Kurbeitrag – und seine Kalkulation

Mit den Anforderungen an die ermessensfehlerfreie Berücksichtigung des sog. Eigenanteils einer Gemeinde bei der Kalkulation der Kurabgabe als Grundlage der satzungsrechtlichen Festsetzung des Abgabensatzes hatte sich aktuell das Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern zu befassen:

Kurbeitrag – und seine Kalkulation

Im hier entschiedenen Fall bleibt bei der Kalkulation der Kurabgabe nach den Bestimmungen der Kurabgabensatzung von den nach Abzug der vereinnahmten Gebühren und Entgelte für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und die Teilnahme an allgemein zugänglichen Veranstaltungen verbleibenden Aufwendungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf für die in Absatz 1 genannten Zwecke ein dem Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf entsprechender Anteil („Eigenanteil“) außer Ansatz.

Dieser Eigenanteil bleibt „bei der Kalkulation der Kurabgabe“ außer Ansatz, ist also Gegenstand der Kalkulation, die die Grundlage der Festsetzung des Abgabensatzes bildet. Insoweit ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Der Gemeindevertretung muss nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bei der Beschlussfassung einer Abgabensatzung neben der Beschlussvorlage über die Satzung selbst eine Kalkulation über die Abgabensätze vorliegen. Wird dem Rechtssetzungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Abgabensatzes zur Folge, weil das Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Festsetzung der Abgabensätze eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei hat ausüben können. Die Ungültigkeit einer Abgabensatzung ist dann anzunehmen, wenn in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand angesetzt und daher gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot verstoßen wird oder wenn erhebliche methodische Fehler die Feststellung unmöglich machen, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot beachtet ist oder nicht1.

Die Kalkulation für das Erhebungsjahr 2010 ist diesen Grundsätzen nicht gerecht geworden, der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010 bei der Kalkulation außer Ansatz zu lassende Eigenanteil der Gemeinde ermessensfehlerhaft bestimmt bzw. bei der Kalkulation berücksichtigt worden ist und daraus die Gesamtnichtigkeit der Kurabgabensatzung folgt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 KAG M-V).

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Die „Gebührenkalkulation Kurabgabe 2010“ weist einen „Eigenanteil“ oder einen „dem Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf entsprechenden Anteil“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010 schon nicht ausdrücklich aus. Das Verwaltungsgericht hat den in der Gebührenkalkulation unter Ziffer 16 ausgewiesenen „Liquiditätszuschuss der Gemeinde“ in Höhe von 3.461 EUR im Ansatz augenscheinlich als Eigenanteil im Sinne der Satzung gelten lassen wollen. Dem Zulassungsvorbringen des Gemeinde ist ein ebensolches Verständnis zu entnehmen, wenn dort vorgetragen wird, der den Einwohnern zuzurechnende Anteil müsse aus allgemeinen Deckungsmitteln bestritten werden, d.h. „vorliegend durch den Liquiditätszuschuss sowie die Deckung eines entstehenden Verlustes“.

Bereits dieser Betrachtungsweise vermag sich das Oberverwaltungsgericht nicht anzuschließen. Der Eigenanteil der Gemeinde korreliert nach Maßgabe von § 1 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010 mit „dem Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf“, d.h. er muss ihm „entsprechen“. Der in der Kalkulation ausgewiesene Liquiditätszuschuss korreliert offensichtlich gerade nicht mit „dem Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf“, sondern ist in seiner Höhe schlicht das Ergebnis der Subtraktion der Erlöse aus der Kurabgabe von den abzugsfähigen Kosten und entspricht damit der danach verbleibenden Deckungslücke. Dies wird der Sache nach mit dem vorstehend wieder gegebenen Zulassungsvorbringen bestätigt. Damit findet der Liquiditätszuschuss seinen Grund bzw. seine Rechtfertigung nicht in Abhängigkeit vom Nutzen für die Gemeindeeinwohner sondern in der damit schon auf den ersten Blick nicht im Zusammenhang stehenden Notwendigkeit bzw. kalkulatorischen Zielstellung der Schließung einer rechnerischen Deckungslücke; entsprechendes gilt im Übrigen, soweit sich der Gemeinde auch auf die „Deckung eines entstandenen Verlustes“ bezieht. Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung als Rechtssetzungsorgan das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei hat ausüben können: Entweder stellt man sich auf den Standpunkt, schon mangels entsprechender ausdrücklicher Benennung des Eigenanteils in der Kalkulation konnte die Gemeindevertretung ihr Ermessen wegen einer insoweit vollständig fehlenden Grundlage für die erforderliche Ermessensbetätigung diesbezüglich nicht ausüben. Oder man legt das Vorbringen des Gemeinde und die Annahme des Verwaltungsgerichts zugrunde, der Liquiditätszuschuss sollte den satzungsrechtlich vorgeschriebenen Eigenanteil darstellen. Dann war dies für die Gemeindevertretung mit Blick auf die dargelegten Unterschiede zwischen einem Eigenanteil im Sinne der Satzung und dem in der Kalkulation ausgewiesenen Liquiditätszuschuss jedenfalls nicht hinreichend ersichtlich. Auch in diesem Fall konnte die Kalkulation keine Basis für eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über Abgabensatz bzw. Eigenanteil darstellen.

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Ein weiterer Mangel der Kalkulation folgt unmittelbar aus dem Zulassungsvorbingen selbst: Der Gemeinde hat vorgetragen, es sei neben dem Liquiditätszuschuss „ergänzend zu berücksichtigen, dass auch die dem Grunde nach der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf zustehenden Dividenden aus Verträgen mit der Gas- und Energieversorgung dem Eigenbetrieb zur Verfügung gestellt, aber nicht konkret mit im Liquiditätszuschuss ausgewiesen werden“. Ein solcher Mittelzufluss wird in der Kalkulation weder beim Liquiditätszuschuss ausgewiesen noch an anderer Stelle. Daraus folgt zum einen, dass die Kalkulation nach dem eigenen Vortrag des Gemeinde unvollständig ist, zum anderen, dass sie auch insoweit mangels Offenlegung des vorgetragenen Sachverhalts keine taugliche Grundlage für eine ermessensfehlerfreie Festsetzung des Abgabensatzes durch die Gemeindevertretung sein konnte.

Noch handgreiflicher wird die Ermessensfehlerhaftigkeit dieser Festsetzung, berücksichtigt man den wechselnden Vortrag des Gemeinde dazu, warum der Eigenanteil der Gemeinde im Ergebnis deutlich höher als der in der Kalkulation ausgewiesene Liquiditätszuschuss sei, der einem Anteil der Gemeinde von 0, 07 v.H. entspricht. Einerseits ist hier der vorstehend wiedergegebene Vortrag im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen, andererseits etwa derjenige aus dem schon erwähnten Beschwerdeverfahren zum Az. 1 M 109/12. Dort hatte der Gemeinde im Unterschied zum vorliegenden Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 19.07.2012 betreffend die Gebührenkalkulation 2010 ausgeführt, „in der Gruppe der abgabenbefreiten Personen ist die Anzahl der Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf mit einer Anzahl von 9.251 in der Summe von 245.826 befreiten Übernachtungen und 41.897 befreiten Gästen enthalten“, „hiernach fließt die Anzahl der Einwohner in die Gesamtsumme der befreiten Übernachtungen ein und beeinflusst somit die Prozentangabe, mit der die nicht abzugsfähigen Kosten ermittelt werden, so dass hier nicht nur ein symbolischer Eigenanteil eingestellt wird“. Zu diesem Vortrag ist zunächst festzuhalten, dass er inhaltlich abwegig erscheint bzw. aus ihm unmittelbar folgte, dass die Kalkulation offensichtlich rechtswidrig wäre: Zwar sind gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Kurabgabensatzung 2010 zusätzlich von den durch die Kurabgabe zu deckenden Aufwendungen diejenigen Mindereinnahmen abzuziehen, die infolge der Befreiung von der Abgabenpflicht gemäß § 3 entstehen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010 wird die Kurabgabe aber – nur – von allen ortsfremden Personen erhoben, die sich im Erhebungsgebiet (Gemeindegebiet der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf) aufhalten und denen die Möglichkeit zur Benutzung von öffentlichen Einrichtungen oder zur Teilnahme an Veranstaltungen geboten wird. Ortsfremd ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Erhebungsgebiet hat (Abs. 2 enthält insoweit noch weitere Regelungen). Folglich wird die Kurabgabe grundsätzlich nicht von den Einwohnern der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf erhoben; diese sind nicht ortsfremd. Rechnen sie nicht zum abgabenpflichtigen Personenkreis, bedürfen sie auch keiner Befreiung nach § 3 Kurabgabensatzung 2010; folgerichtig enthält die Bestimmung auch keinen entsprechenden Befreiungstatbestand. Dann kommt aus Rechtsgründen eine Berücksichtigung der Anzahl der Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei den befreiten Übernachtungen bzw. in der Kalkulationsposition „nicht abzugsfähige Kosten auf Grund der Befreiung“ nicht in Betracht. Ist sie dennoch erfolgt, steht die Kalkulation in Widerspruch zum maßgeblichen Satzungsrecht und kann schon aus diesem Grunde keine taugliche Grundlage für eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Gemeindevertretung über den Abgabensatz sein. Unabhängig hiervon wäre auch dieser behauptete Sachverhalt, läge er denn tatsächlich so vor, in der Kalkulation nicht ansatzweise dokumentiert. Folglich kann die Kalkulation auch insoweit in Ansehung des Eigenanteils keine tragfähige Grundlage der Ermessensentscheidung gewesen sein. Davon abgesehen bleibt mit Blick auf den dargestellten wechselnden Vortrag und die vorliegende Kalkulation letztlich jedenfalls sogar unklar, welche der jeweils unzulässigen Erwägungen die Festsetzung von Abgabensatz und Eigenanteil rechtfertigen können soll.

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Die dem Oberverwaltungsgericht im vorliegenden und in Parallelverfahren vorliegenden Kalkulationen für die Jahre 2008 bis 2012 bestätigen ebenfalls, dass eine bewusste Ermessensentscheidung der Gemeindevertretung über die Höhe des Eigenanteils nach Maßgabe § 1 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010, also orientiert an „dem Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf“ nicht getroffen worden ist: Für 2008 beträgt der Liquiditätszuschuss etwa 0,35%, für 2009 etwa 0,20%, für 2011 gleich 0 (bei einem negativen Gesamtergebnis von -554.882 €) und für 2012 etwa 4,21% (bei einem negativen Gesamtergebnis von -137.931 €). Angesichts dieser Bandbreite und Schwankungen der Anteilshöhe in Größenordnungen ist nicht erkennbar, dass die Gemeindevertretung orientiert am satzungsrechtlichen Maßstab eine eigenanteilsbezogene Ermessensentscheidung getroffen haben könnte, sondern der entsprechende Zuschuss mehr oder weniger zufällig bestimmt worden ist. Insbesondere in den Jahren 2008 bis 2010 war offensichtlich maßgeblich, dass das Gesamtergebnis auf 0 lauten sollte. Erst recht sind keinerlei Erwägungen ersichtlich, die die Anteilsschwankungen erklären bzw. als insoweit erforderliche Ermessenserwägungen gedeutet werden könnten.

Hinsichtlich der Dokumentation der Ermessensentscheidung der Gemeindevertretung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Wegen des Entgeltcharakters der Kurabgabe und des Äquivalenzprinzips ist in aller Regel ein dem Nutzen für die Einwohner des Erhebungsgebietes entsprechender Anteil außer Ansatz zu lassen. Die gemeindlichen Kur- und Erholungseinrichtungen stehen als öffentliche Einrichtungen nicht nur ortsfremden Personen, sondern auch den Einwohnern des Erhebungsgebietes zur Verfügung, mögen diese die Einrichtungen auch in einem geringeren Maße nutzen, als es die Kurgäste typischerweise tun. Entsprechend regelt § 1 Abs. 2 Satz 1 Kurabgabensatzung 2010 die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines Eigenanteils. Ist danach in aller Regel bzw. – wie hier – satzungsrechtlich die Festlegung eines Eigenanteils geboten, liegt dessen Bestimmung der Höhe nach im weiten Ermessen des Satzungsgebers. Er hat sich dabei an den örtlichen Verhältnissen zu orientieren. Der kommunale Anteil muss nicht in der Satzung festgeschrieben werden, er kann sich auch aus den Kalkulationsunterlagen ergeben2. Erforderlich ist aber in jedem Fall, dass die Gemeindevertretung nachvollziehbare Erwägungen zur Höhe des Eigenanteils anstellt und diese dokumentiert3.

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Diesen Anforderungen wird die „Gebührenkalkulation Kurabgabe 2010“ bzw. Beschlussfassung der Gemeindevertretung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf zum Abgabensatz ebenfalls nicht gerecht. Im vorliegenden Fall ist nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen schon nicht zu erkennen, ob die Vertretungskörperschaft der Antragsgegnerin überhaupt in eine Ermessensbetätigung über die Frage, ob und in welcher Höhe ein auf die Einwohner im Erhebungsgebiet entfallender Anteil vom ermittelten Aufwand abgesetzt werden soll, eingetreten ist. Erst recht fehlt es „folgerichtig“ an einer hinreichenden Dokumentation der notwendigen nachvollziehbaren Erwägungen.

Nach alledem kommt es auf die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, einen Eigenanteil von weniger als 10 v.H. könne die Gemeindevertretung im Sinne eines Mindestmaßes nicht ermessensfehlerfrei beschließen, nicht mehr an; hierauf haben die Kläger in ihrer Zulassungsantragsbegründung zutreffend hingewiesen. Demzufolge vermag das ausschließlich hierauf bezogene Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu wecken. Jedenfalls vermag der im Wesentlichen auf die Bedeutung des Fremdenverkehrs für die Gemeinde Ostseebad Heringsdorf abstellende Vortrag des Gemeinde das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu veranlassen.

Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg -Vorpommern, Beschluss vom 23. Juli 2015 – 1 L 28/13

  1. vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.11.2014 – 1 K 14/11 – 32; Urteil vom 02.06.2004 – 4 K 38/02 – 63, 142 m.w.N.[]
  2. vgl. Holz, in: Aussprung/Siemers/Holz/Seppelt, KAG M-V, Stand: Juli 2013, § 11, Anm.02.07.3 m.w.N.[]
  3. vgl. zum Ganzen OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.11.2014 – 1 K 14/11 – 38[]
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