Die Finanzzuweisungen des Landes Rheinland-Pfalz an seine Kommunen reichen angesichts stark gestiegener Sozialausgaben schon seit längerem nicht mehr aus, um den Kommunen eine der Landesverfassung entsprechende angemessene Finanzausstattung zu sichern. Der Landesgesetzgeber hat den kommunalen Finanzausgleich daher zum 1. Januar 2014 neu zu regeln und hierbei auch die Zuweisungen an die Landkreise und Gemeinden deutlich und effektiv zu erhöhen. Dies entschied jetzt der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Die finanzielle Lage der Kommunen in Rheinland-Pfalz ist seit Jahrzehnten angespannt. Bereits im 22. Jahr in Folge blieben 2011 die Einnahmen hinter den Ausgaben zurück. Gleichzeitig wachsen die von Gesetzes wegen nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe vorgesehenen Kassenkredite weiter an. Schon Ende 2010 überstieg die Pro-Kopf-Verschuldung aus Kassenkrediten den Durchschnitt der deutschen Flächenländer um fast 150 %. Eine wesentliche Ursache für die außerordentlichen Defizite liegt in den hohen Sozialausgaben der Kommunen.
Vor diesem Hintergrund hat der Landkreis Neuwied das Land Rheinland-Pfalz auf Erhöhung der so genannten Schlüsselzuweisungen für das Jahr 2007 verklagt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat sodann im Dezember 2010 das Verfahren ausgesetzt und dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz die Frage vorgelegt, ob die Regelungen über die Ermittlung der Schlüsselzuweisungen des Jahres 2007 angesichts stark gestiegener Sozialausgaben noch den Anforderungen an eine verfassungsgemäße Finanzausstattung der Kommunen entsprechen1.
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz erklärte jetzt die Vorschriften über die Finanzausgleichsmasse und die Schlüsselzuweisungen ab 2007 für unvereinbar mit der Landesverfassung. Der Gesetzgeber muss bis spätestens 1. Januar 2014 eine verfassungsgemäße Neuregelung treffen.
Die Bestimmungen verstießen, so die Koblenzer Verfassungsrichter, gegen die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungs- und Finanzausstattungsgarantie, die das Land verpflichte, den Kommunen eine angemessene Finanzausstattung zu sichern.
Der Gesetzgeber habe bei der Bemessung seiner Finanzzuweisungen an die Kommunen den Grundsatz der Verteilungssymmetrie verletzt, der eine gleichmäßige und gerechte Aufteilung der verfügbaren Finanzmittel auf die verschiedenen Ebenen gebiete. Zwar sei die finanzielle Lage des Landes 2007 bei rein rechnerischer Betrachtung ähnlich angespannt gewesen wie diejenige der Kommunen: Sowohl das Land als auch die Kommunen hätten außerordentlich hohe Defizite zu verkraften und seien im Bundesvergleich überdurchschnittlich hoch verschuldet. Dennoch sei das Land aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit zu einer spürbaren Erhöhung seiner Finanzzuweisungen verpflichtet gewesen. Denn die Finanzprobleme der Kommunen seien weitgehend fremdbestimmt. Sie seien maßgeblich auf die hohen Soziallasten und damit auf Kosten aus staatlich zugewiesenen Aufgaben zurückzuführen. Die Sozialausgaben der Kommunen seien allein von 2000 bis 2007 um etwa 51 % auf 1,8 Milliarden € angewachsen. Schon im Jahr 2006 seien auf kommunaler Ebene fast die Hälfte der für laufende Zwecke eingesetzten freien Finanzmittel für soziale Leistungen aufgewendet worden. Bei den Landkreisen habe dieser Anteil sogar bei über 74 % gelegen. Der Mitverantwortung des Landes für die Finanzierung der Sozialausgaben stehe nicht entgegen, dass ein Großteil der Sozialgesetze durch den Bund erlassen worden seien. Das Land müsse sich von Verfassungs wegen auch Kosten aus Bundesgesetzen zurechnen lassen, da die Kommunen keine eigenen Rechtsbeziehungen zum Bund unterhielten. Das Land sei verpflichtet, die finanziellen Belange der Kommunen auf Bundesebene als eigene zu wahren und durchzusetzen.
Des Weiteren habe der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs gegen das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung verstoßen. Er habe bei der Verteilung der Finanzmittel des Jahres 2007 die Landkreise und kreisfreien Städte gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden sachwidrig benachteiligt. Die Sozialausgaben der Landkreise und kreisfreien Städte seien von 2000 bis 2007 stark angewachsen, diejenigen der kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden hingegen rückläufig gewesen. Hierdurch sei es zu erheblichen finanziellen Ungleichgewichten zwischen den Gebietskörperschaftsgruppen gekommen. Die Landkreise hätten in den Jahren 2001 bis 2007 insgesamt mit 2,3 Milliarden € im Minus, die Kreisgemeinden hingegen mit 2,2 Milliarden € im Plus gelegen. Dieser Entwicklung habe der Gesetzgeber nicht angemessen Rechnung getragen. Der Soziallastenansatz im kommunalen Finanzausgleich habe die Ungleichgewichte angesichts seines geringen Volumens und seiner strukturellen Schwächen nicht beseitigen können.
Die zur Überprüfung gestellten Bestimmungen über die Finanzausgleichsmasse und die Schlüsselzuweisungen des Jahres 2007 seien daher für unvereinbar mit der Landesverfassung zu erklären. Von einer rückwirkenden Nichtigerklärung sehe der Verfassungsgerichtshof ab. Ein sofortiges Außerkrafttreten großer Teile des Landesfinanzausgleichsgesetzes laufe nämlich dem Erfordernis einer geordneten Finanz- und Haushaltswirtschaft zuwider, das ebenfalls Verfassungsrang habe.
Die stattdessen gebotene Unvereinbarkeitserklärung sei auf die entsprechenden Vorschriften sämtlicher Folgejahre zu erstrecken. Denn jedenfalls der festgestellte Verstoß gegen den Grundsatz der Verteilungssymmetrie bestehe bis heute fort. Die finanzielle Lage der Kommunen habe sich seit 2007 weiter zugespitzt. Auch in den Jahren 2008 bis 2011 seien ihre Einnahmen weit hinter den Ausgaben zurückgeblieben. Ihre ohnehin hohen Sozialausgaben seien bis Ende 2010 nochmals um 25 % angewachsen.
Spätestens zum 1. Januar 2014 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bis dahin blieben die von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Bestimmungen weiterhin anwendbar.
Im Rahmen der erforderlichen Neuregelung habe das Land einen spürbaren Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise zu leisten. Dieser spürbare Beitrag müsse jedenfalls auch in einer effektiven und deutlichen Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung bestehen. Hierbei habe sich der Gesetzgeber insbesondere an der Steigerung der Soziallasten als einer wesentlichen Ursache der kommunalen Finanzkrise zu orientieren. Zudem dürfe er nicht aus den Augen verlieren, dass die nach Art. 49 der Landesverfassung zu sichernde angemessene Finanzausstattung den Kommunen grundsätzlich auch die Wahrnehmung freier, nicht kreditfinanzierter Selbstverwaltungsaufgaben ermöglichen müsse. Denn die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände sei von großer Bedeutung für die Lebensqualität der Bürger vor Ort.
Daneben bleibe es dem Land unbenommen, auf die festgestellte Unterfinanzierung der Kommunen auch durch eine Entlastung auf der Ausgabenseite zu reagieren, etwa durch die Rückführung kommunaler Aufgaben oder die Lockerung gesetzlicher Standards. Im Gegenzug für seinen zusätzlichen Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise könne das Land verlangen, dass auch die Kommunen ihre Kräfte größtmöglich anspannen. Insbesondere müssten die Kommunen ihre eigenen Einnahmequellen angemessen ausschöpfen und Einsparpotenziale bei der Aufgabenwahrnehmung verwirklichen.
Die über Jahrzehnte gewachsene kommunale Finanzkrise erfordert von Verfassungs wegen ein entschlossenes und zeitnahes Zusammenwirken aller Ebenen. Die Schere zwischen den verfügbaren Finanzmitteln und dem, was die Kommunen leisten sollen, ohne neue Schulden anzuhäufen, muss wieder geschlossen werden. Dem zweifellos ebenfalls hoch belasteten Land fällt dabei die Hauptverantwortung zu, weil es immer noch über größere Gestaltungsmöglichkeiten verfügt als die stark fremdbestimmten Kommunen.
Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11
- OVG RLP, Beschluss vom 15.12.2010 – 2 A 10738/09.OVG[↩]