifischer Merkmale, durch Zucht oder im Einzelfall wegen seiner Haltung oder Ausbildung ein derart gesteigertes Aggressionspotential aufweist, dass der von ihm ausgehenden Gefahr für Menschen und Tiere nicht alleine durch die in § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 – 4 und Abs. 7 PolVOgH auch für Kampfhunde vorgesehenen Maßnahmen begegnet werden kann. Seine Haltung erfordert vielmehr neben der Einhaltung dieser Vorkehrungen auch eine Erlaubnis der Ortspolizeibehörde (§ 3 Abs. 1 PolVOgH), die – wohl aufgrund des Umstands, dass auch bei zuverlässiger und sachkundiger Haltung eines Kampfhundes ein substantielles Restrisiko verbleibt, das nur in Ausnahmefällen hingenommen werden soll – nur bei Nachweis eines berechtigten Interesses an der Haltung (§ 3 Abs. 2 PolVOgH) sowie regelmäßig auch einer besonderen Haftpflichtversicherung (§ 3 Abs. 2 S. 6 PolVOgH) erteilt werden darf. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 PolVOgH sind Kampfhunde zudem unfruchtbar zu machen; nach § 5 Abs. 1 PolVOgH ist außerdem die Zucht, Kreuzung oder Verwendung von Kampfhunden zur Vermehrung verboten, während die Haltung oder Ausbildung von Hunden mit dem Ziel einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit einer behördlichen Erlaubnis bedarf (§ 5 Abs. 2 PolVOgH).
Die für die Annahme der Kampfhundeeigenschaft erforderliche gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit können nach der Normstruktur der Verordnung nicht nur Angehörige und Kreuzungen spezifischer Rassen aufweisen2; nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 PolVOgH kann die Kampfhundeeigenschaft vielmehr auch – unabhängig vom Vorliegen rassespezifischer Merkmale – alleine aufgrund der Zucht oder der Haltung bzw. Ausbildung eines Hundes vorliegen (§ 1 Abs. 1 Alt. 2 – 4 PolVOgH). Hieraus folgt im Umkehrschluss jedoch, dass auch ein von den in § 1 Abs. 2, Abs. 3 PolVOgH genannten Rassen abstammender Hund „lediglich“ gefährlich im Sinne von § 2 S. 1 PolVOgH sein kann, er also ein gegenüber gewöhnlichen Hunden erhöhtes Gefährdungspotential aufweist, ohne im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 3 PolVOgH gesteigert aggressiv und gefährlich zu sein. Dies dürfte etwa bei Hunden der Fall sein, die zwar in Einzelfällen ohne nachvollziehbaren Grund Menschen oder Tiere gebissen haben (und damit nach Nr. 2.1 VwVgH regelmäßig als „bissig“ im Sinne von § 2 S. 2 Nr. 1 PolVOgH einzustufen wären), deren Aggressionsverhalten aber durch den Halter kontrollierbar ist und ggfs. schnell durch geeignete Signale beendet werden kann3.
Hieraus folgt jedoch, dass das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals des § 2 S. 2 PolVOgH die Durchführung eines Wesenstests nur dann entbehrlich machen kann, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt ausnahmsweise auch unmittelbar einen Rückschluss auf eine im Sinne des § 1 Abs. 1 PolVOgH gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren erlaubt.
Ob ein solcher Ausnahmefall zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung vorlag, kann im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben.
Denn jedenfalls muss berücksichtigt werden, dass sich das Aggressionspotential und die Gefährlichkeit eines (Kampf)Hundes gerade bei in jungem Alter auffällig gewordenen Hunden innerhalb ihrer Lebensspanne – etwa aufgrund altersbedingter Reifungs- und Lernprozesse, von Schulungen, einer Kastration oder eines Halterwechsels – verändern kann. Selbst bei ursprünglich nicht bestandener Verhaltensprüfung oder bei nach den o.g. Maßstäben zulässigerweise ohne Verhaltensprüfung als Kampfhund eingestuften Hunden kann eine erneute bzw. erstmalige Durchführung der Verhaltensprüfung daher erforderlich sein, wenn Anhaltspunkte für eine positive Verhaltensänderung ersichtlich sind (vgl. Nr. 1.04.4 S. 5, 6 VwVgH). Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die – regelmäßig vom Halter vorzubringenden – Umstände bereits aus sich heraus eine positive Wesensänderung (und damit den Entfall der auch bei Abkömmlingen der in § 1 Abs. 2 PolVOgH genannten Rassen lediglich vermuteten Kampfhundeeigenschaft) belegen; es genügt vielmehr, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Wesensänderung vorliegen und daher Anlass zur Überprüfung besteht, ob die Voraussetzungen für die Annahme der Kampfhundeeigenschaft noch vorliegen4.
Nach diesen Maßstäben ist im hier vom Verwaltungsgericht Stuttgart entschiedenen Fall die Durchführung eines Wesenstests jedenfalls zum für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt – bei Dauerverwaltungsakten dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – geboten. Nach den Vorfällen vom 21.05. und 23.05.2011, bei denen der damals erst knapp 14 Monate alte Hund „N.“ jedenfalls nach den Schilderungen der Zeugen V. und H. den Konflikt mit der Mischlingshündin „K“ und dem Rhodesian Ridgeback-Rüden „E“ gesucht und diese durch Bisse verletzt hat, ließ die Klägerin diesen am 03.06.2011 kastrieren, hat mit ihm seit dem 12.07.2011 regelmäßig Hundeschulen besucht und verschiedene Prüfungen mit gutem Erfolg absolviert. Zudem bilden die schon am 06.07.2011 erfolgte Einschätzung durch die Polizeihundeführerstaffel, die fachkundige Bewertung der Diplom-Tierpsychologin und Hundeschulenbetreiberin S. und die detaillierten Schilderungen der von der Klägerin benannten Zeugen zum Verhalten des Hundes in Hundeschule und Alltag weitere Indizien dafür, dass sich „N.s“ Charakter mittlerweile derart gefestigt haben könnte, dass eine Überprüfung der Kampfhundeeigenschaft mittlerweile selbst dann geboten wäre, wenn eine solche Einstufung zum Zeitpunkt der Vorfälle im Mai 2011 bzw. zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidungen auch ohne Durchführung eines Wesenstests – d.h. alleine aufgrund der Vorfälle vom 21. und 23.05.2011 – hätte erfolgen können.
Hieran ändert es nichts, dass nach den – von der Klägerin bestrittenen – Angaben des Zeugen H. vom 25.07.2011; und vom 11.08.2011 auch nach der Kastration des Hundes „N.“ zu weiteren Vorfällen gekommen sein soll. Zwar ziehen dessen Äußerungen – die dieser in der mündlichen Verhandlung allerdings erst auf Vorhalt und ohne nähere Detailangaben wiederholt hat – die Bekundungen der von der Klägerin benannten Zeugen in Zweifel, dass es sich bei „N.“ – jedenfalls mittlerweile – um einen ausgeglichenen und ungefährlichen Familienhund handelt; ebenso könnten sie – ihre Richtigkeit unterstellt – Zweifel daran begründen, dass bereits die Kastration des Hundes eine hinreichende Minderung seines Aggressions- und Gefahrenpotentials herbeigeführt hat. Ein Bedürfnis nach Durchführung eines Wesenstests besteht jedoch – wie dargelegt – nicht erst dann, wenn aufgrund der Umstände bereits feststeht, dass der Hund keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit i.S.d. § 1 Abs. 1 PolVOgH mehr aufweist; in diesem Fall wäre einer Einstufung als Kampfhund vielmehr auch ohne Durchführung eines Wesenstests unmittelbar der Boden entzogen. Eine Überprüfung im Sinne des § 1 Abs. 4 PolVOgH ist vielmehr bereits dann erforderlich, wenn aufgrund der geänderten Umstände nicht mehr ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Hund (noch) im Sinne des § 1 Abs. 1 PolVOgH gesteigert aggressiv und gefährlich ist. Ob die Vorfälle – die für sich genommen jedenfalls keine Einstufung als Kampfhund rechtfertigen könnten – tatsächlich wie vom Zeugen H. geschildert stattgefunden haben, bedarf daher keiner weiteren Aufklärung.
Aus denselben Gründen geht auch der Einwand ins Leere, dass eine Kastration nicht notwendigerweise ausreiche, um aus einem verhaltensauffälligen Hund einen friedlichen Hund zu machen, weil das aggressive Verhalten eines Hundes nicht notwendigerweise (alleine) auf hormonelle Einflüsse zurückgeführt werden könne. Auch das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Kastration eines Rüden keine Gewähr dafür bietet, dass dieser in Zukunft kein aggressives und gefährliches Verhalten mehr aufweisen wird. Sie kann jedoch Anlass dazu geben, die auf frühere Vorfälle gestützte und der Einstufung als Kampfhund zugrundeliegende Annahme einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit erneut zu überprüfen.
Im Übrigen liegen im vorliegend entschiedenen Fall auch die geschilderten Ereignisse – bei denen es sich soweit ersichtlich um die letzten Vorfälle handelt, bei denen „N.“ aggressives Verhalten vorgeworfen wird – mehr als 2, 5 Jahre zurück, während die Zeuginnen, die mit „N.“ teilweise wöchentlichen Umgang pflegen, ihm übereinstimmend einen aggressions- und auch im Umgang mit Kindern und anderen Hunden problemfreien Charakter attestieren. Auch aus diesem Grund erscheint es daher nicht gerechtfertigt; vom Regelerfordernis der Durchführung eines Wesenstests nach § 1 Abs. 4 PolVOgH abzusehen.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass Nr. 1.04.4 S. 6 VwVgH – die als Verwaltungsvorschrift ohnehin keine Außenwirkung entfaltet – eine (Wiederholungs)Prüfung nur bei Hunden vorsieht, die aufgrund eines einmaligen Vorfalls als Kampfhunde eingestuft wurden. Zwar legt eine Mehrzahl einschlägiger Vorfälle die Annahme nahe, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit aufweist; eine positive Verhaltensänderung ist jedoch auch in solchen Fällen nicht generell ausgeschlossen. Auch die Aggressivität und Gefährlichkeit eines aufgrund mehrerer Vorfälle als Kampfhund eingestuften Tieres bedarf daher ggfs. der erneuten Überprüfung, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Wesens- bzw. Verhaltensänderung bestehen.
Da die Voraussetzungen, unter denen von der Durchführung der in § 1 Abs. 4 PolVOgH im Regelfall vorgeschriebenen Prüfung abgesehen werden kann, nicht vorliegen, ist die Einstufung des Hundes „N.“ als Kampfhund im Sinne des § 1 Abs. 1 PolVOgH rechtswidrig. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei „N.“ – wie die Klägerin vorträgt – um eine Kreuzung eines Staffordshire Bullterriers mit einer Miniature Bullterrier/Dalmatiner-Mischlingshündin (und damit lediglich um einen Hund nach § 1 Abs. 3 PolVOgH), eine Bullterrier-Kreuzung – wovon der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 02.04.2012 ausgegangen ist – oder entsprechend den Feststellungen des Amtstierarzts der Beklagten um einen Hund mit – jedenfalls optischen – Rassekennzeichen eines American Staffordshire Terriers handelt. Denn auch bei Hunden nach § 1 Abs. 2 PolVOgH – d.h. bei Hunden der Rassen American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden – folgt die Kampfhundeeigenschaft nicht automatisch aus den genetischen Merkmale eines Hundes, sondern aus dessen – wenn auch ggfs. durch rassespezifische Merkmale begünstigter und nach § 1 Abs. 2 PolVOgH widerleglich vermuteter – individuell gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (§ 1 Abs. 1 PolVOgH). Zwar obliegt es in den Fällen des § 1 Abs. 2 PolVOgH grundsätzlich dem Halter, die Vermutung der Kampfhundeeigenschaft durch einen Wesenstest oder auf andere Weise zu widerlegen. Hiermit korrespondiert jedoch – zumindest dann, wenn die Durchführung eines Wesenstests nicht aufgrund der bereits erwiesenen Gefährlichkeit eines Tieres entbehrlich ist – eine Pflicht der zuständigen Behörde, dem Hundehalter die Widerlegung der Gefährlichkeitsvermutung durch die Zulassung zur Teilnahme an einem Wesenstest zu ermöglichen, bevor sie die Kampfhundeeigenschaft verbindlich feststellt und weitere Maßnahmen einleitet5. Dies gebietet schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit6; es dürfte zudem auch aus dem Umstand folgen, dass der der Aufnahme in die Rasseliste des § 1 Abs. 2 PolVOgH zugrundeliegende Gefahrenverdacht lediglich Gefahrerforschungseingriffe zu rechtfertigen vermag, solange der parlamentarische Gesetzgeber die Exekutive nicht ausdrücklich auch zu Gefahrenvorsorgemaßnahmen ermächtigt hat7.
Die im gleichen Bescheid angeordnete Beschlagnahme und Einziehung des Hundes – teilt das Schicksal der ebenfalls aufzuhebenden Einstufung als Kampfhund. Da Hund „N.“ nicht ohne Durchführung der in § 1 Abs. 4 PolVOgH vorgesehenen Prüfung nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 PolVOgH als Kampfhund eingestuft werden durfte und auch der Erlass weiterer Maßnahmen selbst in den Fällen des § 1 Abs. 2 PolVOgH nur dann verhältnismäßig ist, wenn dem Halter zuvor die Möglichkeit zur Widerlegung der Gefährlichkeitsvermutung eröffnet wurde8, sind die auf § 3 Abs. 3 PolVOgH bzw. auf §§ 33f. PolG gestützten Maßnahmen rechtswidrig und daher aufzuheben.
Gleiches gilt auch für das in dem Bescheid geregelte Verbot der Haltung des Hundes „N.“.
Zwar erlaubt § 4 Abs. 1 S. 2 PolVOgH i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 3 PolVOgH auch ein Verbot der Haltung von Hunden bzw. Kreuzungen der in § 1 Abs. 2, Abs. 3 PolVOgH genannten Rassen bzw. ein Verbot der Haltung eines „gefährlichen“ Hundes im Sinne des § 2 S. 1 PolVOgH, wenn Bedenken gegen die Zuverlässigkeit oder die Sachkunde des Halters oder auf andere Weise nicht abwendbare Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz bestehen. Eine solche Regelung enthält der angegriffene Bescheid vorliegend jedoch nicht.
Aus der Begründung des Bescheides ergibt sich, dass die Beklagte das Verbot der Haltung „N.s“ alleine mit dem fehlenden berechtigten Interesse der Klägerin an der Haltung eines Kampfhundes begründet und daher nicht auf §§ 4 Abs. 1 S. 2, 3 Abs. 4 S. 3 PolVOgH gestützt, sondern nur eine Entscheidung nach § 3 Abs. 3 PolVOgH getroffen hat. Diese Entscheidung hat ihren Charakter auch durch die Widerspruchsentscheidung nicht gewandelt. Zwar äußert der Widerspruchsbescheid auch hinsichtlich der Sachkunde und Zuverlässigkeit der Klägerin Zweifel und ergänzt insoweit die Begründung des Ausgangsbescheids, lässt aber nicht erkennen, dass das Regierungspräsidium hiermit zugleich eine Verschärfung des ursprünglichen Bescheids – in Form eines von der Kampfhundeeigenschaft „N.s“ unabhängigen Haltungsverbots – aussprechen wollte. Die Begründung nimmt zwar ausdrücklich auf die Regelung des § 3 Abs. 4 S. 3 PolVOgH Bezug, lässt aber gleichzeitig offen, ob die Voraussetzungen für ein alleine auf Zweifel an der Sachkunde und der Zuverlässigkeit der Klägerin gestütztes Haltungsverbot vorliegen und stützt sich stattdessen ergänzend auf die konkrete Gefährlichkeit des von der Klägerin gehaltenen Hundes. Schon im folgenden Satz wird darauf hingewiesen, dass ein (nur bei Anwendung des § 3 Abs. 3 PolVOgH i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 PolVOgH zu prüfendes) berechtigtes Interesse an der Haltung eines Kampfhundes nicht nachgewiesen sei; auch S. 32 des Bescheides nimmt ausdrücklich auf die „in § 3 Abs. 2 PolVOgH geforderte Sachkunde“ Bezug. Der Tenor des Widerspruchsbescheids weist schließlich ebenfalls nur den Widerspruch gegen die Ausgangsverfügung zurück und enthält somit ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine intendierte Erweiterung des durch die Ausgangsverfügung ausgesprochenen Verbotes.
Eine gerichtliche Umdeutung nach § 47 LVwVfG kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil eine Umdeutung in ein auf § 4 Abs. 1 S. 2 PolVOgH i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 3 PolVOgH gestütztes Verbot der Haltung eines (gefährlichen) Nicht-Kampfhundes im Sinne des § 4 Abs. 1 S. PolVOgH der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche (§ 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 LVwVfG). Dies ergibt sich schon aus der Begründung des angegriffenen Bescheides; jedenfalls aber aus der ausdrücklichen Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, dass ein Halteverbot wegen fehlender Sachkunde oder fehlender Zuverlässigkeit der Klägerin nicht beabsichtigt gewesen sei.
Die angegriffene Verfügung begründet daher kein von der Kampfhundeeigenschaft des Hundes unabhängiges Hundehaltungsverbot, so dass deren Rechtmäßigkeit unmittelbar von der Einstufung „N.s“ als Kampfhund im Sinne der PolVOgH abhängt. Auch insoweit war die Verfügung daher aufzuheben.
Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 K 2322/12
- vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2001 – 1 S 2346/00 – 78 zur Möglichkeit der Erbringung eines „anderweitigen entsprechenden Nachweises“; a.A. aber VG Sigmaringen, Beschluss vom 17.05.2004 – 8 K 1499/03-8[↩]
- vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.05.2003 – 1 S 411/03 – 7 sowie Nr. 1.01.3 VwVgH[↩]
- vgl. zu diesen gegen die Annahme der Kampfhundeeigenschaft sprechenden Kriterien Nr. 1.1 VwVgH[↩]
- VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2012 – 1 S 330/12[↩]
- vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2012 – 1 S 330/12[↩]
- VGH Bad.-Württ., a.a.O.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 03.07.2002 – 6 CN 8/01 –, BVerwGE 116, 347 30ff.; BVerwG, Urteil vom 18.12.2002 – 6 CN 3/01 –20ff.; BVerwG, Urteil vom 20.08.2003 – 6 CN 2/02 – 18ff. insbes. Rn. 29f.[↩]
- vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2012 – 1 S 330/12 –, a.a.O.[↩]