Nichtzulassungsbeschwerde – oder: die Vorlesung des OVG

Manche Entscheidungen sind deutlicher als manches Lehrbuch oder Formularbuch. So auch jetzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg bei der Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde in einer beamtenrechtlichen Beihilfeangelegenheit:

Nichtzulassungsbeschwerde – oder: die Vorlesung des OVG

Die Antragsbegründungschrift muss bei der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen genügen, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO an die Darlegung der Zulassungsgründe zu stellen sind. Nach dieser Vorschrift sind nämlich innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Berufung kann nach § 124 Abs. 2 VwGO nur aus den dort genannten Gründen zugelassen werden. Es ist mithin in der Begründung des Zulassungsantrages darzulegen, ob die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wegen Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten Gerichte oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) beantragt wird. Ferner muss im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründet werden, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt ist. Im Falle der Geltendmachung mehrerer Zulassungsgründe müssen dabei alle diese Gründe jeweils selbständig dargelegt werden1. Es obliegt nicht dem Oberverwaltungsgericht, sondern gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO der Rechtsbehelfsführerin, einzelne Zulassungsgründe ausdrücklich oder konkludent zu bezeichnen und ihnen dann jeweils diejenigen Elemente ihrer Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung klar zuzuordnen, mit denen sie das Vorliegen des jeweiligen Zulassungsgrundes darlegen möchte2. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des OVG, sich aus einem „Darlegungs-Gemenge“ dasjenige herauszusuchen, was sich bei wohlwollender Auslegung den einzelnen Zulassungsgründen zuordnen ließe3.

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Eine Zulassungsantragstellerin kann deshalb ihrer sich aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ergebenden Darlegungslast nicht dadurch genügen, dass sie Zulassungsgründe zwar vorab (formal) benennt, dann aber eine Begründung ihres Zulassungsantrags anfügt, in der zwischen den einzelnen Zulassungsgründe nicht mehr unterschieden wird4, sondern die nach Art einer Berufungsbegründung (124a Abs. 3 Satz 4 VwGO) abgefasst ist. So aber liegt es im vorliegenden Falle, in dem nur ganz vereinzelt (siehe den zweiten Absatz auf der Seite 6 der Antragsbegründungsschrift vom 16. Januar 2007) ein Element der Urteilskritik dem jeweiligen Zulassungsgrund klar zugeordnet ist.

Den speziellen Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird der Zulassungsantrag im Übrigen ohnehin nicht gerecht. Denn die Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass die Zulassungsantragstellerin eine für fallübergreifend gehaltene Frage formuliert5, näher begründet, weshalb diese eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht, sowie schließlich darstellt, dass die Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht6. Das ist hier nicht geschehen.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt im Übrigen unter den von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkten nicht vor.

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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird7. Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird8.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 5 LA 1/07

  1. OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.10.2008 – 6 AD 2/08 -, NVwZ-RR 2009, 360, m. w. N.[]
  2. OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.10.2008 – 6 AD 2/08 -, a. a. O., m. w. N.[]
  3. Nds. OVG, Beschl. v. 28. 10. 2008 – 6 AD 2/08 -, a. a. O., m. w. N.[]
  4. Bader, in: Bader u. a. VwGO, 4. Aufl. 2007, § 124a Rn. 81, m. w. N.[]
  5. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.02. 2008 – 5 LA 167/04 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der Nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in juris; Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 124a Rn. 72[]
  6. Nds. OVG, Beschl. v. 29. 2. 2008 – 5 LA 167/04 -, a. a. O., m. w. N.[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2000 – 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459][]
  8. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.03.1997 – 12 M 1731/97-, NVwZ 1997, 1225 [1228]; Beschluss vom 23.08.2007 – 5 LA 123/06 -; BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004 – BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838 [839][]
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