Prostitution ist in größeren Städten unvermeidbar und dort müssen Toleranzzonen verbleiben. In einer Gemeinde mit mehr als 50.000 Einwohnern darf die Prostitution nicht für das gesamte Gemeindegebiet, sondern nur für Teile dieses Gebiets verboten werden. Die Befolgung einer Sperrgebietsverordnung ist vorläufig nicht zuzumuten, wenn in der festgelegten Toleranzzone für Prostituierte keine Flächen zum Erwerb oder zur Anmietung verfügbar sind.

So die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in dem hier vorliegenden Eilverfahren, mit dem vier Antragstellerinnen begehrt haben, eine Sperrgebietsverordnung im Stadtzentrum von Friedrichshafen vorläufig außer Vollzug zu setzen. Die Verordnung des Regierungspräsidiums Tübingen über das Verbot der Prostitution auf dem Gebiet der Stadt Friedrichshafen vom 11. April 2013 (Sperrgebietsverordnung) ist am 25. Juni 2013 in Kraft getreten. Sie verbietet jede Art der Prostitution im Stadtgebiet. Vom Verbot ausgenommen sind einige Toleranzzonen in Gewerbegebieten sowie baurechtlich genehmigte Nutzungen. Die Antragstellerinnen gehen in Wohnungen eines zehnstöckigen Gebäudes im Stadtzentrum der Prostitution nach. Die Stadt forderte sie im Januar 2014 unter Androhung von Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafverfahren auf, die Ausübung der Prostitution unverzüglich einzustellen. Daraufhin haben die Antragstellerinnen im März 2014 beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beantragt, die Sperrgebietsverordnung für ungültig zu erklären. Über diesen Normenkontrollantrag ist noch nicht entschieden. Über den Eilantrag der Antragstellerinnen die Sperrgebietsverordnung für das Grundstück, auf dem sie der Prostitution nachgehen, durch eine einstweilige Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen, hat der Verwaltungsgerichtshof nun entschieden.
In seiner Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausgeführt, dass zwar nach Artikel 297 EGStGB durch Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstands die Ausübung der Prostitution für das Gebiet von Gemeinden, gestaffelt nach ihrer Einwohnerzahl, verboten werden könne. In einer Gemeinde mit mehr als 50.000 Einwohnern dürfe die Prostitution aber nicht für das gesamte Gemeindegebiet, sondern nur für Teile dieses Gebiets verboten werden. Straßenprostitution dürfe allerdings für das gesamte Gemeindegebiet verboten werden. Das Gesetz gehe davon aus, dass Prostitution in größeren Städten herkömmlich unvermeidbar sei und dort Toleranzzonen verbleiben müssten, um ein unerwünschtes Abgleiten in die Illegalität zu verhindern.
Es sei zweifelhaft, ob dieser Rahmen hier eingehalten sei. Die Antragstellerinnen hätten substantiiert und unwidersprochen eingewandt, dass in der Mehrzahl der festgelegten Toleranzzonen keine Flächen zum Erwerb oder zur Anmietung verfügbar seien, weil es sich überwiegend um Werks- und Betriebsgelände angestammter Betriebe und nicht um neu erschlossene Gewerbegebiete mit freien Flächen handele. Diesem Einwand sei in der Hauptsache nachzugehen.
Bei dieser Ausgangslage sei den Antragstellerinnen die Befolgung der Sperrgebietsverordnung vorläufig nicht zuzumuten. Würde die einstweilige Anordnung nicht ergehen und hätte der Normenkontrollantrag später Erfolg, so wäre die Existenzgrundlage der Antragstellerinnen möglicherweise unwiederbringlich zerstört. Es spreche viel dafür, dass ihnen nicht nur der Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch die Kündigung ihrer Mietverhältnisse drohe, weil sie ohne Ausübung ihrer Tätigkeit kaum in der Lage sein dürften, die Mietzahlungen für die Wohnungen aufzubringen. Die Folgen der einstweiligen Anordnung für die Allgemeinheit wögen demgegenüber weniger schwer. Die Verordnung werde nur für ein Grundstück außer Vollzug gesetzt. Die dort von der Wohnungsprostitution betroffene Teilöffentlichkeit sei nicht gesteigert schutzbedürftig. Das Gebäude liege in einem Kerngebiet. Die Ausübung der Prostitution sei dort bauplanungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Dass im Gebäude bevorzugt Familien mit Kindern wohnten, sei nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof verkenne nicht, dass Hausbewohner und eventuell auch Passanten, die davon unbehelligt bleiben wollten, durch eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution erheblich belästigt werden könnten. Unter Berücksichtigung der langjährigen passiven Duldung der Wohnungsprostitution und der polizeirechtlichen Möglichkeiten, gegen die – vereinzelt aufgetretene – Straßenprostitution in der Fußgängerzone vor dem Gebäude einzuschreiten, sei es der Allgemeinheit jedoch zuzumuten, die Ausübung der Wohnungsprostitution in dem Gebäude vorläufig weiterhin hinzunehmen. Den vom Antragsgegner angeführten strafrechtlichen Vorfällen, die von der Polizei mit der Ausübung der Prostitution in Verbindung gebracht würden, komme in der Folgenabwägung schon deshalb kein maßgebliches Gewicht zu, weil sie bereits 14 Jahre und länger zurücklägen.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 1 S 440/14