Lärmemissionskontingente in einem Industriegebiet

Die Lärmemissionskontingentierung eines Industriegebiets ist von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nur gedeckt, wenn ein Teilgebiet von einer Emissionsbeschränkung ausgenommen wird1

Lärmemissionskontingente in einem Industriegebiet

In anderen Fällen kann die Festsetzung der Lärmemissionskontingente auf die einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht gestützt werden. Danach können für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern. 

Das Emissionsverhalten eines Betriebes oder einer Anlage, ausgedrückt in einer Schallabstrahlung pro Quadratmeter, ist eine Eigenschaft von Betrieben und Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, nach der das Gebiet gegliedert werden kann2. Dazu eignen sich Lärmemissionskontingente nach der DIN 45691. Für die geforderte Gliederung muss das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten zerlegt werden3. Diesen Anforderungen genügt der Bebauungsplan. 

Bei einer Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO muss die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets gewahrt bleiben. Allgemeine Zweckbestimmung eines Industriegebiets ist nach § 9 Abs. 1 BauNVO ausschließlich die Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. In Abgrenzung zum Zweck des Gewerbegebiets nach § 8 Abs. 1 BauNVO dient das Industriegebiet der Unterbringung von erheblich störenden Gewerbebetrieben. Dies ist sein Hauptzweck4. Nach oben ist der zulässige Störgrad nicht begrenzt. Die Zweckbestimmung eines Industriegebiets hat das Bundesverwaltungsgericht daher nicht gewahrt gesehen, wenn mit den Emissionskontingenten Gewerbebetriebe ab einem gewissen Störgrad im gesamten Gebiet ausgeschlossen werden5. Die Lärmemissionskontingentierung eines Industriegebiets ist also von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nur gedeckt, wenn ein Teilgebiet von einer Emissionsbeschränkung ausgenommen wird6. Diese Anforderungen verfehlt der Bebauungsplan. Denn er setzt keine von Lärmemissionskontingenten freie Fläche fest.

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Das Bundesverwaltungsgericht hält an diesen Anforderungen sowohl für planinterne Gliederungen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO als auch für planexterne Gliederungen nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO7 fest.

Zwar trifft zu, dass nicht jeder Ausschluss bestimmter Nutzungen zum Wegfall des Gebietscharakters führt, wie § 1 Abs. 5 BauNVO zeigt8. Während aber § 1 Abs. 5 BauNVO es der Gemeinde gestattet, allgemein zulässige Arten von Nutzungen als nicht zulässig festzusetzen, erlaubt § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BauNVO nur, ein Baugebiet intern oder extern zu gliedern. Auf diesen Unterschied hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 07.12.2017 – 4 CN 7.16 –9 hingewiesen.

Die Anforderungen an eine Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO mögen es erschweren, Immissionskonflikte zwischen gewerblichen Nutzungen und schutzbedürftiger Wohnbebauung durch Lärmemissionskontingente zu lösen10. Dies gilt für die Gliederung eines Industriegebietes besonders: Weil es einer von Lärmkontingenten freien Fläche bedarf, wird häufig das Ziel verfehlt werden, Kontingente so zu verteilen, dass Windhundrennen von Investoren vermieden werden11. Es ist aber Sache des Bundesgesetz- und -verordnungsgebers zu entscheiden, ob er praktische Schwierigkeiten zum Anlass nimmt, eine andere Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Lärmemissionskontingenten zu schaffen12.

Die Festsetzung kann auch nicht auf § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO gestützt werden. Nach dessen Halbsatz 2 können Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO auch für mehrere Industriegebiete im Verhältnis zueinander getroffen werden. Für eine solche externe Gliederung reichte es indes nicht aus, wenn die Gemeinde im maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über wenigstens ein festgesetztes Industriegebiet verfügte, das mit keiner Geräuschkontingentierung belegt ist. Vielmehr muss die gebietsübergreifende Gliederung auf einem darauf gerichteten planerischen Willen der Gemeinde beruhen13.

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Das Bundesverwaltungsgericht braucht nicht zu entscheiden, welche Anforderungen an die Emissionskontingentierung eines Industriegebiets zu stellen sind, das vollständig mit Kontingenten belegt ist und mit Blick auf ein von solchen Kontingenten freies Gebiet nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO gegliedert wird. Jedenfalls darf auch bei einer externen Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO das mit Kontingenten belegte Gebiet den Gebietscharakter eines Industriegebiets nicht verlieren14, es muss nach seinem Hauptzweck weiter dazu dienen, erheblich störende Gewerbebetriebe aufzunehmen. Dies verlangt hinreichend hohe Emissionskontingente. 

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Februar 2021 – 4 CN 5.19

  1. Bestätigung von BVerwG, Beschluss vom 07.03.2019 – 4 BN 45.18[]
  2. stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 07.12.2017 – 4 CN 7.16, BVerwGE 161, 53 Rn. 8 m.w.N.[]
  3. BVerwG a.a.O. Rn. 15[]
  4. BVerwG, Urteil vom 18.11.2010 – 4 C 10.09, BVerwGE 138, 166 Rn.20 und Beschluss vom 06.05.1993 – 4 NB 32.92, Buchholz 406.12 § 9 BauNVO Nr. 6 S. 4[]
  5. BVerwG, Beschluss vom 07.03.2019 – 4 BN 45.18, Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 39 Rn. 6[]
  6. BVerwG, Beschluss vom 07.03.2019 a.a.O. LS[]
  7. vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.1990 – 4 N 6.88, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50 S. 28; und vom 09.03.2015 – 4 BN 26.14 – BauR 2015, 943 6[]
  8. Vietmeier, BauR 2018, 766 <769 ff.>[]
  9. BVerwGE 161, 53 Rn. 15 a.E.[]
  10. vgl. Heilshorn/Kohnen, UPR 2019, 81[]
  11. Guggemoos/Storr, I+E 2018, 173 <175>[]
  12. vgl. BR-Drs. 686/20 S. 3 f.; BT-Drs.19/26023 S. 11[]
  13. vgl. BVerwG, Urteil vom 07.12.2017 – 4 CN 7.16 – 161, 53 Rn. 17[]
  14. Menke, NuR 1985, 137 <140>[]
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  • Chemieindustrie: MonikaP