Die Verpflichtung, im Deutschen Bundestag eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, ist nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin rechtmäßig.
Mit Allgemeinverfügung vom 05.10.2020 ordnete der Präsident des Deutschen Bundestages unter Anordnung sofortiger Vollziehung das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den Gebäuden des Bundestages an. Hiergegen wandten sich neun Mitarbeiter der AfD-Fraktion. Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Eilantrag abgelehnt:
Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges
Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO eröffnet, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Der Präsident des Deutschen Bundestags hat auf de r Grundlage von Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG in Ausübung seiner hoheitlichen Polizeigewalt sowie seines öffentlich-rechtlichen Hausrechts1 in der Rechtsform eines Verwaltungsakts gehandelt. Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art, da der geltend gemachte Anspruch nicht in einem Rechtsverhältnis wurzelt, das maßgeblich durch Verfassungsrecht geprägt ist und der eigentliche Kern des Rechtsstreits nicht die Auslegung und Anwendung der Verfassung betrifft. Der Streit betrifft vielmehr das Rechtsverhältnis zwischen dem Präsidenten des Deutschen Bundestags und den AfD-Mitarbeitern, die als Mitarbeiter einer Bundestagsfraktion kein Verfassungsorgan sind und auch nicht Teil eines solchen oder unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Personen2.
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthafte Antrag genügt den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nachdem die AfD-Mitarbeiter ihre Wohnanschriften mit Schreiben vom 17.11.2020 in zulässiger Weise3 nachgereicht haben, ist dem Erfordernis der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift Genüge getan.
Keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt werden, wenn das Interesse der AfD-Mitarbeiter, von der Vollziehung der Allgemeinverfügung einstweilen verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Befolgung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten der Klage maßgebliches Gewicht zu. Je größer die Erfolgsaussichten der Klage sind, desto eher überwiegt das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, während umgekehrt die offensichtliche Rech tmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ein Grund für die sofortige Vollziehung sein kann.
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglich und geboten ist, wird die Klage der Antra gsteller aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben.
Entgegen der Auffassung der AfD-Mitarbeiter führen nicht bereits formell-rechtliche Gründe zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Die Bundesrepublik hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung entsprechend der Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Es kommt dabei nur auf das „Ob“ der Begründung an, die über die Begründung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts hinausgehen muss. Dies ist hier der Fall. Der Präsident des Deutschen Bundestags hat ausgeführt, dass in dem Zeitraum bis zum Eintritt der Bestandskraft angesichts der unverändert hohen und derzeit steigenden bundesweiten Infektionszahlen die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags und die Gesundheit der sich in den Gebäuden des Bundestags aufhaltenden Personen durch Infektionsketten ernsthaft gefährdet werden könnten. Daher müssten alle Maßnahmen zur Verminderung des Infektionsrisikos so schnell wie möglich getroffen werden. Durch Einlegung eines Rechtsbehelfs könne ein wichtiger Baustein aus den Infektionsschutzmaßnahmen des Bundestags bis auf weiteres herausgebrochen werden, sodass die Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich und angemessen sei.
Formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung
Die Allgemeinverfügung und die damit angeordnete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt die AfD-Mitarbeiter daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig.
Eine vorherige Anhörung der AfD-Mitarbeiter war gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – entbehrlich, weil die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an eine unüberschaubare Vielzahl von Adressaten gerichtet ist4. Die Allgemeinverfügung des Bundestagspräsidenten gilt nicht nur für die Personen, die sich regelmäßig in den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestags aufhalten, sondern auch für Gäste und Besucher, deren Aufenthalt in den Gebäuden des Deutschen Bundestags nicht von vornherein absehbar ist.
Der Präsident des Deutschen Bundestags hat die Allgemeinverfügung den AfD-Mitarbeitern gegenüber auch wirksam bekannt gegeben. Die öffentliche Bekanntgabe der Allgemeinverfügung war gemäß § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG zulässig, weil ihre Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich war. Das ist der Fall, wenn der Kreis der Adressaten – wie hier – nicht von vornherein feststellbar ist.
Die öffentliche Bekanntgabe ist nach dem Vortrag der Bundesrepublik dadurch bewirkt worden, dass die Allgemeinverfügung in ihrem vollen Wortlaut in Papierform an den für Aushänge der Verwaltung vorgesehenen schwarzen Brettern in den Liegenschaften des Deutschen Bundestags ausgehängt wurde. Das haben die AfD-Mitarbeiter in der Sache nicht substantiiert bestritten. Sie behaupten zwar, ein Aushang sei nicht erfolgt, zumindest sei ein solcher Aushang von ihnen zum Zeitpunkt Mitte Oktober nicht wahrgenommen worden. Diesem Vortrag lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob der Aushang gar nicht erfolgt ist, oder zu einem späteren Zeitpunkt oder lediglich von den AfD-Mitarbeitern nicht wahrgenommen worden ist. Es begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken, dass die am 5.10.2020 bekannt gemachte Allgemeinverfügung nach ihrer Ziffer 7 am 6.10.2020 in Kraft getreten ist. Denn entgegen der Auffassung der AfD-Mitarbeiter sieht § 41 Abs. 4 Satz 4 VwVfG nicht vor, dass zwischen dem Zeitpunkt der Bekanntmachung und dem Inkrafttreten des Verwaltungsakts 24 Stunden liegen müssen.
Ungeachtet dessen ist die Allgemeinverfügung aber jedenfalls den AfD-Mitarbeitern gegenüber nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG individuell bekannt gegeben worden, indem sie Kenntnis von ihrem Inhalt erlangt haben. Dies ist auch zulässig, da die Möglichkeit, eine Allgemeinverfügung nach § 41 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 VwVfG öffentlich bekanntzugeben, eine individuelle Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 VwVfG nicht ausschließt5.
Materielle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung
Die Allgemeinverfügung ist auch materiell rechtmäßig. Sie hat ihre Rechtsgrundlage in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags – BTGO -. Danach übt der Präsident das Hausrecht im Gebäude des Bundestags aus.
Art. 40 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG ist – entgegen der Auffassung der AfD-Mitarbeiter – eine geeignete Grundlage für den Erlass hausrechtlicher Maßnahmen mit Außenwirkung. Es handelt sich dabei nicht lediglich um eine Aufgaben, sondern auch um eine Befugnisnorm6. Das Hausrecht des Bundestagspräsidenten bedarf auch keiner weiteren Konkretisierung durch ein formelles Gesetz. Ein solches Erfor dernis folgt nicht aus der in Art.20 Absätze 2 und 3 GG wurzelnden Wesentlichkeitstheorie. Denn es geht hier nicht um einen Bereich wesentlicher Grundrechtsbeeinträchtigung.
Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 40 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG erstreckt sich auf alle zum Zweck der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Bundestags erforderlichen Maßnahmen7, mithin auch auf die Anordnung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung. Die in §§ 1-9 der Hausordnung des Deutschen Bundestags vom 07.08.2002 in der Fassung vom 29.06.20208 aufgeführten Regelungen sind insoweit nicht abschließend. In persönlicher Hinsicht unterfallen dem Hausrecht alle Personen, die sich in den Gebäuden des Deutschen Bundestags aufhalten, einschließlich der im Bundestag beschäftigten AfD-Mitarbeiter.
Entgegen der Auffassung der AfD-Mitarbeiter ist die Anordnung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung hinreichend bestimmt gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG. Ein Verwaltungsakt ist dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn die Betroffenen die Rechtslage anhand objektiver Kriterien erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können9. Dies ist hier der Fall. Der Begriff der „MundNasen-Bedeckung“ ist, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Ziels der Allgemeinverfügung, die Gefahr einer Übertragung von COVID-19 durch AerosolPartikel zu verringern, eindeutig. Jedermann kann erkennen, dass er Mund und Nase mit einem Textil zu bedecken hat, ungeachtet der Frage, ob es sich bei dieser Bedeckung um ein einfaches oder mehrlagiges Textil, eine medizinische Gesichtsmaske oder eine partikelfiltrierende Halbmaske handelt. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie in der Öffentlichkeit über MundNasen-Bedeckungen, Mund-Nasen-Schutz und Masken diskutiert wird und die MundNasen-Bedeckung in zahlreichen Lebensbereichen verpflichtend eingeführt wurde. Im Übrigen ist der Begriff auch im Arbeitsschutz üblich; danach erfasst er alle Bekleidungsgegenstände, die mindestens Nase und Mund bedecken und geeignet sind, die Geschwindigkeit des Atemstroms oder des Speichel-/Schleim/Tröpfchenauswurfs zu reduzieren10. Dies entspricht auch den von den AfD-Mitarbeitern vorgelegten Hinweisen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen, medizinischen Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Stand: 12.11.2020). Denn danach besteht der wesentliche Unterschied zwischen einfachen MundNasen-Bedeckungen einerseits und medizinischen Gesichtsmasken bzw. partikelfiltrierenden Halbmasken andererseits darin, dass letztere besonderen (medizin-)produkterechtlichen Vorschriften unterliegen.
Hinreichend bestimmt ist auch die in Ziffer 2 der Allgemeinverfügung vorgesehene Regelung, die Mund-Nasen-Bedeckung zeitweilig ablegen zu dürfen, soweit „sonstige zwingende Gründe“ dies erfordern. Denn der unbestimmte Rechtsbegriff des „zwingenden Grunds“ ist durch die in Ziffer 2 ausdrücklich genannten Regelbeispiele (Identifikationszwecke, Verständlichkeit für hörgeschädigte Personen, Gelegenheit eines Interviews) anhand objektiver Kriterien für die Betroffenen verständlich.
Die Voraussetzungen für den Erlass der Allgemeinverfügung liegen vor. Die Bundesrepublik durfte eine hausrechtliche Maßnahme ergreifen, da die gegenwärtige Pandemielage auch eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags begründet. Ein Ausbruch von COVID-19 bei den Mitgliedern des Bundestags und den sonstigen im Bundestag beschäftigten Personen würde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb im Deutschen Bundestag beeinträchtigen. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. COVID-19 ist grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar, wobei Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. längerer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle spielen. Dies gilt auch im beruflichen Umfeld. In Innenräumen steigt das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1, 5 m. Zwar verläuft bei der überwiegenden Zahl der Fälle die Erkrankung mild. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen aber zu11. Die täglichen Neuinfektionen lagen zuletzt bei über 15.000 Fällen, die 7-TageInzidenz bei bundesweit 139 Fällen pro 100.000 Einwohnern12. In Berlin lag die 7-Tage-Inzidenz bei zuletzt 236 Fällen pro 100.000 Einwohner Angesichts dieser Tatsachenlage geht die Bundesrepublik zu Recht davon aus, dass die Infektion eines nicht nur unerheblichen Teils der Abgeordneten und sonstigen Beschäftigten im Deutschen Bundestag hinreichend wahrscheinlich ist und eine Arbeits- bzw. Dienstunfähigkeit der Erkrankten sowie die erforderlichen infektionsschutzrechtlichen Folgemaßnahmen (z.B. Quarantäne ganzer Abteilungen) den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb beeinträchtigen würden.
Der Verweis der AfD-Mitarbeiter auf die Presseberichterstattung zu der Warnung des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vor „falschem Alarmismus“ vermag die Richtigkeit dieser Annahme nicht in Zweifel zu ziehen. Denn die allgemein gehaltene Aussage des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betrifft alleine einen möglichen Verlust der Kontrolle über die Pandemie und steht in keinem Zusammenhang zu den durch die Pandemie drohenden Gesundheitsgefahren bzw. die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Bundestags.
Mit ihrem Einwand, die Anzahl der bestätigten Infektionen entspreche nicht einmal einem Prozent der Bevölkerung, lassen die AfD-Mitarbeiter die nicht unerhebliche Dunkelziffer außer Betracht und übersehen die Gefahr eines exponentiellen Wachstums der leicht übertragbaren Krankheit. Soweit sie meinen, es bestehe keine Infektionsgefahr, weil die relevanten Kontaktzeiten vernachlässigbar seien, ohnehin ein großzügiger Abstand eingehalten werde und die Situation, „schamlos angehustet zu werden“, im Bundestag lebensfremd erscheine, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Denn ungeachtet der Frage, ob der Mindestabstand von 1, 5 m in sämtlichen Situationen eingehalten werden kann (z.B. Begegnungen auf dem Gang oder im Fahrstuhl), steigt das Infektionsrisiko in Innenräumen nach den Ausführungen des Robert Koch-Instituts auch bei Einhaltung eines Abstands von 1, 5 m. Eine Infektion kommt zudem nicht nur bei einem willentlichen Anhusten, sondern auch bei „normalem“ Ausatmen sowie unwillkürlichem Niesen oder Husten in Betracht.
Der Präsident des Deutschen Bundestags hat das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, insbesondere ist die Anordnung der Pflicht des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung zur Eindämmung des Infektionsgeschehens und damit zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne.
Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der angestrebte Erfolg eintritt. Nicht erforderlich ist eine vollständige Zielerreichung durch die infrage stehende Maßnahme, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels, wobei die bloße Möglichkeit der Zweckerreichung genügt13. Auf der Grundlage der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ist es jedenfalls möglich, dass eine Mund-Nasen-Bedeckung die Eindämmung von COVID-19 fördert. Das Robert Koch-Institut empfiehlt das generelle Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren und somit Risikogruppen zu schützen. Eine teilweise Reduktion der unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen durc h das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen könne auf Populationsebene zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Dies betreffe die Übertragung im öffentlichen Raum, wo mehrere Menschen zusammentreffen und sich länger aufhalten (z.B. Arbeitsplatz) oder der physische Abstand von mindestens 1, 5 m nicht immer eingehalten werden kann (z.B. Einkaufssituation, öffentliche Verkehrsmittel). Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung trage dazu bei, andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln die man z.B. beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstoße, zu schützen.
Die Eignung wird durch die von den AfD-Mitarbeitern hervorgehobenen Aussagen des Präsidenten der Bundesärztekammer sowie des Direktors des Instituts für Virologie der Charité nicht in Zweifel gezogen. Denn der Präsident der Ärztekammer hat sich in der Folge ausdrücklich für das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie ausgesprochen und seine vorhergehende Aussage revidiert. Die Aussage des Direktors des Instituts für Virologie der Charité bezieht sich ausschließlich auf die Schwere der Krankheitsverläufe sowie die Höhe der erhaltenen Virusdosis. Sie zieht die allgemeine Wirksamkeit von Mund-Nasen-Bedeckungen nicht in Zweifel, für deren Tragen der Direktor sich wiederholt ausdrücklich ausgesprochen hat. Aus den von den AfD-Mitarbeitern vorgelegten Berichten der Weltgesundheitsorganisation folgt nichts anderes. Diese weisen zwar auf die nur begrenzten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Effektivität von Mund-Nasen-Bedeckungen für die Eindämmung von Influenza bzw. COVID-19 hin, kommen aber zu dem Ergebnis, dass im Fall einer Epidemie oder Pandemie das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch Personen, die keine Erkrankungssymptome aufweisen, sinnvoll ist14. Gleiches gilt für den von den AfD-Mitarbeitern vorgelegten Bericht des European Centre for Disease Prevention and Control15. Dieser weist zwar ebenfalls auf die nicht abschließend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnislage hin, empfiehlt aber den Einsatz von Mund-Nasen-Bedeckungen im öffentlichen Raum zur Eindämmung des Infektionsgeschehens.
Auch die von den AfD-Mitarbeitern zitierte Publikation, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Empfehlung des Robert Koch-Instituts für das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen im öffentlichen Raum keine wissenschaftliche Grundlage habe und potenziell kontraproduktiv sei16, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn die AfD-Mitarbeiter verkennen den Prozess wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung, wenn sie aus einer einzelnen kritischen Publikation die fehlende Wirksamkeit von Mund-Nasen-Bedeckungen herleiten. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden gerade durch die Bildung einer Synthese aus verschiedenen, auch kritischen Beiträgen und Sichtweisen gebildet17. Eine solche Synthesenbildung ist Aufgabe des Robert Koch-Instituts, auf dessen Erkenntnisse der Präsident des Deutschen Bundestags seine Allgemeinverfügung maßgeblich stützen konnte. Der Bundesgesetzgeber hat dem Robert Koch-Institut als zuständige nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen gemäß § 4 des Infektionsschutzgesetzes eine besondere Rolle eingeräumt18. Dieser Aufgabe kommt das Institut bei der Bewertung der Wirksamkeit von Mund-Nasen-Bedeckungen nach19.
Soweit die AfD-Mitarbeiter ferner darauf hinweisen, dass bestimmte Mund-Nasen-Bedeckungen (Schlauchschal aus Polarfleece, partikelfiltrierende Halbmaske mit Ventil) zur Infektionseindämmung nicht geeignet seien bzw. das Infektionsrisiko erhöhten, wird dadurch nicht die fehlende Eignung der Maßnahme als solche in Zweifel gezogen.
Unzutreffend ist schließlich der Hinweis der AfD-Mitarbeiter, die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sei nicht geeignet, weil diese gemäß Ziffer 2 der Allgemeinverfügung in den Büroräumen und am Arbeitsplatz abgelegt werden dürften. Das Ablegen der Mund-Nasen-Bedeckung ist danach nämlich nur zulässig, sofern der Raum alleine genutzt oder der Mindestabstand von 1, 5 m zu anderen Person eingehalten werden kann oder eine geeignete Abtrennung zu anderen Plätzen vorhanden ist.
Die Maßnahme ist auch erforderlich, weil kein milderes Mittel gegeben ist, das zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundestags gleichermaßen geeignet ist. Soweit die AfD-Mitarbeiter auf die Möglichkeit der Sicherstellung einer hohen Frischluftzufuhr in Kombination mit dem Einsatz sogenannter „CO2-Ampeln“ abstellen, überzeugt dies nicht. Denn damit verkennen die AfD-Mitarbeiter den Einsatz von Mund-Nasen-Bedeckungen als einen Baustein von mehreren zentrale Schutzmaßnahmen, wie die (Selbst-)Isolation von Infizierten, die Einhaltung der physischen Distanz von mindestens 1, 5 m, Hustenregeln und Händehygiene, sowie die Notwendigkeit des Lüftens, zur Reduktion von Übertragungen. Dies entspricht den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts – „Was ist beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in der Öffentlichkeit zu beachten?“ – und auch der von den AfD-Mitarbeitern vorgelegten Stellungnahme der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt – „Das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 in Innenräumen lässt sich durch geeignete Lüftungsmaßnahmen reduzieren“ -.
Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist auch angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne. Sie beeinträchtigt die AfD-Mitarbeiter nicht unzumutbar in ihren Grundrechten.
Die AfD-Mitarbeiter sind lediglich in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) sowie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)20 betroffen. Eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist nicht dargelegt, weil Personen, denen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar oder nicht möglich ist, nach Ziffer 3 der Allgemeinverfügung von der Pflicht befreit sind. Auch die behauptete Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 GG) liegt nicht vor. Den AfD-Mitarbeitern ist die Äußerung einer bestimmten Meinung nicht untersagt. Sie sind auch nicht in ihrer negativen Meinungsfreiheit beeinträchtigt, weil die unterschiedslos geltende Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht mit der Äußerung einer bestimmten Meinung verbunden ist. Schließlich ist die von den AfD-Mitarbeitern gerügte Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) gegenüber Personen, die sich in den von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ausgenommenen (Ziffer 2 der Allgemeinverfügung) unterirdischen Gängen bzw. der Tiefgarage aufhalten, nicht gegeben. Denn die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung betrifft alle Personen, die sich in den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestags aufhalten, gleichermaßen. Alle Personen, die sich außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Maskenpflicht aufhalten, sind von dieser befreit. Zweifelhaft erscheint, ob die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung berufsregelnde Tendenz hat und die AfD-Mitarbeiter damit in ihrer durch Art. 12 Abs. 1, Abs. 2 GG gewährleisteten Berufsfreiheit beeinträchtigen kann21.
Dies kann indes dahinstehen, weil die von der Maskenpflicht ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen ein geringes Gewicht haben und im Verhältnis zu dem in Art.20 Abs. 2 GG verankerten, überragend wichtigen Gut der Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags zurückzutreten haben. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Allgemeinverfügung zeitlich befristet ist und mit Ablauf des 17.01.2021 außer Kraft tritt. Sie enthält zudem zahlreiche Ausnahmen in räumlicher und sachlicher Hinsicht. So ist das Tragen einer Mund Nasen-Bedeckung unter den oben genannten Bedingungen in den Büroräumen und am Arbeitsplatz nicht erforderlich. Die Pflicht gilt zudem nicht in den Kantinen, Cafeterien und Restaurationsbetrieben sowie in Pausen- und Sozialräumen am Tisch. Außerdem kann die Mund-Nasen-Bedeckung in den Sitzungssälen am Platz abgelegt werden, wenn ein Mindestabstand zu anderen Personen von mindestens 1, 5 m eingehalten wird. Das gleiche gilt für Redner im Plenarsaal. Weiterhin sind Personen von der Pflicht befreit, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar oder nicht möglich ist.
Soweit die Anordnung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags, sondern dem Schutz der sich im Bundestag aufhaltenden Personen vor Gefahren für ihre Gesundheit dient, findet sie ihre Grundlage in der in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG, § 7 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BTGO verankerten Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten. Diese ermächtigt den Bundestagspräsidenten zu allen präventivpolizeilichen Maßnahmen, die der Abwehr einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in den Gebäuden des Deutschen Bundestags zu dienen bestimmt sind (vgl. § 3 Abs. 1 der Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst beim Deutschen Bundestag)22. Aus den oben aufgeführten Gründen ist die Bundesrepublik zu Recht von dem Vorliegen einer solchen Gefahr ausgegangen, für deren Abwehr die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel ist.
Angesichts des gegenwärtig hohen Infektionsrisikos und des Umstands, dass sich in den Gebäuden des Deutschen Bundestags regelmäßig mehrere tausend Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem Ausland aufhalten, sowie der überragenden Bedeutung der geschützten Rechtsgüter fällt die Interessenabwägung zulasten der AfD-Mitarbeiter aus. Es handelt sich um eine unaufschiebbare Maßnahme, die angesichts der lediglich geringfügigen Beeinträchtigung der AfD-Mitarbeiter rechtzeitig in die Wege zu leiten ist.
Keine Aufhebung der sofortigen Vollziehung
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Frage, ob ein isolierter Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung statthaft ist, ist der Antrag aus den oben aufgeführten Gründen unbegründet.
Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 19. November 2020 – 2 L 179/20
- vgl. BVerwG, Urteil vom 13.03.1970 – BVerwG VII C 80.67 – BVerwGE 35, 103, 106 f.[↩]
- anders für Abgeordnete: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.10.2020 – OVG 3 S 113/20 u.a., m.w.N.[↩]
- Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 2020, § 82 Rn. 33[↩]
- vgl. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 28 Rn. 58[↩]
- BVerwG, Urteil vom 07.09.1984 – BVerwG 4 C 16.81 – BVerwGE 70, 77, 82; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 41 Rn. 44[↩]
- VG Berlin, Urteil vom 18.06.2001 – VG 27 A 344/00 – NJW 2002, 1063, 1064 f.[↩]
- vgl. VG Berlin, Urteil vom 26.09.2019 – VG 2 K 119.18[↩]
- BGBl. I S.1949[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.2013 – BVerwG 8 CN 1.12 – BVerwGE 148, 133 Rn. 21[↩]
- vgl. Arbeitsschutzausschüsse beim BMAS, SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, Fassung vom 20.08.2020, GMBl.2020 S. 484, Ziffer 2.3[↩]
- Robert Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020[↩]
- Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 18.11.2020[↩]
- BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 – BVerfGE 138, 136 Rn. 139[↩]
- WHO, Nonpharmaceutical public health measures for mitigating the risk and impact of epidemic and pandemic influenza, 2019, S. 26 f.; Advice on the use of masks in the context of COVID-19, 2020, S. 1, 6 f.[↩]
- Using face masks in the community, 8.04.2020[↩]
- Kappstein, Krankenhaushygiene up2date 3/2020, S. 279 ff.[↩]
- Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28.10.2020 – 13 MN 390/20[↩]
- vgl. Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 26.03.2020 – Vf. 6-VII-20 – NVwZ 2020, 624 Rn. 16[↩]
- vgl. Rapid Review der Wirksamkeit nichtpharmazeutischer Interventionen bei der Kontrolle der COVID-19-Pandemie vom 28.09.2020[↩]
- vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.11.2020 – OVG 11 S 114/20[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2019 – 2 BvL 22/14 u.a. – BVerfGE 152, 274 Rn. 121[↩]
- Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: 2018, Art. 40 Rn. 152[↩]