Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist neben der Erfüllung der dort genannten speziellen Voraussetzungen auch erforderlich, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist.

Ist der Ausländer nur deshalb auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) angewiesen, weil er mit seinen deutschen Familienangehörigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, könnte er aber mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken, so ist bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen.
Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Dieser greift vielmehr mit dem Tatbestandsmerkmal des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes ausdrücklich nur eine der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) auf, lässt alle anderen hingegen unerwähnt. Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Norm sprechen jedoch dafür, dass für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auch das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelte Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts erfüllt sein muss.
Der Gesetzgeber hat nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes die Fälle, in denen er von der Erfüllung bestimmter allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen abweichen wollte, ausdrücklich im Wortlaut der jeweiligen Vorschrift kenntlich gemacht (beispielsweise in § 29 Abs. 4, § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und § 36 Abs. 1 AufenthG). Eine entsprechende Regelung hat er auch in § 28 Abs. 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ehegatten eines Deutschen, das minderjährige ledige Kind eines Deutschen bzw. den Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge getroffen. Im Gegensatz dazu fehlt in § 28 Abs. 2 AufenthG für den Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis eine entsprechende Formulierung. Daraus folgt, dass neben den in § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannten Tatbestandsmerkmalen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG – insbesondere die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG – erfüllt sein müssen1. Dem steht nicht entgegen, dass § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausdrücklich das Fehlen eines Ausweisungsgrundes als Erteilungsvoraussetzung erwähnt, die anderen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG jedoch unerwähnt lässt. Vielmehr wird durch diese Formulierung die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verschärft, weil von einem Ausweisungsgrund auch bei einer atypischen Fallgestaltung nicht mehr abgesehen werden kann. Daraus kann nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, er habe durch die Verschärfung einer Regelerteilungsvoraussetzung auf die Erfüllung der übrigen Regelerteilungsvoraussetzungen verzichten wollen. Für das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG spricht auch die Bedeutung, die der Gesetzgeber der Unterhaltssicherung generell beimisst. Er sieht hierin eine Erteilungsvoraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse und zugleich die wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern2. Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertung kann nicht angenommen werden, dass von der Unterhaltssicherung bei Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt nach § 28 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden sollte. Der Gesetzgeber hat allerdings die Niederlassungserlaubnis bei familiärer Lebensgemeinschaft mit Deutschen insofern gegenüber einer solchen mit Ausländern privilegiert, als für die Unterhaltssicherung § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und nicht § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG maßgeblich ist. Das hat zur Folge, dass für die Familienangehörigen Deutscher die Sicherung des Lebensunterhalts nur eine Regelerteilungsvoraussetzung darstellt und nicht wie für die Familienangehörigen von Ausländern eine zwingende Voraussetzung.
Für die Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist nicht nur auf den eigenen Bedarf des Antragstellers abzustellen, sondern auf den Gesamtbedarf der aus mit dem Antragsteller bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Lebensunterhalt eines Ausländers im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG nämlich nicht schon dann gesichert ist, wenn der Ausländer mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken könnte, er für seinen Ehepartner und seine Kinder aber auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) angewiesen ist3. Vielmehr sind für die Berechnung, ob ein Anspruch auf öffentliche Leistungen besteht, grundsätzlich die sozialrechtlichen Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 SGB II maßgeblich.
In dem zuvor vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall ging es zwar um eine Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 AufenthG und nicht – wie hier – um eine solche aus familiären Gründen. In dem Urteil wird jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass sich aus der Verweisung des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf das Sozialrecht allgemein – und nicht nur für besondere Fallkonstellationen wie den Familiennachzug – ergibt, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei einem erwerbsfähigen Ausländer auch den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr umfasst4. Zur Begründung hat der Senat maßgeblich auf Sinn und Zweck der Regelung abgestellt, die dazu dient, (neue) Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Und er hat darauf hingewiesen, dass eine Niederlassungserlaubnis die Berechtigung zum Daueraufenthalt begründet und daher vom Gesetzgeber in § 26 Abs. 4 AufenthG und § 9 Abs. 2 AufenthG von erhöhten Integrationsvoraussetzungen abhängig gemacht wurde, die über die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG hinausgehen5.
Für Aufenthaltstitel zum Zweck des Familiennachzugs hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom gleichen Tag in der Sache BVerwG 1 C 20.09 ausgeführt, dass sich auch aus der in § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG getroffenen Regelung ergibt, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Gesamtbedarf der Kernfamilie des Ausländers abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift werden bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug „Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt“. Die Verwendung des Begriffs „Haushaltseinkommen“ macht deutlich, dass der Gesetzgeber insoweit von einer einheitlichen Betrachtung der häuslichen Familiengemeinschaft ausgeht. Ferner hat der Senat ausgeführt, dass nur das Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft der Lebenswirklichkeit gerecht wird. Es wäre lebensfremd, wenn man annähme, ein Ausländer, der Alleinverdiener ist, würde von seinem Einkommen zunächst seinen eigenen Bedarf decken und seiner Familie lediglich die verbleibenden Mittel zukommen lassen. Als wirklichkeitsfremd hat er daher die fiktive Berechnung angesehen, ob der einzelne Ausländer – für sich gesehen – seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könnte6.
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Soweit im Einzelfall oder in einer typisierten Gruppe von Einzelfällen eine Ausnahme vom Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft zu machen ist, kann dem durch Annahme einer Abweichung vom Regelfall Rechnung getragen werden.
Im hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall bejahte das Gericht jedoch das Vorliegen einer Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Von einer solchen Ausnahme ist bei besonderen, atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen7. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar8. Besondere Umstände, die eine Ausnahme vom Regelfall begründen, liegen hier in der Tatsache, dass das Einkommen der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausreicht, ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern, und die Bedarfslücke nur durch den Unterhaltsbedarf ihrer beiden deutschen Kinder entsteht. Für die Kinder bedeutet die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an ihre Mutter aber keine Verfestigung des Aufenthalts, da sie als Deutsche ohnehin Anspruch auf dauerhaften Verbleib in der Bundesrepublik haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat als einen Grund für das Abstellen auf die Bedarfsgemeinschaft – wie bereits dargelegt – die Vermeidung zusätzlicher Belastungen der öffentlichen Haushalte angeführt, die auch durch eine Verfestigung des Aufenthalts hilfebedürftiger ausländischer Familienangehöriger eintritt9. Dieser Grund für das Abstellen auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft liegt bei deutschen Familienangehörigen nicht vor. Das Aufenthaltsrecht eines Deutschen im Land seiner Staatsangehörigkeit kann nicht weiter verfestigt werden. Deutsche sind auch dann nicht zur Ausreise verpflichtet, wenn sie Sozialleistungen beziehen. Daher führt die mit einer Niederlassungserlaubnis verbundene Verfestigung des Aufenthalts der Klägerin nicht zu einer Verstetigung der Belastung öffentlicher Haushalte durch die Verpflichtung zur Gewährung von Sozialleistungen. In der aus der Klägerin und ihren Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft ist sie die einzige Ausländerin. Sie erzielt aber ein ihren Bedarf deckendes Einkommen. In diesem Fall greift die allgemeine Regel nicht, dass die Verfestigung des Aufenthalts eines Mitglieds der auf Sozialleistungen angewiesenen Bedarfsgemeinschaft zu einer zusätzlichen Belastung der öffentlichen Haushalte führt und daher der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegensteht. Der gleiche Gedanke lag auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur einschränkenden Auslegung des Versagungs- und Ausweisungsgrundes nach § 46 Nr. 6 AuslG 199010 wegen Sozialhilfebezugs unterhaltsberechtigter Familienangehöriger zugrunde. In seinem Urteil vom 28.09.200411 hat der Senat ausgeführt, dass die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AuslG die durch diesen Ausweisungstatbestand geschützten fiskalischen Interessen dann nicht beeinträchtigt, wenn ein deutscher Familienangehöriger des Ausländers Sozialhilfe bezieht. Der Verweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verliert durch die vorstehend näher beschriebene Ausnahme im Fall einer durch deutsche Familienangehörige entstehenden Bedarfslücke nicht seine Bedeutung, da weiterhin der Lebensunterhalt des die Niederlassungserlaubnis begehrenden Ausländers selbst – sowie gegebenenfalls weiterer in die Bedarfsgemeinschaft einbezogener ausländischer Familienangehöriger – gesichert sein muss.
Da eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG schon aus den vorstehend dargelegten Gründen zu machen ist, kam es für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr auf die Frage an, ob eine Ausnahme auch dann vorläge, wenn der Lebensunterhalt der familiären Bedarfsgemeinschaft nur deshalb nicht gedeckt wäre, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin – was bisher nicht festgestellt ist – seinen Unterhaltspflichten gegenüber den gemeinsamen Kindern nicht nachkommt.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. August 2011 – 1 C 12.10
- so auch OVG Münster, Beschluss vom 06.07.2006 – 18 E 1500/05, InfAuslR 2006, 407; OVG Bremen, Beschluss vom 13.08.2009 – 1 S 223.09, InfAuslR 2010, 25; OVG Bautzen, Beschluss vom 03.02.2010 – 3 D 70.09; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.02.2011 – 12 B 20.08; Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, Stand: Februar 2008, § 28 AufenthG Rn. 27; Marx, in: GK-AufenthG, Stand: Mai 2008, § 28 Rn. 245; Huber, Aufenthaltsgesetz, § 28 Rn. 10 f.; Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. § 28 AufenthG Rn.20[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 – 1 C 3.08, Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 5 Rn. 11[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 21.09, InfAuslR 2011, 182 Rn. 14 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 a.a.O. Rn. 16[↩]
- BVerwG, Urteil vom 16.11.a.a.O. Rn. 17[↩]
- BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 a.a.O. Rn.19[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 26.08.2008 – 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370 Rn. 27[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 a.a.O. Rn. 15[↩]
- BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 a.a.O. Rn. 18[↩]
- jetzt: § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG[↩]
- BVerwG 1 C 10.03, BVerwGE 122, 94, 101[↩]