Gerichtliche Sachentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung

Eine gerichtliche Sachentscheidung, die nach Beendigung der Rechtshängigkeit des Verfahrens – hier infolge übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen – ergeht, ist von Anfang an unwirksam. Eine solchermaßen unwirksame Entscheidung kann zulässigerweise Gegenstand eines Rechtsmittels sein, wenn Zweifel an ihrer Wirksamkeit bestehen.

Gerichtliche Sachentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung

Das Rechtsmittelgericht kann sich in diesem Fall auf die Feststellung beschränken, dass die Sachentscheidung von Anfang an unwirksam ist. Die prozessordnungsmäßige Kostenentscheidung (z.B. nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO) hat dasjenige Gericht zu treffen, bei dem das Verfahren im Zeitpunkt der Beendigung der Rechtshängigkeit anhängig war. Eine förmliche Zurückverweisung ist hierfür nicht erforderlich.

Während hinsichtlich der Gerichtskosten eines solchen Rechtsmittelverfahrens § 21 GKG Anwendung finden kann, können die außergerichtlichen Kosten nach dem Rechtsgedanken des § 154 Abs. 4 VwGO der Staatskasse auferlegt werden.

Zulässigkeit der Beschwerde[↑]

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist in einem solchen Fall zulässig, auch wenn dieser nicht wirksam ist. Zwar können in zulässiger Weise Rechtsmittel grundsätzlich nur gegen wirksame gerichtliche Entscheidungen erhoben werden; eine Ausnahme hiervon ist aber zu machen, wenn – wie hier – Zweifel am Bestehen einer wirksamen Entscheidung bestehen1.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13.02.2015 war mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung von Anfang an unwirksam, da vor seinem Erlass übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten beim Verwaltungsgericht vorlagen und damit die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits unmittelbar („ipso iure“) endete2. Die Erledigungserklärung der Antragstellerin ging am Nachmittag des 12.02.2015 und damit bevor das Verwaltungsgericht den Beschluss vom 13.02.2015 fasste, per Telefax über das Empfangsgerät der Gemeinsamen Annahmestelle im Haus der Gerichte ein. Die Gemeinsame Annahmestelle ist Teil des Gerichts, so dass die Antragstellerin hiermit die vom Verwaltungsgericht gesetzte Frist zur Abgabe einer Erledigungserklärung bis zum 12.02.2015 „Eingang bei Gericht“ eingehalten hat. Entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Fristsetzung kam es nicht darauf an, wann das Schreiben auf der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts einging bzw. der Berichterstatterin vorlag. Die Antragsgegnerin hatte ihrerseits bereits mit Schriftsatz vom 07.01.2015 eine Erledigungserklärung abgegeben.

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Rechtshängigkeit bei einseitiger Erledigungserklärung

Eine Sachentscheidung, die nach Beendigung der Rechtshängigkeit des Rechtsstreits ergeht, ist unwirksam. Wenn eine Sachentscheidung durch die nach ihrem Ergehen erklärte Rücknahme von Klage, Antrag oder Rechtsmittel oder durch übereinstimmende Erledigungserklärungen wirkungslos wird (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO), folgt hieraus, dass eine Sachentscheidung, die erst nach Rücknahme bzw. nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen ergeht, von Anfang an wirkungslos bleibt3.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den somit wirkungslosen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13.02.2015 ist zulässig, da zumindest Zweifel hinsichtlich des Bestands der Entscheidung, gerade auch der darin enthaltenen Kostenentscheidung, bestehen, die mit der Beschwerde ausgeräumt werden können. Diese Zweifel resultieren vor allem aus dem Verhalten der Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts, nachdem ihr – laut Vermerk bzw. Verfügung am 18.02.2015 – die Erledigungserklärung der Antragstellerin vorlag. Zu diesem Zeitpunkt hätte Anlass bestanden, den verwaltungsgerichtlichen Beschluss (deklaratorisch) für unwirksam zu erklären und eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu erlassen, zumal Rücknahme und Erledigungserklärung auch nach Ergehen einer Entscheidung bis zu deren Rechtskraft möglich sind4. Stattdessen wurde der Schriftsatz mit der Erledigungserklärung der Antragsgegnerin übersandt und ansonsten zu den Akten genommen. Als am 19.02.2015 die Beschwerde der Antragstellerin mit dem Hinweis auf die am 12.02.2015 abgegebene Erledigungserklärung einging, verfügte die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts die Vorlage der Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht.

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Vor diesem Hintergrund kann der Antragstellerin nicht vorgehalten werden, sie hätte anstelle einer Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zunächst eine einfachere Möglichkeit, nämlich einen Hinweis an das Verwaltungsgericht mit der Anregung zur Selbstkorrektur, ergreifen müssen.

Feststellung der Wirkungslosigkeit[↑]

Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung von Anfang an wirkungslos; dies wird klarstellend im Tenor festgestellt.

Kostenentscheidung[↑]

Das Beschwerdegericht sieht sich allerdings nicht als gehalten an, die von § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO gebotene Kostenentscheidung für das vorläufige Rechtsschutzverfahren zu treffen, dessen Rechtshängigkeit bereits endete, als es noch beim Verwaltungsgericht anhängig war.

Zuständig für die Kostenentscheidung im Fall der Beendigung des Verfahrens durch Rücknahme oder übereinstimmende Erledigungserklärung ist das Gericht, bei dem das Verfahren im Zeitpunkt der Beendigung anhängig ist. Zwar ist das Rechtsmittelgericht zur (deklaratorischen) Einstellung des gesamten Verfahrens und zur Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO berufen, wenn (erst) zusammen mit einem Rechtsmittel die zur Beendigung des Rechtsstreits führende Erklärung abgegeben wird; denn in diesem Fall ist das Verfahren bereits beim Rechtsmittelgericht anhängig. Im vorliegenden Fall ist aber inhaltlich nicht mehr der ursprüngliche Rechtsstreit ans Beschwerdegericht herangetragen worden, sondern nur die Frage, ob das Verwaltungsgericht bei der gegebenen Verfahrenslage noch eine Sachentscheidung treffen durfte. Ähnlich wie im Fall eines Rechtsmittels gegen eine ihrer äußeren Form nach inkorrekte Entscheidung die Prüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts eingeschränkt sein kann5, ist vorliegend für eine Sachprüfung, und sei es nur in Form der Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, kein Raum. Das lässt sich auch damit rechtfertigen, dass ein Rechtsmittelführer im Wege eines Rechtsmittels gegen eine „inkorrekte Entscheidung“ – hier nicht hinsichtlich der äußeren Form, sondern der inhaltlichen Art (Sachentscheidung anstatt Einstellungsbeschluss) – keine Prüfung erreichen kann, die ihm bei korrekter Entscheidung versagt bliebe6; gegen die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO, die hier seitens des Verwaltungsgerichts veranlasst war, hätte das Oberverwaltungsgericht keine Entscheidungsbefugnisse7.

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Auch Überlegungen der Verfahrenserleichterung8 gebieten es nicht, dass das Beschwerdegericht hier die Kostenentscheidung für das während der Anhängigkeit beim Verwaltungsgericht beendete Verfahren trifft. Im Gegenteil sprechen diese Überlegungen gerade für die hier vertretene Auffassung. Anders als beim Verwaltungsgericht, in der regelmäßig der Berichterstatter über die Verfahrenseinstellung und die Kostenfolge aus diesem Anlass zu entscheiden hat (§ 87a Abs. 1 Nr. 3 und 5, Abs. 3 VwGO), müsste die Kostenentscheidung hier vom vollbesetzten Spruchkörper des Beschwerdegerichts getroffen werden. Vor allem aber müsste sich das Beschwerdegericht, das bislang mit dem Verfahren nicht befasst war, erst einen – je nach Verfahren durchaus zeitaufwändigen – Überblick über den Sach- und Streitstand des Verfahrens im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses verschaffen, um eine den Anforderungen des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO gerecht werdende Kostenentscheidung fällen zu können. Auch Gründe der Verfahrensbeschleunigung spielen hier keine Rolle, da das Rechtsschutzverfahren als solches durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen inhaltlich schon abgeschlossen ist.

Es ist nicht erforderlich, den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zu dem Zweck förmliche zurückzuverweisen, die noch offene Kostenentscheidung zu treffen; dies dürfte hier im übrigen auch bei analoger Anwendung von § 130 VwGO im Beschwerdeverfahren9 nicht zulässig sein. Infolge der Feststellung, dass der Beschluss vom 13.02.2015 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung unwirksam ist, fehlt es noch an einer prozessrechtskonformen Kostenentscheidung, die das Verwaltungsgericht nachzuholen hat, sobald ihm die Akten wieder zugegangen sein werden10.

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Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren[↑]

Die an sich für das Beschwerdeverfahren anfallenden Gerichtskosten werden nicht erhoben, da sie bei richtiger Behandlung der Sache durch das Verwaltungsgericht nicht entstanden wären (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Da das Verwaltungsgericht in seiner – durchaus berechtigten – „letztmaligen“ Aufforderung an die Bevollmächtigte der Antragstellerin, ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse zu belegen bzw. eine prozessgestaltende Erklärung abzugeben, als Fristende den 12.02.2015 mit dem Zusatz „Eingang bei Gericht“ bestimmt hatte, durfte es in der Sache nicht vor Ablauf einer Wartezeit entscheiden, die den gerichtsinternen Postlauf von der Gemeinsamen Annahmestelle im Haus der Gerichte zur Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts und von dort zur Berichterstatterin umfasste. Darüber hinaus hätte ggf. auch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden müssen, dass die Antragstellerin innerhalb der gesetzten Frist eine Erklärung bei der Gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg abgegeben hat, was aufgrund einer Anordnung der Behörde für Justiz und Gleichstellung auch für das Verwaltungsgericht fristwahrende Wirkung hat. Erfahrungsgemäß kann der Postlauf von dort zum Verwaltungsgericht und zur zuständigen Geschäftsstelle einige Tage dauern.

Jedenfalls aber hätte das Verwaltungsgericht, nachdem der Berichterstatterin die Erledigungserklärung vorlag – schon am 18.02.2015, erst recht aber, nachdem die Antragstellerin mit zutreffender Begründung Beschwerde erhoben hatte – Anlass gehabt, den Beschluss vom 13.02.2015 für wirkungslos zu erklären und eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffen. § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO hätte dem nicht entgegengestanden, da die Unwirksamkeitserklärung kein Fall einer inhaltlichen Abhilfe im Sinn von § 148 VwGO ist. Auf diese Weise wäre eine Befassung des Oberverwaltungsgerichts vermieden worden.

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Gegenstandswert in Dublin-Verfahren

Da Gerichtsgebühren nicht erhoben werden, ist eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren nicht erforderlich.

Kostenentscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten[↑]

Etwaige außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt. Dies beruht auf einer analogen Anwendung von § 154 Abs. 4 VwGO bzw. auf dem dieser Vorschrift zugrunde liegenden Rechtsgedanken. Hiernach können die Kosten eines (hier nicht gegebenen) Wiederaufnahmeverfahrens auf denjenigen abgewälzt werden, in dessen Verantwortungsbereich der Wiederaufnahmegrund gesetzt worden ist und der dadurch die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens veranlasst hat. Im Sinn von § 154 Abs. 4 VwGO ist ein Wiederaufnahmeverfahren schon dann erfolgreich, wenn der Wiederaufnahmeantrag zulässig ist und ein Wiederaufnahmegrund vorliegt11. Übertragen auf den vorliegenden Fall, in dem die Antragstellerin mit Erfolg rügt, dass der Beschluss vom 13.02.2015 nicht mehr hätte ergehen dürfen, wäre es nicht angemessen, die Antragsgegnerin als im Beschwerdeverfahren formal Unterliegende mit Kosten zu belasten. Zum einen verteidigt sie den angefochtenen Beschluss nicht als in der Sache richtig. Zum anderen liegt der Grund für die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses nicht im Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin, sondern allein in dem des Gerichts. Insoweit liegt der Vorschrift des § 154 Abs. 4 VwGO eine ähnliche Intention zugrunde wie sie für die Gerichtsgebühren in § 21 GKG enthalten ist12.

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. März 2015 – 1 Bs 72/15

  1. vgl. Kopp/Schenke, VwGO, VwGO, 20. Aufl.2014, Vorb § 124 Rn. 21[]
  2. vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 161 Rn. 7 und 15[]
  3. vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.07.1993, 22 E 362/97, NVwZ-RR 1994, 702[]
  4. vgl. für den Fall der Erledigungserklärung Kopp/Schenke, a.a.O., § 161 Rn. 12 m.w.N.[]
  5. vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.06.1968, VIII C 52.68, BVerwGE 30, 91, 98[]
  6. BVerwG, a.a.O.; vgl. auch Kopp/Schenke, a.a.O., Vorb § 124 Rn. 23 m.w.N.[]
  7. siehe §§ 92 Abs. 3 Satz 2 in entsprechender Anwendung, § 158 Abs. 2 VwGO[]
  8. vgl. hierzu bei einer anderen Verfahrenslage Thür. OVG, Beschluss vom 1.10.1998, 2 VO 622/98, NVwZ-RR 278[]
  9. vgl. hierzu Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl.2014, § 150 Rn. 7[]
  10. vgl. hierzu, wenn auch bei anderer Konstellation: BVerwG, Beschluss vom 12.07.1990, 4 NB 17.90, NVwZ-RR 1991, 53 f.[]
  11. vgl. Neumann in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 154 Rn. 82 und 85[]
  12. vgl. Just in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl.2013, § 154 VwGO Rn. 25[]
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Wenn der Klageentwurf zum Urteil führt…