Kein Durchblick trotz Glasbausteinen

Ist ein Nachbargrundstück aufgrund eines behördlich angeordneten Einhaltens eines Abstandes nach § 8 Abs. 4 NBauO baulich nicht mehr angemessen nutzbar durch eine in einer älteren Baugenehmigung zugelassen Wand aus Glasbausteinen, die zur Belichtung eines Treppenhauses dient, kann sich der Genehmigungsinhaber bei faktisch geschlossener Bauweise nicht mit Erfolg gegen eine Baugenehmigung für ein Nachbarvorhaben wenden, das an diese Grenzwand angebaut werden soll.

Kein Durchblick trotz Glasbausteinen

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin für ein benachbartes, in geschlossener Bauweise zu errichtendes Wohnhaus, weil die Genehmigung das „Verbauen“ von genehmigten Glasbausteinen für ein Treppenhaus im Wohnhaus der Antragstellerin zulässt.

Mit ihrer dagegen gerichtete Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, der Nachbarschutz reiche im unbeplanten Innenbereich weiter als im Plangebiet. In letzterem könne sich der Bauherr auf die Planfestsetzungen einrichten. Im unbeplanten Innenbereich gebe es derart feste Vorgaben nicht; so könne nicht pauschal darauf abgestellt werden, dass in der näheren Umgebung bis zu einer bestimmten Tiefe geschlossene Bebauung vorherrsche. Das Rücksichtnahmegebot schütze den konkreten Bestand; Licht spendende Öffnungen, auf deren Bestand man viele Jahre habe vertrauen können, dürften deshalb nicht zugebaut werden.

Dagegen ist das Oberverwaltungsgericht Lüneburg der Ansicht, das der Nachbarschutz im unbeplanten Innenbereich keinesfalls weiter als im Plangebiet geht. Grundsätzlich ist der Nachbarschutz im Innenbereich nur zögernd demjenigen im Plangebiet angenähert worden1. Insbesondere die Frage, welche Bauweise im Sinne des § 22 BauNVO vorherrscht, stellt sich im Zusammenhang mit § 8 NBauO ganz regelmäßig auch im Innenbereich2; lässt sie sich – wie hier – eindeutig beantworten, besteht kein Grund, dem Nachbarn höheren Schutz zuzubilligen als bei gleicher Situation im Plangebiet. Hier zeigt der Auszug aus dem Liegenschaftskataster, dass die Grundstücke im Übrigen bis zur Tiefe des jetzt genehmigten Hauses durchgängig bis zu den seitlichen Grenzen bebaut sind. Die einzige bisherige Lücke bestand danach auf dem Baugrundstück, das ebenfalls östlich an die Grenze gebaut war, entlang der Westgrenze jedoch einen schmalen Durchgang freiließ.

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Daraus ergibt sich: Bereits aus damaliger Sicht hatte die Grenzwand die Funktion einer Brandmauer, was die Genehmigung von Fenstern ausschloss. Es stellte ein Entgegenkommen dem Bauherrn gegenüber dar, dass statt dessen Glasbausteine zugelassen wurden. Diese sind nicht ohne weiteres feuerbeständig3. Gleichwohl war der Sinn dieses Kompromisses ersichtlich der, dass durch das Oberlicht die erforderliche Belichtung sicherzustellen war, dem Bauherrn aber die Chance belassen werden sollte, bis zu einem seitlichen Anbau durch den Nachbarn die zusätzliche seitliche Belichtung zu genießen. Dass diese Chance viele Jahre lang genutzt werden konnte, rechtfertigt es nicht, dem Eigentümer des Nachbargrundstücks auch für die Zukunft eine angemessene Nutzung seines Eigentums zu versagen.

Darin liegt keinesfalls ein Widerspruch zur damaligen Gerichtsentscheidung. So wurde zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen, dass die Baugenehmigungsbehörde dem damalige Bauherrn nach § 8 Abs. 1 Satz 2 NBauO a.F. (entspricht heutigem § 8 Abs. 4 NBauO) die Einhaltung eines Abstandes abverlangen durfte. Ermessenfehlerfrei konnte und kann sie dies nur tun, wenn der Bauherr auf seinem Grundstück genügend Platz für eine Standortverschiebung hat. Das ist hier nicht der Fall. Das Baugrundstück ist an der Straße nur 8 m breit. Selbst wenn man nicht in Rechnung stellt, dass im Erdgeschoss auch eine Durchfahrt zum dahinter liegenden Teil des Grundstücks angeordnet ist, verbleibt damit für eine angemessene Nutzung des straßenseitigen Teils des Grundstücks nur wenig Raum.

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Es kann dem Bauherrn nicht angesonnen werden, zusätzliche Teile seines Grundstücks zu „opfern“. § 8 Abs. 4 NBauO verlangt die Einhaltung des Abstandes nach den § 7 bis 7 b NBauO, also mindestens 3 m, so dass ein Neubau in Gestalt des abgebrochenen Gebäudes nicht in Betracht kommt. Damit würde das Grundstück praktisch unbebaubar. Infolgedessen kommt hier dem Gesichtspunkt, dass der die Brandwand entgegen ihrer Funktion für Belichtungszwecke nutzende Genehmigungsinhaber auch auf „architektonische Selbsthilfe“ verwiesen werden kann, weit größere Bedeutung zu als in dem damals entschiedenen Fall mehrerer Fenster zu Aufenthaltsräumen.

Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2011 – 1 ME 275/10

  1. vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91; BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546[]
  2. vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 8 Rdnr. 5; Boeddinghaus, BauR 2008, 1249[]
  3. vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 30 Rdnr 19[]