Eine Verletzung des kommunalrechtlichen Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit durch fehlerhafte Vergabe eines Teils der Sitzplätze führt nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse, wenn die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet war.

Im hier entschiedenen Fall stützte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen seine Annahme, in Bezug auf die über die Ratsfraktionen zum Zuge gekommenen Zuhörer könne nicht von einer gelenkten Öffentlichkeit ausgegangen werden, auf die Feststellung, dass die der bisherigen Verwaltungspraxis entsprechende Überlassung von Eintrittskarten an die Ratsfraktionen nach deren Proporz wegen der Weitergabe dieser Eintrittskarten durch eine Vielzahl verschiedener Akteure eine gezielte Lenkung des Publikums fernliegend erscheinen lasse1.
Das Bundesverwaltungsgericht billigte diese Annahme. Diese Schlussfolgerung missachtet weder allgemeine Erfahrungssätze noch ist sie denkgesetzwidrig. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nicht schon vor, wenn die Schlussfolgerung des Tatsachengerichts nicht zwingend ist oder nach Auffassung eines Beteiligten fernliegend oder spekulativ erscheint. Denkfehlerhaft ist sie nur, wenn sie denklogisch schlechterdings unmöglich ist, weil die Gesetze der Logik nur einen anderen, abweichenden Schluss zulassen2. Das ist hier nicht der Fall.
Nach der für das Revisionsgericht bindenden Auslegung irrevisiblen Landesrechts durch das Berufungsgericht verlangt der in § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW verankerte Grundsatz der Öffentlichkeit von Ratssitzungen eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten. Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes hat das Berufungsgericht dem Vorsitzenden des Rates einen durch das Willkürverbot begrenzten Ermessensspielraum zuerkannt und eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen nur für zulässig gehalten, soweit sie im Einzelfall aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist und sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt. Auch ein besonderes berufliches oder dienstliches Interesse kann nach dem berufungsgerichtlichen Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes eine bevorzugte Platzvergabe sachlich rechtfertigen. Diese Auslegung steht mit Bundesrecht, namentlich dem Demokratiegebot, im Einklang.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Ratssitzungen konkretisiert Anforderungen des Demokratieprinzips (Art.20 Abs. 1 GG), an dessen Grundsätze die Gemeinden gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 GG gebunden sind3. Für das Demokratiegebot des Grundgesetzes ist die Öffentlichkeit des Staatshandelns als Voraussetzung von Verständnis und Vertrauen der Bürger konstitutiv4. Öffentliche Debatte und Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Sie eröffnen nicht nur Möglichkeiten des Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Verfahren nicht so ergäben, sondern auch die demokratische Kontrolle durch die Bürger. Damit dienen sie der Verantwortlichkeit der Volksvertretung gegenüber den Wählern, die ein zentraler Mechanismus des effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt ist5. Die Öffentlichkeit von Ratssitzungen stellt einen tragenden Grundsatz der demokratischen Willensbildung in den Kommunen dar. Sie verfolgt den Zweck, der Allgemeinheit in Bezug auf die Arbeit des kommunalen Vertretungsorgans Publizität, Information, Kontrolle und Integration zu vermitteln6. Die Auslegung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht wird diesen Anforderungen gerecht. Sie gewährleistet die chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann und lässt einen bevorzugten Zugang Einzelner nur bei sachlicher Rechtfertigung und nur in so begrenztem Umfang zu, dass die allgemeine Zugänglichkeit gewahrt bleibt. Das bundesverfassungsrechtliche Demokratiegebot verlangt keine strengere Auslegung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit. Insbesondere lässt sich ihm nicht entnehmen, dass eine durch sachliche Gründe gerechtfertigte bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen von vornherein ausgeschlossen wäre.
Revisionsrechtlich fehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Platzvergabe für die in Rede stehende Ratssitzung den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verletzt hat. Dass 25 Karten den Ratsfraktionen zur Verteilung überlassen wurden, hat es ebenso wie die bevorzugte Platzvergabe an drei namentlich benannte Einzelpersonen und an Mitglieder nur einer von zwei mit dem streitigen Thema befassten Bürgerinitiativen im Einklang mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG für sachlich nicht gerechtfertigt und daher für unzulässig gehalten.
Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils (§ 137 Abs. 2 VwGO) wurden die Eintrittskarten den Fraktionen ohne jede Zweckbindung zur beliebigen Verteilung überlassen. Ob dies eine Weitergabe der Karten an die für die Fraktionen tätigen Personen ermöglichen sollte und ob deren Bevorzugung durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre, konnte das Berufungsgericht offenlassen. Es hat revisionsrechtlich fehlerfrei darauf abgestellt, dass eine solche Zweckbindung schon mangels entsprechender Vorgaben für die Kartenvergabe durch die Fraktionen nicht sichergestellt war.
Eine sachliche Rechtfertigung für die Bevorzugung dreier namentlich genannter Personen hat es revisionsrechtlich fehlerfrei verneint. Die bevorzugte Berücksichtigung von vier Mitgliedern einer für den Straßenausbau eintretenden Bürgerinitiative hat es zu Recht als Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG eingeordnet, weil für Mitglieder der den Ausbau ablehnenden Bürgerinitiative keine Plätze reserviert wurden.
Mit dem demokratischen Grundsatz der Öffentlichkeit gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG steht auch in Einklang, dass das Berufungsgericht die Vergabe von Zuhörerplätzen an interessierte Bürgerinnen und Bürger nach dem Prioritätsprinzip unbeanstandet gelassen hat. Eine allein an dem zeitlichen Eingang einer Anfrage orientierte Platzvergabe stellt ein objektives Verteilungsverfahren dar, das jedem Bürger im Rahmen verfügbarer Kapazitäten gleichen Zugang zur Ratssitzung ermöglicht. Auch die bevorzugte Vergabe von Plätzen an Vertreter der Presse durfte das Berufungsgericht für zulässig erachten. Diese Praxis trägt Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung, dient dem Informationsinteresse der Bürger und fördert die öffentliche Kontrolle der Ratssitzung.
Das Berufungsurteil des OVG NRW geht ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon aus, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse. Hingegen steht seine Annahme, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe, mit dem Demokratiegebot nicht im Einklang.
Das Berufungsgericht ist der von der Klägerin vertretenen Auffassung, wonach jeder Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse führen soll, zu Recht nicht gefolgt. Zwar stellt der unrechtmäßige vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit einen erheblichen Verfahrensmangel dar, der regelmäßig die Unwirksamkeit der in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse zur Folge hat7. Daraus folgt jedoch nicht, dass demokratische Grundsätze im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG dazu verpflichteten, bei jedem Verstoß gegen die Sitzungsöffentlichkeit stets alle betroffenen Ratsbeschlüsse für nichtig zu halten. Wenn nur ein begrenzter Teil der zur Verfügung stehenden Plätze ermessensfehlerhaft vergeben wurde, während die übrigen für jedermann chancengleich zugänglich blieben, ist die Nichtigkeitsfolge bundesrechtlich nicht zwingend. Vielmehr erlaubt es der Grundsatz der Rechtssicherheit, der nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG neben dem Demokratiegebot zu beachten ist, eine Nichtigkeit nur bei schweren Verstößen gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vorzusehen. So hat das Berufungsgericht die irrevisible kommunalrechtliche Regelung verstanden. Diese Auslegung ist mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, weil schwere Verstöße regelmäßig ohne Weiteres zu erkennen sind, sodass über die Nichtigkeit der in der betreffenden Ratssitzung gefassten Satzungs- und anderen Beschlüsse kein Zweifel bestehen kann8. Bei sonstigen Verletzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Ratssitzungen bleibt es dann bei der Wirksamkeit der verfahrensfehlerhaften Beschlüsse, bis sie durch den Rat, die Kommunalaufsichtsbehörde oder eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden.
Die Voraussetzungen, unter denen eine ermessensfehlerhafte Vergabe eines Teils der Zuschauerplätze einen schweren Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz darstellt und nach demokratischen Grundsätzen die Nichtigkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse zur Folge haben muss, sind nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG entsprechend dem Zweck dieser Gewährleistung anhand der demokratischen Funktion der Öffentlichkeit zu bestimmen. Die berufungsgerichtliche Annahme, ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe, steht damit nicht im Einklang. Das Demokratieprinzip verlangt eine wirksame Kontrolle der Gemeindevertretung durch die Öffentlichkeit. Maßgeblich ist daher nicht, ob der Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz das Ergebnis bewusster oder gar absichtlicher politischer Einflussnahme ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob trotz der fehlerhaften Platzvergabe die Information der Allgemeinheit, die Transparenz der Sitzung und die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit noch gewährleistet sind. Dies setzt voraus, dass eine hinreichende Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibt und die Zusammensetzung der Zuhörerschaft zufallsabhängig ist. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit vor, der zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse führt.
Das Berufungsurteil erweist sich indessen aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Bei Anwendung des bundesrechtlich zutreffenden Maßstabs führt der festgestellte Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit nicht zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse. Insoweit hat das Berufungsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen stand in der Ratssitzung vom 26.11.2015 ein hinreichender Anteil der Plätze für jedermann zur Verfügung. Außerdem war die Zusammensetzung des Publikums ganz überwiegend zufallsbestimmt. Neben den nach dem Prioritätsprinzip an interessierte Bürgerinnen und Bürger zugeteilten Plätzen wurden auch die über die Ratsfraktionen verteilten Eintrittskarten nicht gezielt an Befürworter des Straßenausbaus ausgegeben. Sie wurden den Ratsfraktionen ohne einen Verwendungszusatz überlassen und anschließend durch eine Vielzahl verschiedener Akteure verteilt. Damit waren nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen mindestens 49 der 73 Eintrittskarten, mithin rund zwei Drittel aller verfügbaren Plätze, an Zuhörer gelangt, die keiner bestimmten inhaltlichen Positionierung zugeordnet werden konnten.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. September 2021 – 8 C 31.20
- OVG NRW, Urteil vom 07.10.2020 – OVG 15 A 2750/18[↩]
- BVerwG, Urteil vom 19.01.1990 – 4 C 28.89, BVerwGE 84, 271; Beschlüsse vom 10.12.2003 – 8 B 154.03, NVwZ 2004, 627; und vom 06.03.2008 – 7 B 13.08, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.03.1995 – 4 B 33.95, Buchholz 406.11 § 24 BauGB Nr. 6 S. 2[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 24.01.2001 – 1 BvR 2623/95 u.a., BVerfGE 103, 44 S. 63; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl.2021, Art.20 Rn. 18[↩]
- BVerfG, Urteil vom 07.11.2017 – 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 Rn.200 f. m.w.N.[↩]
- vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.05.2003 – 1 MR 10/03, NVwZ-RR 2003, 774[↩]
- vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 09.04.1976 – 58/75 – NJW 1976, 1931; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.2000 – 14 S 237/99, NVwZ-RR 2001, 462 <463>, Thür. OVG, Beschluss vom 14.06.2021 – 3 ZKO 434/17 9; Rabeling, NVwZ 2010, 411 <412> Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl.2019, S. 314 Rn. 629; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl.2019, S. 409 Rn. 91 m.w.N. in Fußnote 258[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.01.2008 – 2 BvL 12/01, BVerfGE 120, 56 S. 79; und vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07, BVerfGE 125, 104 S. 132 zu Verfahrensfehlerfolgen bei der Gesetzgebung[↩]