Die Festsetzung eines Mischgebiets (§ 6 BauNVO) in einem Bebauungsplan verstößt gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, wenn die Gemeinde ihr insoweit verfolgtes städtebauliches Konzept bereits während der Planaufstellung dadurch aufgibt, dass sie ihr Einvernehmen zur Erteilung von Baugenehmigungen für die Errichtung nur von Wohnhäusern auf allen Baugrundstücken im Mischgebiet erteilt.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Dieses Gebot gilt nicht nur für Anlass und Zeitpunkt der Planung, sondern auch für jede einzelne Festsetzung 1. Was i. S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB "erforderlich" ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Denn welche städtebaulichen Ziele sie sich setzt, liegt grundsätzlich in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige "Städtebaupolitik" zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht 2. Das gilt auch für Gebiete, die bereits bebaut sind oder in anderer Weise konkret genutzt werden 3. Nicht erforderlich sind Bauleitpläne oder Festsetzungen ohne positive Planungskonzeption im Sinne eines groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffs 4. Das gilt etwa für Festsetzungen die nicht dem "wahren" Willen der Gemeinde entsprechen, weil sie in ihrer eigentlichen gleichsam positiven Zielsetzung nicht gewollt und erforderlich sind 5. Insoweit setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB eine strikt bindende Schranke, die grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Sie betrifft die generelle Erforderlichkeit der Planung oder einzelner Festsetzungen, nicht aber Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung; dafür ist das Abwägungsgebot maßgeblich 6.
Spätester Zeitpunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit i. S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist das Inkrafttreten des Bebauungsplans durch ortsübliche Bekanntmachung (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Verstößt eine Festsetzung in diesem Zeitpunkt gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, ist sie von Anfang an unwirksam. Denn Planerhaltungsvorschriften kommen insoweit nicht in Betracht und auch eine spätere Änderung der Sach- oder Rechtslage kann die Festsetzung nicht wieder "zum Leben erwecken" 7.
Gemessen daran ist die Festsetzung des Mischgebiets im angegriffenen Bebauungsplan nicht i. S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich. Sie findet zwar formal ihre Grundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 6 BauNVO. Sie wird jedoch durch diese Vorschriften nicht auch materiell gedeckt, weil sie ihrem Inhalt nach bei Inkrafttreten der Satzung durch ortsübliche Bekanntmachung am 07.12.2012 offensichtlich nicht dem "wahren" planerischen Willen der Antragsgegnerin entsprach und sich daher als grober planerischer Missgriff erweist. Denn sie war in ihrer eigentlichen gleichsam positiven Zielsetzung nach der planerischen Konzeption der Antragsgegnerin zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung der betreffenden Flächen des Plangebiets tatsächlich nicht – mehr – "gewollt".
Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören (§ 6 Abs. 1 BauNVO). In der sowohl qualitativ als auch quantitativ zu verstehenden Durchmischung der zwei Hauptnutzungsarten "Wohnen" und "Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich stören" liegt die in § 6 Abs. 1 BauNVO normativ bestimmte besondere Funktion des Mischgebiets, die sich gerade dadurch von den anderen Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung unterscheidet 8. Die Festsetzung eines solchen Gebietstyps ist zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung mithin nicht erforderlich, wenn die Gemeinde ihr insoweit verfolgtes städtebauliches Konzept bereits während der Planaufstellung dadurch aufgibt, dass sie in Wahrnehmung ihrer Planungshoheit (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB) das Einvernehmen zur Erteilung von Baugenehmigungen für die Errichtung nur von Wohnhäusern auf allen Baugrundstücken im Mischgebiet erteilt. Das ist hier der Fall. Die Begründung zum Bebauungsplan "Obsteig, 1. Änderung" deutet zwar auf eine positive städtebauliche Planungskonzeption im Sinne des § 6 Abs. 1 BauNVO, soweit es darin heißt, die Umnutzung der Flächen des bisherigen Gewerbegebiets solle "als gemischte Bebauung mit Wohn-und Gewerbegebäuden erfolgen" und es sollten dort "neben Wohngebäuden auch nicht störende Gewerbebetriebe sowie Geschäfts-und Bürogebäude zulässig sein". Diese ursprünglich verfolgte städtebauliche Konzeption hatte die Antragsgegnerin jedoch schon während des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplans aufgegeben und daran hatte sich auch bis zur Beschlussfassung über den Bebauungsplan nichts mehr geändert. Denn die Antragsgegnerin hatte mit der Erteilung ihres Einvernehmens für die Errichtung von acht Wohnhäusern auf allen Baugrundstücken im Gebiet der Planänderung in Wahrnehmung ihrer Planungshoheit (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB) verbindlich dokumentiert, dass sie die für ein Mischgebiet typische Durchmischung der zwei Hauptnutzungsarten "Wohnen" und "Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich stören", in Wahrheit nicht – mehr – anstrebt. An dieser Sachlage hatte sich auch bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans nichts mehr geändert. Vielmehr wurde in der Beschlussvorlage für die Gemeinderatssitzung, in welcher der Bebauungsplan beschlossen wurde, in der einleitenden "Sachdarstellung" ausdrücklich auf die Erteilung der Baugenehmigungen für die Wohnhäuser im Einvernehmen mit der Antragsgegnerin und darauf hingewiesen, dass die dagegen eingelegten Widersprüche eines Dritten keine aufschiebende Wirkung hätten, weshalb mit den Bauarbeiten begonnen werden könnte. Die in Kenntnis dieser Umstände gleichwohl beschlossene Festsetzung eines Mischgebiets kann danach nur als offensichtlicher grober planerischer Missgriff verstanden werden, weil die Antragsgegnerin eine Durchmischung von Wohnnutzung mit gewerblicher Nutzung im Gebiet der Planänderung danach erkennbar nicht – mehr – realisieren wollte. Bei Verwirklichung der mit ihrem Einvernehmen genehmigten Bauvorhaben wäre das Mischgebiet vielmehr in kürzester Zeit funktionslos geworden. Der Umstand, dass es dazu nur deshalb nicht mehr kommen konnte, weil zwei Baugenehmigungen auf Widersprüche eines Dritten aufgehoben worden sind, ändert an dem Verstoß gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nichts. Zum einen lässt die Aufhebung von Baugenehmigungen durch das Landratsamt keine Rückschlüsse auf – geänderte – planerische Absichten der Antragsgegnerin zu. Zum anderen ist dies erst nach dem für die gerichtliche Kontrolle der Gültigkeit des Bebauungsplans spätesten Zeitpunkt des Inkrafttreten des Bebauungsplans geschehen, weshalb diese spätere Änderung die Mischgebiets-Festsetzung nicht wieder "zum Leben erwecken" kann 9.
Der Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB führt zur Unwirksamkeit der Festsetzung "Mischgebiet" und damit zur Unwirksamkeit des ganzen Bebauungsplans "Obsteig, 1. Änderung".
Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führen nur dann nicht zu dessen Gesamtunwirksamkeit, wenn – erstens – die übrigen Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und – zweitens – die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte 10. Hier ist bereits die erste Voraussetzung nicht erfüllt. Der Bebauungsplan "Obsteig, 1. Änderung" kann ohne die Mischgebiets-Festsetzung für sich betrachtet keine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken. Denn mit der Festsetzung einer Gebietsart trifft die Gemeinde eine planerische Grundaussage, in welcher Weise sich die städtebauliche Entwicklung im Plangebiet vollziehen soll. Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung gehen daher jedenfalls in – wir hier – detaillierten Bebauungsplänen nach § 30 Abs. 1 BauGB allen anderen Festsetzungen vor. Erweist sich damit die Gebietsfestsetzung als unwirksam, so führt dies regelmäßig zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans 11. Das gilt auch im vorliegenden Fall. Gesichtspunkte, die für ein Abweichen von dieser Regel streiten, haben weder die Beteiligten benannt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Verwaltungsgerichtshof Baden ‑Württemberg, Urteil vom 27. April 2015 – 8 S 2515/13
- BVerwG, Beschluss vom 16.12.1988 – 4 NB 1.88, NVwZ 1989, 664 54, und Urteile vom 25.11.1999 – 4 CN 17.98, NVwZ 2000, 183 31, sowie vom 26.03.2009 – 4 C 21.01 -BVerwGE 133, 310 17[↩]
- st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.2009, a.a.O. m.w.N.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 06.06.1997 – 4 NB 6.97, NVwZ-RR 1998, 415 11[↩]
- BVerwG, Urteile vom 14.07.1972 – IV C 8.70, BVerwGE 40, 258; vom 16.12.1988 – 4 C 48.86, NVwZ 1989, 655; und vom 22.01.1993 – 8 C 46.91, BVerwGE 92, 8[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.1972 – IV C 8.70, BVerwGE 40, 258 <262> 29[↩]
- BVerwG, Urteil vom 27.03.2013 – 4 C 13.11 -BVerwGE 146, 137 9 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 – 4 CN 3.13, BVerwGE 149, 229 27 und 33[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 04.05.1988 – 4 C 34.86, BVerwGE 79, 309 <311> 128 und Beschluss vom 11.04.1996 – 4 B 51.96, NVwZ-RR 1997, 463 5 f. m.w.N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 27.03.2014, a.a.O.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 11.09.2014 – 4 CN 3.14, NVwZ 2015, 301 26 m.w.N.; st. Rspr.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 11.09.2014, a.a.O. Rn. 27 m.w.N.[↩]