Gesichtsverhüllende Verschleierung im Unterricht und die freie Religionsausübung

Die im Grundgesetz geschützte Freiheit, die Lebensführung an der Glaubensüberzeugung auszurichten, kann beschränkt werden, wenn die Ausübung der Glaubensfreiheit durch Tragen des Niqabs während des Unterrichts die Durchführung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags behindert. Bei einer gesichtsverhüllenden Verschleierung einer Schülerin wird eine nonverbale Kommunikation im Wesentlichen unterbunden.

Gesichtsverhüllende Verschleierung im Unterricht und die freie Religionsausübung

So der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem hier vorliegenden Fall einer Schülerin muslimischen Glaubens, die sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen das Verbot einer Berufsoberschule gewehrt hat, im Unterricht einen gesichtsverhüllenden Schleier zu tragen. Mit Beginn des Schuljahres 2013/2014 war die Antragstellerin in die Vorklasse der staatlichen Berufsoberschule aufgenommen worden. Ihre Aufnahme wurde widerrufen, nachdem sie sich geweigert hatte, ohne eine gesichtsverhüllende Verschleierung durch das Tragen eines Niqabs am Unterricht teilzunehmen.

Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stehen der beabsichtigten Ausübung der Glaubensfreiheit durch Tragen des Niqabs während des Unterrichts Rechtsgüter von Verfassungsrang entgegen: Zwar werde die Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährt, jedoch werde sie beschränkt durch das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen, dem ebenfalls Verfassungsrang zukomme. Die im Grundgesetz geschützte Freiheit, die Lebensführung an der Glaubensüberzeugung auszurichten, könne insoweit beschränkt werden, als religiös bedingte Verhaltensweisen die Durchführung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags in einer Weise behinderten, dass ihm der Staat nicht mehr oder nur unzureichend nachkommen könne.

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In zulässiger Weise sei der Grundsatz offener Kommunikation der Unterrichtsgestaltung im Gegensatz zum einseitigen, monologen Vortrag der Lehrkraft zu Grunde gelegt worden. Die offene Kommunikation im Unterricht beruhe nicht nur auf dem gesprochenen Wort, sondern sei auch auf nonverbale Elemente, wie Mimik, Gestik und die übrige sog. Körpersprache angewiesen, die zum großen Teil unbewusst ausgedrückt und wahrgenommen werde. Fehlten diese Kommunikationselemente, sei die offene Kommunikation als schulisches Funktionserfordernis gestört. Bei gesichtsverhüllender Verschleierung einer Schülerin werde eine nonverbale Kommunikation im Wesentlichen unterbunden.

Daher ist das Verlangen, dass die Antragstellerin während der Teilnahme am Unterricht auf das Tragen eines gesichtsverhüllenden Schleiers verzichtet, mit dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit vereinbar.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. April 2014 – 7 CS 13.2592