Ein vor dem Hauptbahnhof in Münster abgestelltes Fahrrad beschäftigte jetzt die Justiz, bis das ebenfalls in Münster ansässige Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen jetzt entschied, dass das Fahrrad von der Stadt nicht hätte entfernt werden dürfen.

Was war geschehen? Ein Münsteraner hatte am Morgen des 30. August 2007 sein Fahrrad unmittelbar an der südlichen Seitenwand des überdachten Treppenaufgangs vor dem Haupteingang des Hauptbahnhofs Münster abgestellt. Im Laufe des Tages versetzten Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt das Rad zu einer mehrere Straßen entfernten Sammelstelle, wo der Eigentümer es einige Tage später abholte. Der 22jährige hielt das Entfernen des Fahrrads für rechtswidrig, klagte deshalb vor dem Verwaltungsgericht und bekam in zwei Instanzen Recht.
Zunächst urteilte das Verwaltungsgericht Münster, die Stadt Münster habe nicht innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt. Die Art und Weise, wie der Kläger sein Fahrrad vor dem Bahnhof abgestellt habe, habe nicht – wie von der Stadt geltend gemacht – gegen die Straßenverkehrsordnung oder brandschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Das Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen oder anderen dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen öffentlichen Verkehrsflächen sei grundsätzlich zulässig. Es verstoße gegen die Straßenverkehrsordnung, wenn Andere geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt würden. Von dem Fahrrad des Klägers seien aber keine Behinderungen oder Belästigungen für Fußgänger ausgegangen, die den Hauptbahnhof Münster durch den Haupteingang betreten oder verlassen wollten. Das Rad habe sich nicht auf dem direkten Weg zwischen den Bushaltestellen bzw. den östlich der Radstation gelegenen Fußgängerwegen und dem Haupteingang des Bahnhofs befunden. Außerdem sei die 6,25 m breite, für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche durch das Rad maximal um einen Meter verkürzt worden. Fußgänger, die üblicherweise zu einer Wand ohnehin etwas Abstand hielten, hätten an dem Fahrrad des Klägers vorbeigehen können, ohne ihre Bewegungsrichtung wesentlich ändern zu müssen. Ein Verstoß gegen brandschutzrechtliche Vorschriften sei ebenfalls nicht ersichtlich. Durch das Fahrrad seien Zufahrten und Aufstellflächen für Fahrzeuge der Feuerwehr nicht blockiert worden. Das werde bereits dadurch deutlich, dass der Beklagte den überdachten Treppenaufgang baurechtlich genehmigt und südlich dieses Aufgangs, etwa in der Mitte der für den Fußgängerverkehr bestimmten Verkehrsfläche, einen Laternenpfahl und zwei weitere Pfosten aufgestellt habe. Dieser Teil der Verkehrsfläche sei auch nicht als Rettungsweg zu qualifizieren.
Das Verwaltungsgericht hatte die Berufung gegen sein Urteil nicht zugelassen. Da das Fahrrad der Stadt Münster aber offensichtlich sehr am Herzen lag, legte die Stadt gegen die Nichtzulassung der Berufung Beschwerde ein.Und verlor mit dieser Nichtzulassungsbeschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen nun ebenfalls.
Die Begründung des OVG: Das Fahrrad des Klägers habe andere Verkehrsteilnehmer nicht behindert. Es habe nur ca. 70 cm in den am Abstellplatz über 6 m breiten Gehweg hineingeragt und damit jedem Fußgänger – auch in der Gruppe, mit Gehhilfe oder mit Gepäck – und jedem Rollstuhlfahrer genügend Raum gelassen, den Bereich zügig zu passieren. Der Kläger habe durch das Abstellen des Fahrrads auch nicht gegen brandschutzrechtliche Vorschriften verstoßen, nach denen Rettungs- und Fluchtwege ständig freizuhalten seien. Die Beklagte habe nicht dargetan, dass die durch das Fahrrad belegte Fläche als Rettungs- und Fluchtweg benötigt werde. Die Fläche sei weder entsprechend beschildert gewesen noch gebe es – bislang – ein Brandschutzkonzept, aus dem sich eine Freihaltepflicht entnehmen lasse. Der Stadt sei es jedoch unbenommen, eine Freihaltepflicht auf der Grundlage eines Brandschutzkonzepts künftig anzuordnen.
Und zum Schluss noch eine kleine Rechnung:
Das Verwaltungsgericht entscheidet durch Kammern (§ 5 VwGO), die mit drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt sind, wenn nicht der Rechtsstreit von der Kammer auf einen Einzelrichter übertragen wurde (§ 6 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Senate (§ 9 VwGO), die ebenfalls mit drei Richtern besetzt sind. Bei der beklagten Stadt hat sich im Rechtsamt sicherlich auch ein Jurist mit dem Fahrrad beschäftigen müssen. Ob der Kläger anwaltlich vertreten war, ist nicht erkennbar, aber wahrscheinlich. Macht mindestens sechs Juristen, die sich auf Staatskosten (bzw. städtische Kosten) mit der Versetzung eines Fahrrades um zwei Straßen beschäftigen mussten. Die Gerichte können sich ihre Fälle nicht aussuchen. Aber den Parteien könnte man manchmal etwas mehr Augenmaß wünschen.
Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 11. Juli 2008 – 1 K 1536/07
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Januar 2009 – 5 A 2239/08