Die vollständige Untersagung der Erbringung von Dienstleistungen in Tattoo-Studios kann derzeit nicht mehr als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG angesehen werden.

Vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ist so in dem hier vorliegenden Fall des Eilantrags eines Tattoo-Studio-Betreibers entschieden worden. Gleichzeitig ist die in § 7 Abs. 2 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (im Folgenden: Corona-Verordnung) angeordnete Schließung von Tattoostudios vorläufig außer Vollzug gesetzt worden.
Nach Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts könne die vollständige Untersagung der Erbringung von Dienstleistungen in Tattoo-Studios derzeit nicht mehr als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG angesehen werden. Das Infektionsgeschehen habe sich auch aufgrund der von den Infektionsschutzbehörden ergriffenen Maßnahmen in letzter Zeit verlangsamt. Die Zahl der Neuinfektionen, aber auch die Zahl der tatsächlich (noch) Infizierten sei deutlich zurückgegangen. Auch wenn die Gefahr der Verbreitung der Infektion und die daran anknüpfende Gefahr der mangelnden hinreichenden Behandelbarkeit schwer verlaufender Erkrankungen wegen fehlender spezifischer Behandlungsmöglichkeiten und nicht unbegrenzt verfügbarer Krankenhausbehandlungsplätze fortbestehe, habe sich diese Gefahr deutlich vermindert. Diese Gefahreneinschätzung liege offenbar auch dem Plan der Niedersächsischen Landesregierung „Nach dem Lockdown – Neuer Alltag in Niedersachsen, Stufenplan“ vom 4. Mai 2020 und der darauf basierenden Corona-Verordnung vom 8. Mai 2020 zugrunde. Dieser Konzeption des Antragsgegners folgend sei die zuletzt noch durch die 4. Corona-Verordnung vom 17. April 2020 verlängerte Untersagung der Erbringung von Dienstleistungen unter anderem durch Friseure, Tattoo-, Nagel- und Kosmetikstudios, Physiotherapeuten und Fahrschulen aufgehoben oder „gelockert“ worden. Den Regelungen sei die Einschätzung des Verordnungsgebers zu entnehmen, dass auch bei eigentlich „nicht dringend notwendigen Dienstleistungen, bei denen der Mindestabstand von 1,5 Metern von Mensch zu Mensch nicht eingehalten werden könne“, die zunächst vollständige Untersagung der Dienstleistung nicht mehr als notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 anzusehen sei, sondern die mit der Nichteinhaltung des Abstandsgebots fraglos weiterhin verbundenen erhöhten Infektionsgefahren hinreichend effektiv durch Hygienemaßnahmen vermindert werden könnten.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht betont, dass diese Einschätzung des Verordnungsgebers nicht zu beanstanden sei, gelte aber in gleicher Weise für die Erbringung „körpernaher Dienstleistungen“ in einem Tattoo-Studio. Denn insoweit sei weder vom Antragsgegner ein nachvollziehbarer sachlicher Grund für eine abweichende Bewertung dargetan noch sei ein solcher Grund für den Senat offensichtlich. Aus dem Vorbringen des Antragsgegners ergebe sich insbesondere keine belastbaren tatsächlichen Erkenntnisse dafür, dass das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 durch Blut oder Blutprodukte übertragbar sei.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 13 MN 165/20