Ob für einen Normenkontrollantrag ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, richtet sich nach den jeweiligen Interessen im Einzelfall. Es kann ausreichend sein, dass die Unwirksamkeit eines Bebauungsplans das Gewicht eines Abwägungspostens bei einer bereits absehbaren Planung verändert, die im engen konzeptionellen Zusammenhang mit dem angegriffenen Plan steht.

Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Plannachbarn wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann1. Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt2.
Ist ein Bebauungsplan durch eine genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahme vollständig verwirklicht, so wird der Plannachbar allerdings in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können3. Ungeachtet dessen richtet es sich nach den jeweiligen Interessen im Einzelfall, ob das Rechtsschutzbedürfnis fehlt4, die beantragte Rechtsverfolgung also nutzlos ist5.
Die Konzeption der Antragsgegnerin, Lebensmitteleinzelhandel in dem Bereich des Fachmarktzentrums zu konzentrieren und in unmittelbarer Nachbarschaft auszuschließen, ist bei der Entscheidung über einen Ausschluss von Lebensmitteleinzelhandel auf dem Grundstück des Plannachbarn abzuwägen6. Welches Gewicht ein solches Konzept hat, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, etwa davon, mit welcher Häufigkeit und in welchem Umfang es bereits durchbrochen worden ist7. Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommen hat, ist sein Gewicht aber auch davon abhängig, ob es durch einen Bebauungsplan planerisch für die Zukunft und damit auch bei Änderungen des tatsächlichen Bestandes gesichert ist oder ihm lediglich ein baurechtlich unanfechtbar genehmigter Bestand entspricht. Dieses unterschiedliche Gewicht als Abwägungsposten reicht aus, um bei bestehender Antragsbefugnis auch das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen. Denn es genügt, wenn bei Unwirksamkeit einer Planung die Gemeinde möglicherweise einen Bebauungsplan mit günstigeren Festsetzungen aufstellen wird8.
Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22.10.20099. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hatte in dieser Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag verneint, mit dem ein Plannachbarn außerhalb des Plangebiets seine Abwägungsposition in einem sein Grundstück betreffenden, noch laufenden Bebauungsplanverfahren verbessern wollte10. Dieser Fall lag indes schon in tatsächlicher Hinsicht anders. Denn während vorliegend der Planung ein Einzelhandelsausschluss für das Grundstück des Plannachbarn zugrunde liegt, diente die Planung für das Grundstück des Antragstellers im Fall des Oberverwaltungsgerichts Schleswig dem Schutz eines Nahversorgungszentrums außerhalb des räumlichen Umgriffs des angegriffenen Bebauungsplans11. Unabhängig davon rechtfertigt der Hinweis auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig nicht die Annahme grundsätzlicher Bedeutung, weil diese das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.06.201112 nicht berücksichtigen konnte und – jedenfalls nicht erkennbar – ihr auch das kurz zuvor ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.01.200913 nicht zugrunde liegt.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. September 2015 – 4 BN 252015 –
- BVerwG, Beschluss vom 04.06.2008 – 4 BN 13.08 – BRS 73 Nr. 51 Rn. 5[↩]
- BVerwG, Urteile vom 23.04.2002 – 4 CN 3.01, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 156 S. 87; und vom 16.04.2015 – 4 CN 6.14 15[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 28.08.1987 – 4 N 3.86, BVerwGE 78, 85, 92[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 09.02.1989 – 4 NB 1.89, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37[↩]
- BVerwG, Urteil vom 16.06.2011 – 4 CN 1.10, BVerwGE 140, 41 Rn. 33[↩]
- vgl. zu Zentrenkonzepten nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB BVerwG, Urteile vom 29.01.2009 – 4 C 16.07, BVerwGE 133, 98 Rn. 24 ff.; und vom 27.03.2013 – 4 C 13.11, BVerwGE 146, 137 Rn. 11[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 – 4 C 16.07, BVerwGE 133, 98 Rn. 28[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.2002 – 4 CN 3.01, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 156 S. 88[↩]
- OVG Schleswig, Urteil vom 22.10.2009 – 1 KN 15/08, NordÖR 2010, 111[↩]
- OVG Schleswig, a.a.O. S. 112[↩]
- OVG Schleswig, a.a.O., insoweit nicht in NordÖR 2010, 111 abgedruckt[↩]
- 8BVerwG, Urteil vom 16.06.2011 – 4 CN 1.10, BVerwGE 140, 41[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 – 4 C 16.07, BVerwGE 133, 98[↩]