Legt ein Einbürgerungsbewerber ein Zertifikat einer zertifizierten Sprachschule vor, wonach er die Sprachprüfung zum Zertifikat B1 Deutsch bestanden hat, entfaltet das Zertifikat Indizwirkung dafür, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 4 StAG erfüllt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn aufgrund konkreter Umstände Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die tatsächlichen Sprachkenntnisse des Einbürgerungsbewerbers hinter dem Niveau B1 zurückbleiben. In diesem Fall hat das Verwaltungsgericht sich im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes in der mündlichen Verhandlung einen eigenen Eindruck von den Sprachkenntnissen des Einbürgerungsbewerbers zu verschaffen.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG hängt der Anspruch auf Einbürgerung davon ab, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Als Quasi-Legaldefinition regelt § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG, dass diese ausreichenden Kenntnisse vorliegen, „wenn der Ausländer die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) in mündlicher und schriftlicher Sprache erfüllt“.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Freiburg ist § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 4 StAG nicht dahingehend zu verstehen, dass der Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse abschließend durch die Vorlage eines entsprechenden Zertifikats erfolgt. Zwar indiziert ein derartiges Zertifikat das Vorliegen entsprechender Sprachkenntnisse. Bestehen jedoch aufgrund der konkreten Umstände Zweifel daran, ob die attestierten Fähigkeiten den tatsächlichen entsprechen, kann von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht ein materieller Nachweis der sprachlichen Fähigkeiten des Einbürgerungsbewerbers gefordert werden.
Die Konstellation, wie zu verfahren ist, wenn ein solches Zertifikat Deutsch zwar tatsächlich im Einbürgerungsverfahren vorgelegt wird, aber objektiv der Eindruck besteht, dass beim Bewerber keine ausreichenden Sprachkenntnisse vorliegen, wird vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG geht das Gesetz aber gerade nicht davon aus, die Vorlage eines Zertifikats sei in jedem Fall gleichbedeutend mit der Erfüllung der Anforderung ausreichender Sprachkenntnisse [1]. Anders als in § 10 Abs. 3 Satz 1 StAG, in dem geregelt ist, dass die erforderliche Voraufenthaltszeit von acht auf sieben Jahre verkürzt wird, wenn der Einbürgerungsbewerber die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs „durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ nachweist, hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG hinsichtlich der Sprachanforderungen nämlich auf eine vergleichbare Regelung verzichtet und stattdessen darauf abgestellt, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch in mündlicher und schriftlicher Form erfüllt. Das Abstellen auf die materielle Sprachkompetenz – „Anforderungen der Sprachprüfung“ – anstelle des Formalerfordernisses eines Zertifikats ist zunächst deswegen sinnvoll, weil Einbürgerungsbewerber, die – wie etwa Ausländer, die im Bundesgebiet erfolgreich eine Schul- und Berufsausbildung durchlaufen haben – offenkundig ausreichende Sprachkenntnisse aufweisen, nicht zur Teilnahme an einer in ihrem Falle offenkundig überflüssigen Sprachprüfung angehalten werden müssen. Aber auch im umgekehrten Fall tatsächlich unzureichender Sprachkenntnisse trotz Vorliegens eines Zertifikats kann nichts anderes gelten: Zwar haben vorgelegte Bescheinigungen zunächst Indizwirkung und lassen regelmäßig den Schluss darauf zu, der Inhaber des Zertifikats verfüge tatsächlich über die dort bescheinigten Kenntnisse. Letztlich ist jedoch allein entscheidend, ob der Einbürgerungsbewerber die geforderten Sprachkenntnisse, nämlich die Anforderungen, die die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch Niveau B1 vorsieht, vor der Behörde und ggf. dem Gericht vorweisen kann [2]. Die fehlende Bindungswirkung von Prüfungsbescheinigungen ist auch im Hinblick darauf sachgerecht, dass es sich bei den Sprachschulen um private Anbieter handelt, die unter erheblichem Konkurrenzdruck auf dem freien Markt um Teilnehmer, welche den Anbieter frei auswählen dürfen, werben müssen. Auch wenn die Anbieter abstrakt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zertifiziert werden, entzieht sich die Durchführung der Prüfung im Einzelnen weitgehend der staatlichen Kontrolle [3].
Vorliegend kommt die Indizwirkung des vorgelegten Zertifikats der Sprachschule, ausweislich dessen der Einbürgerungsbewerber über die für das Niveau B1 erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt, nicht zum Tragen.
Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob das Zertifikat bereits deshalb nicht geeignet ist nachzuweisen, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch in schriftlicher Sprache im Sinne von § 10 Abs. 4 StAG erfüllt, weil er im Prüfungsteil „schriftlicher Ausdruck“, dem einzigen Prüfungsblock, in dem dem Prüfling selbständiges schriftliches Formulieren in deutscher Sprache abverlangt wird, null Punkte erreicht hat. Denn ausweislich der in den Akten vorhandenen Aktenvermerke der Einbürgerungsbehörde war die Verständigung mit dem Einbürgerungsbewerber nur unter Schwierigkeiten möglich; der daraufhin am 15.05.2013 durchgeführte „Test“ ergab, dass der Einbürgerungsbewerber den ihm vorgelegten Text zwar mündlich in eigenen Worten wiedergeben, jedoch nicht schriftlich zusammenfassen und auch ein ihm gestelltes Diktat nur unter großen Schwierigkeiten schreiben konnte.
Die Einbürgerungsbehörde hat, indem sie überprüfte, ob der Einbürgerungsbewerber sich schriftlich selbständig ausdrücken kann, auch keine über die vom Gesetz gestellten Anforderungen hinausgehenden Sprachkenntnisse verlangt. Soweit der Einbürgerungsbewerbervertreter auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [4] und ihm nachfolgend der Instanzgerichte verweist, wonach es nicht erforderlich sei, dass sich der Einbürgerungsbewerber eigenhändig schriftlich ausdrücken könne, relativiert dies die Anforderungen an die vom Einbürgerungsbewerber zu verlangenden Sprachkenntnisse nicht. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2005 in der Tat entschieden, dass es ausreichend sei, wenn ein Einbürgerungsbewerber, der selbst nicht deutsch schreiben kann, deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen und so die schriftliche Äußerung als seine „tragen“ könne; gemessen an diesem Maßstab stellten sich die vom Beklagten gestellten Anforderungen an die schriftliche Ausdrucksfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers anlässlich seiner persönlichen Vorsprache tatsächlich als überzogen dar. Die vom Einbürgerungsbewerbervertreter zitierte Rechtsprechung ist jedoch auf Grundlage von § 10 Abs. 1 StAG in der bis zum 28.08.2007 geltenden Fassung ergangen; seinerzeit enthielt § 10 StAG kein Erfordernis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse im Sinne einer positiven Anspruchsvoraussetzung, vielmehr war das Fehlen ausreichender Deutschkenntnisse ein – von der Einbürgerungsbehörde darzulegender und ggf. zu beweisender – Ausschlussgrund für einen Einbürgerungsanspruch (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG a.F.). Der gesetzlich nicht näher definierte Rechtsbegriff „ausreichender Sprachkenntnisse“ wurde von Rechtsprechung und Literatur insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit schriftlicher Sprachkompetenz unterschiedlich ausgelegt, wobei das Bundesverwaltungsgericht mit dem Erfordernis gewisser grundlegender schriftlicher Kenntnisse der deutschen Sprache eine vermittelnde Position einnahm [5]. Die 2007 in § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG erfolgte Festlegung auf das Sprachniveau Zertifikat Deutsch B1 „in mündlicher und schriftlicher Form“ korrigiert diese Rechtsprechung, indem sie nunmehr verbindlich auch bestimmte Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache verlangt; hiervon geht auch das Bundesverwaltungsgericht aus [6].
Bestanden mithin trotz des vorgelegten Zertifikats aufgrund des tatsächlichen Auftretens des Einbürgerungsbewerbers gegenüber den Mitarbeitern der Einbürgerungsbehörde konkrete Zweifel an seinen Deutschkenntnissen, insbesondere was seine schriftliche Ausdrucksfähigkeit angeht, war das Gericht aufgrund des insoweit geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gehalten, sich einen eigenen Eindruck von den Sprachkenntnissen des Einbürgerungsbewerbers zu verschaffen.
.2 Die Überprüfung der Sprachkenntnisse des Einbürgerungsbewerbers in der mündlichen Verhandlung ergab, dass der Einbürgerungsbewerber zu diesem Zeitpunkt das Kompetenzniveau B1, wenn auch im Hinblick auf seine schriftliche Ausdrucksfähigkeit nur knapp, erreicht.
Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, auf den § 10 Abs. 4 StAG verweist, ist das Referenzniveau für B1 („selbständige Sprachverwendung“) in Kapitel 3.3, Tabelle 1, wie folgt allgemein umschrieben: „Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.“ Anschließend heißt es im „Raster zur Selbstbeurteilung“ (Tabelle 2) im Zusammenhang mit den Anforderungen ans Schreiben bei Niveau B1: „Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interessieren, einfache zusammenhängende Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten“.
Im Hinblick auf das Hörverstehen des Einbürgerungsbewerbers, aber auch auf seine mündliche Ausdrucksfähigkeit, hat das Verwaltungsgericht keine Zweifel daran, dass seine Kenntnisse den für das Referenzniveau B1 aufgestellten Anforderungen entsprechen. Der Einbürgerungsbewerber, der die ihm gestellten Fragen mühelos und ohne Nachfragen verstand, konnte spontan, ohne viel zu stocken oder nach Worten suchen zu müssen und überwiegend in ganzen, wenn auch einfach strukturierten Sätzen etwa seinen beruflichen Werdegang bei der GGG und seinen beruflichen Alltag schildern, begründen, weshalb er seinen Sprachtest gerade bei der HHH-Sprachschule abgelegt hat, und von seiner Familie berichten. Trotz zahlreicher grammatikalischer Fehler konnte er sich dabei verständlich ausdrücken.
Aber auch seine schriftlichen Kenntnisse der deutschen Sprache entsprechen zur Überzeugung der Verwaltungsgericht, wenn auch knapp, im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung den Anforderungen des B1-Niveaus. Die Aufgabenstellung – er sollte sich vorstellen, morgens auf dem Weg zur Arbeit bekomme er heftige Bauchschmerzen, so dass er beschließe, einen Arzt aufzusuchen, fahre bis zu seiner Arbeitsstelle, treffe aber seinen Chef in dessen Büro nicht an, und schreibe ihm nun einen Zettel, in dem er von seinen Bauchschmerzen, dem Arztbesuch, seiner Vertretung und seinem Vorhaben, ihn, den Chef, später anzurufen, berichten solle – verstand der Einbürgerungsbewerber ohne Nachfrage. Er erfüllte die Aufgabe binnen weniger Minuten. Er schrieb zwar ohne jegliche Interpunktion und mit zahlreichen grammatikalischen Fehlern. Es gelang ihm aber dennoch, die relevanten Informationen so aufzuschreiben, dass sie von einem Dritten hätten gelesen und verstanden werden können. Dabei beschränkte er sich nicht auf einzelne unzusammenhängende Stichworte, sondern formulierte – wenn auch fehlerhaft – zusammenhängende Sätze. Seine schriftliche Ausdrucksfähigkeit erwies sich damit als deutlich verbessert gegenüber der beim Landratsamt erbrachten Schriftprobe. Damit hat der Einbürgerungsbewerber zur Überzeugung der Verwaltungsgericht die Anforderungen, die der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen an das Sprachniveau B1 stellt, auch im Hinblick auf seine schriftlichen Deutschkenntnisse erfüllt.
Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2014 – 4 K 708/14
- vgl. zum Folgenden auch VG Stuttgart, Urteil vom 19.07.2012 – 11 K 9/12; VG Darmstadt, Urteil vom 07.07.2013 – 5 K 861/12.DA[↩]
- VG Darmstadt, Urteil vom 07.07.2013, a.a.O.; VG Stuttgart, Urteil vom 19.07.2012, a.a.O.[↩]
- VG Darmstadt, Urteil vom 07.07.2013, a.a.O.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 – 5 C 8.05[↩]
- vgl. dazu ausführlich und m.w.N. GK-StAR, Stand 12/2013, IV- 2 § 10 Rn. 308[↩]
- vgl. Urteil vom 27.05.2010 – 5 C 8/09[↩]