Eine Fahrerlaubnis, die von einem anderen EU-Staat erteilt worden ist, wird nicht anerkannt, wenn ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dabei kann eine fehlerhafte Untersagungsverfügung in einen feststellenden Verwaltungsakt umgedeutet werden.

Dies entschied jetzt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem Fall einer deutschen Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in Viereth-Trunstadt in der Bundesrepublik Deutschland hat, und sich gegen die Untersagung wendet, von ihrem tschechischen Führerschein im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Sie war bisher nicht im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Der tschechische Führerschein wurde ausgestellt vom Magistrat Plzen, es ist als Wohnort eingetragen „VIERETH-TRUNSTADT, SPOLKOVÁ REPUBLIKA NEMECKO.
Ob für die rechtliche Beurteilung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung, hier also der Zustellung des Bescheids der Straßenverkehrsbehörde an die Klägerin , oder der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich ist, kann offen bleiben, da in beiden Fällen die sogenannte zweite Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG anzuwenden ist und sich das deutsche Recht in der Zeit seit dem 10. Juni 2009 bis zur Gerichtsentscheidung nicht in hier relevanter Weise geändert hat.
Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein 91/439/EWG1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 20032. Dagegen ist die sogenannte Dritte EU-Führerschein-Richtlinie, die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein3, nach ihrem Art. 18 in Verbindung mit dem Erwägungsgrund 5 nicht anwendbar, wonach vor dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie erteilte oder erworbene Fahrerlaubnisse unberührt bleiben sollten.
Durch den Bescheid des Landratsamtes vom 6. Juni 2009 wurde der Klägerin ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids untersagt, von ihrem am 31. Mai 2006 ausgestellten tschechischen Führerschein im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Als Rechtsgrundlage für diese Untersagungsverfügung kommt nur Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG in Betracht. Danach können die Sicherheitsbehörden, soweit eine gesetzliche Ermächtigung zum Eingriff in die Rechte anderer nicht in Vorschriften des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes oder in anderen Rechtsvorschriften enthalten ist, zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor, da die Klägerin eine Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG begehen würde, wenn sie mit ihrer tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug führt. Denn sie ist aufgrund ihrer tschechischen Fahrerlaubnis nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt.
Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG ist jedoch eine Ermessensvorschrift, wie aus ihrem Wortlaut („… können … Anordnungen nur treffen …“) eindeutig hervorgeht. Da der angefochtene Bescheid keine Ermessenserwägungen enthält und für eine Ermessensreduzierung auf Null nichts ersichtlich ist, ist die Untersagungsverfügung wegen Ermessensausfalls (§ 114 Satz 1 VwGO) rechtswidrig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Möglichkeit erwogen, dass eine Ermessensbegründung der Untersagungsverfügung entbehrlich sein könnte, wenn es sich insoweit um einen Fall intendierten Ermessens handeln sollte. Er hält aber eine derartige Annahme nicht für vertretbar, weil es sich bei einer Untersagungsverfügung um einen Eingriffsakt handelt und der Behörde andere, den Betroffenen weniger belastende Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, insbesondere der Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts.
Die somit rechtswidrige Untersagungsverfügung kann jedoch nach Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG in einen feststellenden Verwaltungsakt des Inhalts umgedeutet werden, dass die der Klägerin am 31. Mai 2006 erteilte tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B sie nicht dazu berechtigt, in Deutschland Kraftfahrzeuge dieser Klasse zu führen. Nach Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Diese Bedingungen des Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG sind hier erfüllt.
Die Untersagungsverfügung des angefochtenen Bescheids ist rechtswidrig. Der aufgrund der Umdeutung anzunehmende feststellende Verwaltungsakt ist auf das gleiche Ziel gerichtet wie die Untersagungsverfügung, weil beide dem gleichen öffentlichen Interesse dienen und die gleiche materiell-rechtliche Tragweite haben. Es soll verhindert werden, dass die Klägerin mit ihrer tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug der Klasse B führt.
Es sind auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts durch das Landratsamt mit dem Inhalt gegeben, dass die der Klägerin in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis der Klasse B sie nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen dieser Klasse im Bundesgebiet berechtigt. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV kann die Behörde in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.
Bei der Klägerin sind die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gegeben, weil aus ihrem tschechischen Führerschein vom 31. Mai 2006 klar hervorgeht, dass sie zum Zeitpunkt seiner Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hatte. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Studierende oder Schülerin im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV.
Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs4 ist nunmehr geklärt, dass nach der im Fall der Klägerin noch anwendbaren Richtlinie 91/439/EWG allein der Wohnsitzverstoß den Aufnahmemitgliedstaat – hier Deutschland – dazu berechtigt, den von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein nicht anzuerkennen, ohne dass zuvor auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie angewandt worden sein muss. Dies bedeutet, dass das Fehlen der Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV (auch) gemeinschaftsrechtlich nicht zur Voraussetzung hat, dass die Tatbestände des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV kumulativ erfüllt sind.
Der Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts lag zwar im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde („kann erlassen“). Dieses Ermessen ist jedoch nach Auffassung des Senats in den Fällen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV intendiert, wenn ein Feststellungsinteresse besteht. Denn der Verordnungsgeber hat durch die Schaffung der Vorschrift des § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV zum Ausdruck gebracht, dass eine entsprechende Feststellung regelmäßig erforderlich ist, wenn Zweifel am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV bestehen, um die notwendige Rechtssicherheit herbeizuführen. Das ist insbesondere für mögliche Strafverfahren nach § 21 StVG wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis von Bedeutung5. Ein Feststellungsinteresse war im Fall der Klägerin gegeben, da vor Erlass des Bescheids zwischen ihr und der Fahrerlaubnisbehörde gegensätzliche Rechtsauffassungen darüber bestanden, ob sie aufgrund ihrer tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen darf. Dies geht aus dem zwischen dem Bevollmächtigten der Klägerin und dem Landratsamt geführten kontroversen Schriftverkehr hervor. Wegen des somit anzunehmenden intendierten Ermessens bedürfte ein feststellender Verwaltungsakt keiner Ermessensbegründung. Die zulässigerweise in eine Feststellungsverfügung umzudeutende Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids ist nach alledem rechtmäßig.
Ebenfalls rechtmäßig ist die Aufforderung, den tschechischen Führerschein unverzüglich beim Landratsamt zur Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung in Deutschland vorzulegen. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2 FeV, jeweils in entsprechender Anwendung6.
Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. Juli 2011 – 11 BV 11.1610