Mo­di­fi­zier­ter Er­schlie­ßungs­ver­trag

Aus der Ent­schei­dung der Ge­mein­de, die Er­schlie­ßung auf einen Drit­ten zu über­tra­gen, der sie in „Fremd­re­gie“ durch­führt, folgt kein Ver­bot, in den Er­schlie­ßungs­ver­trag eine Kos­ten­ver­ein­ba­rung auf­zu­neh­men, die einen bei­trags­fä­hi­gen Er­schlie­ßungs­auf­wand der Ge­mein­de be­grün­det und auf die­sem Weg eine vor­teils­ge­rech­te Be­las­tung des Fremd­an­lie­gers mit Er­schlie­ßungs­kos­ten er­mög­licht1.

Mo­di­fi­zier­ter Er­schlie­ßungs­ver­trag

Der Ein­wand, bei der Her­stel­lung einer Er­schlie­ßungs­an­la­ge seien durch einen Ver­stoß gegen ver­ga­be­recht­li­che Vor­schrif­ten er­heb­li­che Mehr­kos­ten ent­stan­den, ist in ent­spre­chen­der An­wen­dung des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB be­acht­lich, wenn die Mehr­kos­ten in für die Ge­mein­de er­kenn­ba­rer Weise eine grob un­an­ge­mes­se­ne Höhe er­rei­chen2. Es ist in ers­ter Linie Sache der Ge­mein­de, dar­zu­le­gen, dass trotz Ver­let­zung der Aus­schrei­bungs­pflicht die ent­stan­de­nen Kos­ten sach- und markt­ge­recht sind.

Der Gemeinde ist ein beitragsfähiger Erschließungsaufwand (§ 127 Abs. 1 BauGB) entstanden, der sich in dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall aus der in dem städtebaulichen Vertrages (Erschließungsvertrag) zwischen der Gemeinde und der SSG als Erschließungsträger getroffenen Kostenvereinbarung über die Heranziehung von Fremdanliegern ergibt, dessen Wirksamkeit keinen Bedenken begegnet. Wesentlicher Regelungsgegenstand eines Erschließungsvertrags nach § 124 Abs. 1 BauGB ist die Herstellung der Erschließungsanlagen im Namen und auf Kosten des Erschließungsträgers. Dies hat zur Folge, dass bei der Gemeinde kein beitragsfähiger Aufwand i.S.v. § 127 Abs. 1 BauGB verbleibt, soweit sie die Durchführung der Erschließung übertragen hat3. Der Erschließungsträger, der Eigentümer der Grundstücke im Erschließungsbiet ist, refinanziert sich durch den Verkauf der erschlossenen Grundstücke, so dass im Ergebnis die Käufer die Erschließungskosten tragen. Ist der Erschließungsträger nicht Eigentümer aller Grundstücke im Erschließungsgebiet, muss er versuchen, die für die nicht in seinem Eigentum stehenden Grundstücke anfallenden Kosten durch privatrechtliche Verträge an die so genannten Fremdanlieger weiterzugeben. Steht – wie hier – keines der Grundstücke im Erschließungsgebiet im Eigentum des Erschließungsträgers (so genannter grundstücksloser Erschließungsträger), ist dieser zur Refinanzierung seiner Kosten durchgängig auf den Abschluss vertraglicher Vereinbarungen mit den Grundstückseigentümern angewiesen.

Gelingt es dem Erschließungsträger nicht, mit allen oder der überwiegenden Zahl der Fremdanlieger eine vertragliche Refinanzierungsregelung für die Herstellung der Erschließungsanlagen herbeizuführen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine dem Erschließungsvorteil Rechnung tragende Heranziehung der Fremdanlieger zu den Erschließungskosten durch eine den Erschließungsvertrag modifizierende Kostenabrede erreicht werden, mit der sich die Gemeinde dem Erschließungsträger gegenüber verpflichtet, die gesamten für die betreffende Erschließungsanlage entstehenden beitragsfähigen Aufwendungen nach entsprechendem Nachweis zu erstatten. Der Gemeinde entsteht bei einem durch eine Kostenabrede modifizierten Erschließungsvertrag bereits mit Vertragsabschluss ein erst mit der entsprechenden Bezifferung durch den Erschließungsträger aktualisierter beitragsfähiger Erschließungsaufwand, den sie nach Maßgabe der Verteilungsregelung ihrer Erschließungsbeitragssatzung auf alle durch die von dem Unternehmer hergestellte Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB) einschließlich der Grundstücke der Fremdanlieger zu verteilen hat4.

Die in der Literatur5 gegen die Zulässigkeit dieser Modifikation des Erschließungsvertrags vorgebrachten Einwände überzeugen das Bundesverwaltungsgericht nicht. Eine eindeutige gesetzliche Konzeption, die bei Herstellung der Erschließungsanlagen durch einen Erschließungsträger eine Heranziehung des Fremdanliegers im Beitragsweg ausschließt, kann den §§ 123, 124 BauGB nicht entnommen werden.

Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 01.12.20106 erwähnten Umstand, dass die Gemeinde durch § 124 Abs. 1 BauGB vor die Wahl gestellt wird, ob sie die Erschließung in „Eigenregie“ durchführt, oder ob sie die Erschließung auf einen Dritten überträgt, der sie in „Fremdregie“ durchführt und sich privatrechtlich refinanziert, folgt kein Verbot, bei einer Erschließung in „Fremdregie“ in den Erschließungsvertrag eine Kostenvereinbarung aufzunehmen, die einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand der Gemeinde begründet und auf diesem Weg eine vorteilsgerechte Beteiligung des Fremdanliegers an den Erschließungskosten ermöglicht.

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Das aus § 123 Abs. 1 BauGB folgende Verbot einer vertraglichen Refinanzierung bei Erschließung in „Eigenregie“ der Gemeinde soll verhindern, dass die zugunsten der Grundstückseigentümer bestehende Schutzfunktion des Erschließungsbeitragsrechts, das die Heranziehung der Eigentümer auf den in § 127 Abs. 2 BauGB abschließend aufgezählten Erschließungsaufwand begrenzt und die Gemeinde verpflichtet, mindestens 10 v.H. dieser Erschließungskosten selbst zu tragen (§ 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB), dadurch aufgehoben wird, dass sie die ihr entstandenen Kosten durch vertragliche Vereinbarungen auf die Anlieger überwälzt7. Aus diesem Grund legt das Bundesverwaltungsgericht auch den Begriff des „Dritten“ im Sinne des § 124 Abs. 1 BauGB eng aus8. Für die Annahme eines gewissermaßen spiegelbildlichen Verbots der Refinanzierung durch Beitragserhebung bei Erschließung in „Fremdregie“ geben diese Überlegungen nichts her. Der das Verbot der Refinanzierung der Gemeinde auf vertraglicher Grundlage rechtfertigende Gedanke, dass sich die Gemeinde nicht den öffentlich-rechtlichen Begrenzungen des Beitragsrechts entziehen darf, greift für diese Konstellation nicht, weil die Schutzfunktion des Erschließungsbeitragsrechts durch die Refinanzierung des Erschließungsträgers mittels Beitragserhebung der Gemeinde auf der Grundlage eines modifizierten Erschließungsvertrags nicht in Frage gestellt wird. Die Fremdanlieger, die nicht zum Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Erschließungsträger bereit sind, können von der Gemeinde nur im Rahmen des Beitragsrechts und der sich daraus ergebenden Beschränkungen des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes zu den Kosten der Erschließungsanlage herangezogen werden; sie werden sich daher vielfach besser stellen, als diejenigen Fremdanlieger, die aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Erschließungsträger die Erschließungsanlage refinanzieren.

Überträgt die Gemeinde die Erschließung einem Dritten, folgt auch aus § 124 Abs. 2 Satz 2 BauGB, der die Kostentragungspflicht des Erschließungsträgers regelt, kein Verbot einer die privatrechtliche Refinanzierung ergänzenden Beitragserhebung. Dass der Gesetzgeber als Partner eines Erschließungsvertrags einen privaten Erschließungsträger als „Investor“ vor Augen hatte, der seine Entscheidung unabhängig von der Gemeinde trifft und sich dabei vor allem an kaufmännischen Überlegungen und den Möglichkeiten des „Marktes“ und der Gewinnerzielung orientiert9, lässt nicht den Schluss zu, nach der gesetzgeberischen Konzeption gehöre die ausschließlich privatrechtliche Refinanzierung des Erschließungsträgers zu den Wesensmerkmalen eines Erschließungsvertrags nach § 124 BauGB. Zur gesetzgeberischen Konzeption gehört nämlich ebenso, dass den Gemeinden durch die Einschaltung eines Dritten eine (umfassende) finanzielle Entlastung von den Kosten der Erschließung ermöglicht wird, um dadurch im Interesse der Bauwilligen die Bereitstellung von Bauland zu erleichtern und zu beschleunigen10. Dieser gesetzgeberischen Konzeption trägt der modifizierte Erschließungsvertrag Rechnung. Er erlaubt auch in den Fällen, in denen sich die Erschließung für den Investor nicht rechnen würde, weil er die ihm entstehenden Kosten nicht oder nicht ausreichend auf die Anlieger überwälzen kann, eine beschleunigte Erschließung und finanzielle Entlastung der Gemeinden bei vorteilsgerechter Beteiligung aller Anlieger unter Wahrung der Schutzfunktion des Beitragsrechts.

Ein Verbot der Beitragsfinanzierung im Anwendungsbereich des § 124 BauGB kann schließlich auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die die Beitragshöhe bestimmenden Herstellungsentscheidungen von der Gemeinde und nicht von einem Dritten getroffen werden müssten und daher nur für die in „Eigenregie“ durchgeführte Erschließung, bei der die Gemeinde „das Heft in der Hand habe“, Beiträge erhoben werden könnten11. Abgesehen davon, dass die Gemeinde auch bei der Erschließung in Fremdregie regelmäßig die Ausführungsplanung zur Kenntnis erhält und genehmigen muss, und abgesehen davon, dass sie auch bei einer Erschließung in „Eigenregie“ unter Einschaltung eines Generalunternehmers das Heft ein Stück weit aus der Hand gibt, greift dann, wenn die privatrechtliche Refinanzierung des Erschließungsträgers durch Beiträge „ergänzt“ wird, die aus § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ableitbare Beschränkung des beitragsfähigen Aufwandes auf das kostenmäßig Erforderliche, die den Beitragspflichtigen vor grob unangemessenen Belastungen schützt12. Auch insoweit stellt sich der dem Beitragsrecht unterliegende Fremdanlieger besser als der Fremdanlieger, der sich dem Erschließungsträger vertraglich zur Kostentragung verpflichtet hat.

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Die Kostenklausel scheitert nicht an den an eine wirksame Ablösungsvereinbarung zu stellenden bundesrechtlichen Anforderungen. Die im Erschließungsvertrag gewählte Abwicklung des dem Erschließungsträger gegen die Gemeinde zustehenden Erstattungsanspruchs kann so erfolgen, dass die Gemeinde dem Erschließungsträger die auf die Grundstücke der Fremdanlieger entfallenden Beiträge nach deren Einziehung auszahlt, wobei die Erschließungsbeiträge der Fremdanlieger, die mit dem Erschließungsträger Verträge über den Kostenersatz abgeschlossen haben, als gemäß § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB abgelöst gelten und der Ablösungsbetrag auf den im Übrigen bestehenden Erstattungsanspruch angerechnet wird13. Eine diesen Grundsätzen entsprechende Vereinbarung haben die Gemeinde und der Erschließungsträger in § 11 Abs. 3 und 4 des Erschließungsvertrags getroffen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses lagen mit § 11 der Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde auch ausreichende „Bestimmungen“ im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB über die Zulässigkeit einer Ablösungsvereinbarung und die Berechnung des Ablösungsbetrages vor14. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 10 Abs. 3 des Erschließungsvertrags dem Erschließungsträger gestattet ist, die Fremdanlieger, die sich ihm gegenüber vertraglich zur Kostenübernahme verpflichtet haben, über die beitragsfähigen Kosten hinaus zu belasten. Diese Vereinbarung bleibt ohne Auswirkungen auf die Höhe des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes und die Berechnung des Ablösungbetrages.

Der Erschließungsvertrag ist wirksam, obwohl zwischen der Gemeinde und dem Erschließungsträger 1999 ein (echter) Erschließungsvertrag ohne Kostenvereinbarung geschlossen worden war. Ob der Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg15 zu folgen ist, wonach die Modifizierung eines Erschließungsvertrags grundsätzlich schon in dem auf die Erschließung des Baugebiets ausgerichteten Vertrag erfolgen muss und nachträglich nur in Betracht kommt, wenn der entsprechende Wille der Vertragsparteien bereits im Erschließungsvertrag zum Ausdruck kommt, kann das Bundesverwaltungsgericht ebenso wie das Oberverwaltungsgericht dahinstehen lassen. Denn nach der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht, die – vorbehaltlich hier nicht ersichtlicher Verstöße gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder gesetzliche Auslegungsregeln – das Revisionsgericht bindet16, lässt sich § 12 Abs. 3 des städtebaulichen Vertrags vom 21.12.1999 ein Vorbehalt der späteren Modifizierung entnehmen. Davon abgesehen kann eine zeitliche Begrenzung des Rechts zur nachträglichen Modifizierung eines ursprünglich ohne Kostenabrede abgeschlossenen Vertrags nur in Betracht gezogen werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage im Zeitpunkt der Vertragsmodifikation bereits begonnen wurde, was hier nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht der Fall war.

Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass das Oberverwaltungsgericht als beitragsfähigen Erschließungsaufwand nicht nur die Kosten angesehen hat, die die Gemeinde an den Erschließungsträger „kassenwirksam“ auf dessen Anforderung hin gezahlt hat, sondern auch die von Fremdanliegern an den Erschließungsträger aufgrund geschlossener Werkverträge entrichteten und im Verhältnis der Gemeinde zum Erschließungsträger verrechneten Beträge. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz17 hat im vorliegenden Fall unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.199618 zutreffend ausgeführt, dass ein beitragsfähiger Aufwand in Höhe der Gesamtkosten für die Herstellung der Erschließungsanlage dann entsteht, wenn sich die Gemeinde nicht nur zur Erstattung der ausschließlich den Grundstücken der Fremdanlieger zuzuordnenden Erschließungskosten verpflichtet, sondern zur Erstattung des gesamten für die betreffende Erschließungsanlage entstehenden beitragsfähigen Erschließungsaufwands. Dass eine solche umfassende Kostenerstattung zwischen der Gemeinde und dem Erschließungsträger vereinbart wurde, und es sich bei der Verrechnung nur um eine Abwicklungsmodalität der Kostenerstattung handelt, hat das Oberverwaltungsgericht § 11 des Erschließungsvertrags entnommen. Rechtsfehler, die die Bindungswirkung dieser Vertragsauslegung entfallen lassen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

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Ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften des revisiblen Rechts ist ebenfalls nicht in Betracht zu ziehen, und ein etwaiger Verstoß gegen das Gemeindehaushaltsrecht führt nicht zur Nichtigkeit des Erschließungsvertrags mit der für die Entstehung beitragsfähigen Aufwandes maßgeblichen Kostenabrede. Nach den Feststellungen lagen die Gesamtkosten der Herstellung aller Erschließungsanlagen unterhalb des für Bauaufträge geltenden Schwellenwertes von 5 Mio. € (vgl. § 2 der im Zeitpunkt des Abschlusses des Erschließungsvertrags maßgeblichen Vergabeverordnung vom 09.01.200119). Erst bei Erreichen dieses Schwellenwertes gelten die Vorgaben der die Vergabe-Richtlinie 93/37/EWG vom 14.06.199320 umsetzenden Vorschriften der §§ 97 bis 129b GWB. Unterhalb der Schwellenwerte kommen in erster Linie bundes- oder landeshaushaltsrechtliche Vorschriften zur Anwendung21. Für Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug wird zudem auch bei unterschwelligen Aufträgen die Anwendung unionsrechtlicher Vorschriften diskutiert22. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat daher vorliegend zu Recht nur die Auswirkungen des von ihm unterstellten Verstoßes gegen eine kraft der landesrechtlichen Gemeindehaushaltsverordnung bestehende Ausschreibungspflicht geprüft und die Nichtigkeit des Erschließungsvertrags wegen eines Verstoßes gegen revisibles Recht nicht in Betracht gezogen.

In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht auch die Rechtsauffassung des OVG Rheinland-Pfalz, dass der Herstellungsaufwand einer Erschließungsanlage nur dann nicht (in voller Höhe) beitragsfähig sei, wenn die auf die Beitragspflichtigen umgelegten Kosten wegen des – unterstellten – vergaberechtswidrigen Verzichts auf eine Ausschreibung eine grob unangemessene Höhe erreichen würden. Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist aber die Annahme im Berufungsurteil, ein Verstoß gegen diese äußerste Grenze könne ohne weitere Sachaufklärung schon deswegen verneint werden, weil es die Klägerin insoweit an substantiierten Darlegungen habe fehlen lassen.

Mängel des Vergabeverfahrens führen nicht gleichsam automatisch zur Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung. Das Beitragsrecht knüpft die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung nicht an die Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften. Davon abgesehen weist auch das Vergaberecht selbst keine beitragsrechtlichen Bezüge auf. Es trägt dem Schutz der öffentlichen Haushalte Rechnung und dient darüber hinaus der Wahrung des lauteren Wettbewerbs23. Hiervon ausgehend entfaltet es auch Schutzwirkung zugunsten des Bieters als Teilnehmer am Wettbewerb. Eine darüber hinausgehende drittschützende Wirkung kommt dem Vergaberecht hingegen nicht zu. Der Beitragsschuldner ist nicht Marktteilnehmer, sondern nur mittelbar Betroffener. Er ist daher darauf beschränkt, einen Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften im Rahmen der Anfechtung des Beitragsbescheids mit der Rüge, durch den Verstoß seien unangemessene Mehrkosten entstanden, geltend zu machen. Einschlägige Rechtsnorm hierfür ist § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB entsprechend anwendbar, wenn nicht die Erforderlichkeit der Anlage, sondern die Angemessenheit und in diesem Sinne die Erforderlichkeit der angefallenen Kosten in Frage steht. Der in § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB zum Ausdruck kommende allgemeine beitragsrechtliche Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung bei Anlagen, die der Beitragspflicht unterliegen, trägt über ihren dem Gemeininteresse dienenden Zweck hinaus den Individualinteressen der beitragspflichtigen Eigentümer und Erbbauberechtigten der von einer Anlage erschlossenen Grundstücke Rechnung. Diesen Betroffenen kommt es in erster Linie zugute, wenn das Gesetz und insbesondere § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB dafür Sorge tragen, dass sich der beitragsfähige Erschließungsaufwand in den Grenzen des nach Lage der Dinge Angemessenen hält24. Bei der Beurteilung der Angemessenheit kommt der Gemeinde ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Demgemäß wird für die Erforderlichkeit der aufgewendeten Kosten im Sinne des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB lediglich eine äußerste Grenze markiert. Sie ist erst dann überschritten, wenn sich die Gemeinde ohne rechtfertigende Gründe nicht an das Gebot der Wirtschaftlichkeit gehalten hat und dadurch augenfällige Mehrkosten entstanden sind, das heißt, wenn die Kosten in für die Gemeinde erkennbarer Weise eine grob unangemessene Höhe erreicht haben, also sachlich schlechthin unvertretbar sind25.

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Für ein Abrücken von dem Merkmal der „groben Unangemessenheit“ für den Fall eines Verstoßes gegen das Vergaberecht sieht das Bundesverwaltungsgericht keinen Anlass. Die Forderung nach einer Senkung der Angemessenheitsschwelle in diesen Fällen mit der Begründung, anderenfalls bestehe die Gefahr, dass das Vergaberecht zu einer „leeren Hülse“ werde26, übersieht, dass die Vorschriften des Vergaberechts gerade nicht dem Individualinteresse des Beitragspflichtigen dienen und es daher nicht Aufgabe des Beitragsrechts sein kann, Verstöße gegen diese Vorschriften in besonderer Weise zu sanktionieren. Es trifft auch nicht zu, dass Verstöße gegen das Vergaberecht bei Beibehaltung des Maßstabes der „groben Unangemessenheit“ beitragsrechtlich folgenlos bleiben würden. Bereits in seiner grundlegenden Entscheidung zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB27, die die Angemessenheit der Grunderwerbskosten betraf, hat das Bundesverwaltungsgericht betont, dass es auf die sachliche Vertretbarkeit der Mehrkosten ankomme und die Rechtfertigungsgründe für eine für die Gemeinde erkennbare Überschreitung der Verkehrswerte beim Grunderwerb umso gewichtiger sein müssten, je beträchtlicher die Mehrkosten seien. Unter diesen Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht der Gemeinde einen weiten Entscheidungsspielraum zugestanden, der es auch rechtfertigen kann, die Verkehrswerte unter Umständen beträchtlich zu überschreiten. Diese im Hinblick auf den Grunderwerb entwickelten Grundsätze führen auch im Zusammenhang mit dem Vergaberecht und etwaigen Vergaberechtsverstößen zu sachgerechten Ergebnissen.

Nimmt die Gemeinde eine nach dem Vergaberecht vorgeschriebene Ausschreibung ordnungsgemäß vor und entscheidet sie sich für den billigsten Anbieter, indiziert das die Erforderlichkeit der Kosten. In einer solchen Fallgestaltung ist es Sache des Klägers, Anhaltspunkte vorzutragen, die dafür sprechen, dass die Kosten gleichwohl eine grob unangemessene Höhe erreichen. Entscheidet sich die Gemeinde nicht für das billigste Angebot, sondern für ein Angebot, das (augenfällig) höhere Herstellungskosten als andere Angebote vorsieht, müssen sachlich vertretbare Gründe vorliegen, die das Angebot gleichwohl als wirtschaftlich erscheinen lassen. Solche Gründe können neben dem Preis z.B. Qualität, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, Betriebs- und Folgekosten, Rentabilität, Kundendienst, technische Hilfe und Ausführungsfristen sein28. Bei der Entscheidung, welchem Gesichtspunkt die Gemeinde den Vorzug gibt, steht ihr ein (weiter) Entscheidungsspielraum zu, wobei auch insoweit die Rechtfertigungsgründe für die Wahl des teureren Angebots umso gewichtiger sein müssen, je größer der Abstand zum nächstgünstigen Angebot ist. Dabei ergibt sich aus der Natur der Sache, dass der Abgabenschuldner regelmäßig nicht in der Lage sein wird, die Unangemessenheit der Kosten darzulegen. Es ist daher Sache der Gemeinde, die in ihre Einfluss- und Verantwortungssphäre fallenden Gründe zu benennen, die sie veranlasst haben, sich für ein teureres Angebot zu entscheiden. Vermag sie solche nicht zu benennen oder erweisen sie sich – gegebenenfalls nach entsprechender Sachaufklärung durch das Gericht – als nicht tragfähig, ist der Zuschlag für das teurere Angebot schlechthin unvertretbar und sind die dadurch verursachten Mehrkosten grob unangemessen.

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Hat die Gemeinde – wie hier vom Berufungsgericht unterstellt – eine nach dem Vergaberecht vorzunehmende Ausschreibung nicht durchgeführt oder ist ein Vergabeverfahren mit Fehlern behaftet, fehlt es von vornherein an der von einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren ausgehenden Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Kosten. Daraus folgt – wie oben ausgeführt – zwar noch nicht die Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides oder eine Änderung des bei der Überprüfung der Erforderlichkeit der Kosten geltenden rechtlichen Maßstabes. Die fehlende Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften macht es aber erforderlich, dem Einwand, durch den Vergaberechtsverstoß seien augenfällige Mehrkosten entstanden, nachzugehen und ihn im gerichtlichen Verfahren zu klären.

Das Berufungsgericht hat eine Sachverhaltsklärung mit dem Hinweis darauf, dass die Gemeinde Mehrkosten bestritten und die Klägerin eine grob unangemessene Höhe der Kosten nicht substantiiert dargelegt habe, als von Amts wegen nicht veranlasst angesehen. Dies steht mit den im Verwaltungsprozess geltenden Grundsätzen der Amtsermittlung und der richterlichen Überzeugungsbildung nicht in Einklang. In dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess ist es Aufgabe des Gerichts, von sich aus den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, dazu von Amts wegen die erforderlichen Sachverhaltsaufklärungen zu betreiben und sich seine eigene Überzeugung zu bilden (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die den Beteiligten dabei auferlegte Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) entbindet das Gericht daher grundsätzlich nicht von seiner eigenen Aufklärungspflicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht dort ihre Grenze findet, wo das Vorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet, und dass eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Beteiligten die Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen kann29. Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht die kostenmäßige Angemessenheit im Sinne des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ohne weitere Sachaufklärung nicht bejahen dürfen.

Die Annahme einer Substantiierungspflicht der Klägerin durch das Berufungsgericht lässt unberücksichtigt, dass es wegen des – unterstellten – Verstoßes gegen eine Ausschreibungspflicht an der von einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren ausgehenden Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Kosten fehlt und deswegen Anlass zur Klärung der Angemessenheit der Erschließungskosten bestand. Die Auffassung des Berufungsgerichts übersieht zudem, dass der Rechtsverstoß nicht in der Sphäre und dem Verantwortungsbereich der Klägerin als Beitragsschuldnerin, sondern der beklagten Gemeinde als Beitragsgläubigerin seinen Ursprung hatte. Der Beitragsschuldner wird – anders als die Gemeinde – regelmäßig nicht über die zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Kosten bzw. der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens notwendigen Kenntnisse und Informationen verfügen und daher nicht in der Lage sein, sein Vorbringen, es seien durch den von der Gemeinde zu verantwortenden Fehler bei der Vergabe des Erschließungsauftrags sachlich nicht vertretbare Mehrkosten entstanden, durch weitere tatsächliche Angaben zu substantiieren. Ebenso wenig wird er Kenntnisse darüber haben, wie hoch die umgelegten durchschnittlichen Kosten bei vergleichbaren Erschließungsanlagen der Gemeinde oder in anderen Gemeinden sind. Über diese Informationen verfügt aber regelmäßig die Gemeinde, weshalb es in erster Linie ihre Sache ist, darzulegen, dass trotz des vergaberechtswidrigen Verfahrens die entstandenen Kosten sach- und marktgerecht sind. Ob darüber hinaus weitere Ermittlungen, etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Angemessenheit der Kosten, erforderlich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Dass das Berufungsgericht auch den „vorgelegten Unterlagen“ keine grob unangemessenen Mehrkosten entnehmen konnte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn dieser pauschale Hinweis ist vor dem Hintergrund der vom Berufungsgericht zu Unrecht angenommenen Einschränkung der Amtsermittlungspflicht zu sehen und deswegen nicht aussagekräftig.

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Die fehlerhafte Beurteilung der Mitwirkungspflicht erfasst nicht nur den Erschließungsbeitragsbescheid, sondern auch den auf §§ 135a bis 135c BauGB gestützten Bescheid über die Kostenerstattungsbeträge für die Durchführung von zugeordneten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, auf den § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ebenfalls – in doppelter Analogie – Anwendung findet.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2013 – 9 C 11.11

  1. Be­stä­ti­gung der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung, vgl. BVerwG, Ur­teil vom 22.03.1996 – 8 C 17.94, BVerw­GE 101, 12, 22 f.[]
  2. im An­schluss an BVerwG, Ur­teil vom 14.12.1979 – 4 C 28.76, BVerw­GE 59, 249, 252 f.[]
  3. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.12.2010 – 9 C 8.09, BVerwGE 138, 244 Rn. 31 m.w.N.[]
  4. vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1996 – 8 C 17.94, BVerwGE 101, 12, 22 f.[]
  5. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl.2012, § 6 Rn. 13 f.[]
  6. BVerwG, a.a.O. Rn. 48[]
  7. vgl. BVerwG, Urteile vom 23.04.1969 – 4 C 15.67, Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 4 S. 2 f., vom 22.08.1975 – 4 C 7.73, BVerwGE 49, 125, 127 f. und vom 01.12.2010 a.a.O. Rn. 45[]
  8. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.12.2010 a.a.O. Rn. 44[]
  9. BT-Drs. 12/3944 S. 24, l. Sp. und S. 29, r. Sp.; Urteil vom 01.12.2010 a.a.O. Rn. 40[]
  10. BT-Drs. a.a.O.[]
  11. vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.08.2009 – 15 A 2267/07; Driehaus a.a.O. Rn. 14[]
  12. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1979 – 4 C 28.76, BVerwGE 59, 249, 253[]
  13. vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1996 – 8 C 17.94, BVerwGE 101, 12, 23 f.[]
  14. vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.01.1982 – 8 C 24.81, BVerwGE 64, 361, 364 f., 368[]
  15. Nds. OVG, Beschluss vom 25.06.2008 – 9 ME 453/07, NVwZ-RR 2009, 260[]
  16. vgl. BVerwG, Urteile vom 19.02.1982 – 8 C 27.81, BVerwGE 65, 61, 69; und vom 01.12.1989 – 8 C 17.87, BVerwGE 84, 157, 162[]
  17. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2010 – OVG 6 A 10699/10[]
  18. BVerwG, a.a.O. S. 23[]
  19. BGBl I S. 110[]
  20. ABl EG Nr. L 199 S. 54[]
  21. Glahs, in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Aufl.2012, Vergaberecht Einl. Rn. 8a f.; Harms/Schmidt-Wottrich, LKV 2011, 537, 542[]
  22. Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 124 Rn. 91; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl.2009, § 124 Rn. 13c; zur möglichen Ausschreibungspflicht von Bauleistungen durch den Erschließungsträger vgl. Burmeister, Praxishandbuch Städtebauliche Verträge, 2. Aufl.2005, Rn. 219[]
  23. vgl. Glahs a.a.O. Einl. Rn. 2 f.[]
  24. BVerwG, Urteil vom 14.12.1979 – 4 C 28.76, BVerwGE 59, 249, 252 f.[]
  25. BVerwG, Urteile vom 14.12.1979 a.a.O.; vom 13.12.1985 – 8 C 66.84, NVwZ 1986, 925, 927, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 35; und vom 10.11.1989 – 8 C 50.88, Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 81 S. 46 f.; Beschlüsse vom 30.04.1997 – 8 B 105.97, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 38 und vom 18.07.2001 – 9 B 23.01, Buchholz 406.11 § 132 BauGB Nr. 49 S. 3[]
  26. Nds. OVG, Urteil vom 25.11.1999 – 9 L 1832/99[]
  27. BVerwG, Urteil vom 14.12.1979 a.a.O. S. 253[]
  28. Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl.2007, § 97 GWB Rn. 219; Eiding, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, Stand 1.12.2012, § 129 Rn. 25[]
  29. vgl. BVerwG, Urteil vom 29.06.1999 – 9 C 36.98, BVerwGE 109, 174, 177[]