Prozesskostenhilfe und berufsbedingte Fahrtkosten

Im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung von Prozesskostenhilfe sind die nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII vom Einkommen abzusetzenden berufsbedingten Fahrtaufwendungern anhand der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu ermitteln.

Prozesskostenhilfe und berufsbedingte Fahrtkosten

Von dem Netto-Einkommen sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) ZPO die in § 82 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 SGB XII bezeichneten Beträge abzuziehen. Abzugsfähig sind danach u.a. nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII gesetzlich vorgeschriebene oder nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen sowie nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben.

Mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben im Sinne von § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII sind u.a. berufsbedingte Fahrtkosten. Derartige Aufwendungen hat der Kläger in dem hier vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall geltend gemacht und hierbei für die Fahrten zum Arbeitsplatz eine Kilometerpauschale von 0,30 € pro gefahrenen Kilometer zugrunde gelegt. Bei dieser pauschalierten Berechnung ergeben sich – wie vom Kläger angegeben – Fahrtkosten in Höhe von 286,- € monatlich (2 x 26 km x 0,30 EUR x 220 Arbeitstage/12 Monate). Bei dieser Berechnung hat sich der Kläger offensichtlich an unterhaltsrechtlichen Leitlinien verschiedener Oberlandesgerichte orientiert, nach denen zur Ermittlung des unterhaltsrechtlich maßgebenden Einkommens in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG die Kosten einer Pkw-Benutzung für Fahrten zum Arbeitsplatz mit einer Kilometerpauschale von 0,30 € bzw. für längere Fahrten mit 0,20 € für jeden gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen sind1. Ermittelt man – wie vom Kläger geltend gemacht – die Fahrtkosten anhand der in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien vorgesehenen Fahrtkostenpauschale von 0,30 € bzw. 0,20 € für jeden gefahrenen Kilometer, sind damit regelmäßig sämtliche Pkw-Kosten einschließlich derjenigen für Abnutzung und Finanzierungsaufwand abgegolten2. Dieses wird hinsichtlich der Anschaffungskosten in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte zum Teil – vgl. z.B. die vorgenannten Leitlinien – auch ausdrücklich klargestellt. Die Anwendung der unterhaltsrechtlichen Leitlinien zur Bemessung der abzugsfähigen Fahrtkosten als berufsbedingte Aufwendungen würde daher vorliegend dazu führen, dass die weiteren, vom Kläger ebenfalls geltend gemachten monatlichen Aufwendungen für die Kfz-Versicherung (47,79 €), die Kfz-Steuer (5,83 €) und die Leasingrate (240,99 €) neben Fahrtkosten in Höhe von 286,- € monatlich nicht zusätzlich berücksichtigt werden können. Insgesamt verbliebe es dann bei Pkw-bedingten Aufwendungen in Höhe von 286,- € monatlich.

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Allerdings sind nach Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen berufsbedingten Fahrtaufwendungen hier nicht nach unterhaltsrechtlichen Leitlinien, sondern anhand der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch3 zu ermitteln. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass in den Fällen, in denen auf den sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff des § 76 BSHG bzw. – für die Zeiträume ab dem 1. Januar 2005 – des § 82 SGB XII zurückzugreifen ist, bei der Ermittlung des Einkommens bzw. der Bemessung der Absetzungsbeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII die Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen ist4. Auch wenn § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) ZPO allein auf § 82 Abs. 2 SGB XII und nicht auch auf die auf der Grundlage von § 96 Abs. 1 SGB XII erlassene Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII verweist, besteht kein Grund, die in dieser Verordnung enthaltenen inhaltlichen Konkretisierungen zur Bemessung der Abzugsbeträge nach § 82 Abs. 2 SGB XII nicht heranzuziehen, zumal diese einen sachgerechten Ansatzpunkt für die Ermittlung der Abzugsbeträge im Rahmen der Bestimmung des für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Einkommens bilden. Dies bestätigen die Gesetzesmaterialien zum Prozesskostenhilfeänderungsgesetz vom 10. Oktober 19945, in denen ausgeführt ist, dass eine auf Grundlage des § 76 Abs. 3 BSHG (nunmehr § 96 Abs. 1 SGB XII) erlassene Rechtsverordnung einen Anhaltspunkt für die Bemessung des Abzugsbetrags ergibt6. Da sich die Bestimmungen der Prozesskostenhilfe – wie die Verweisungen in § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO zeigen – auch im Übrigen weitgehend an den Regelungen des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches orientieren, ist es sachgerecht, zur Bestimmung des nach § 115 ZPO einzusetzenden Einkommens – ebenso wie bei der Ermittlung des sozialhilferechtlichen Einkommens – auf die die Abzugsbeträge nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII konkretisierende o. g. Rechtsverordnung zurückzugreifen7. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass sich die Berechnung der abzugsfähigen Fahrtkosten bei der Einkommensermittlung im Rahmen der Prozesskostenhilfe damit unterscheidet von der Ermittlung der abzugsfähigen Fahrtkosten bei der Einkommensermittlung im Rahmen der Heranziehung zu den Kosten einer Jugendhilfemaßnahme nach den §§ 91 ff. SGB VIII, bei denen das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht steuerrechtliche Maßstäbe8.

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Danach ergeben sich abzugsfähige berufsbedingte Fahrtkosten in folgender Höhe: Nach § 3 Abs. 6 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII wird, wenn für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein eigenes Kraftfahrzeug benutzt wird, ein Betrag in Höhe der Kosten der tariflich günstigsten Zeitkarte abgesetzt, wenn bei Nichtvorhandensein eines Kraftfahrzeuges die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels notwendig wäre. Der Kläger nutzt sein Fahrzeug für Fahrten von seiner Wohnung in B. nach C.. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für vorgenannte Fahrtstrecke im sog. Großbereich Hamburg des Hamburger Verkehrsverbundes kostet ausweislich der im Internet veröffentlichten Tarife ca. 90,- € monatlich. Nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 a) der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII sind bei Benutzung eines Kraftwagens 5,20 € für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, jedoch für nicht mehr als 40 Kilometer, abzusetzen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht vorhanden oder dessen Benutzung im Einzelfall nicht zumutbar und deshalb die Benutzung eines Kraftfahrzeuges notwendig ist. Dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers für Fahrten im sog. Großbereich Hamburg vorliegen, ist nicht ersichtlich. Die berufsbedingten Fahrtkosten wären daher grundsätzlich mit ca. 90,- € monatlich zu bemessen. Geht man aber – trotz der fehlenden erforderlichen Darlegung durch den Kläger diesbezüglich – zu seinen Gunsten davon aus, dass er auf die Benutzung seines Kraftfahrzeuges für die Fahrten zur Arbeitsstätte angewiesen ist, ergibt sich ein absetzungsfähiger Betrag von 135,20 € (5,20 € x 26 km). Diese Pauschale deckt jedenfalls die Betriebskosten einschließlich Steuern ab9, so dass eine gesonderte Berücksichtigung der Kfz-Steuer ausscheidet. Bei der für den Kläger günstigsten Betrachtungsweise wären daher berufsbedingte Fahrtkosten maximal in Höhe von 135,20 € absetzbar.

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Ob mit der vorgenannten Pauschale nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 a) der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII – ebenso wie im Fall der Berücksichtigung einer Fahrtkostenpauschale nach unterhaltsrechtlichen Leitlinien – ebenfalls alle weiteren Pkw-bedingten Aufwendungen mit abgegolten sind10, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn selbst wenn man annimmt, dass die Pauschale nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 a) der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII nur die reinen Betriebskosten einschließlich Steuer abdeckt und Beiträge zur Haftpflichtversicherung und Kaskoversicherung im Rahmen der Angemessenheit gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII gesondert absetzbar sind11, folgen daraus hier keine weiteren Abzugsmöglichkeiten von dem Einkommen des Klägers, die sich auf die Berechnung des von ihm einzusetzenden Einkommens und damit zugleich auf die von ihm zu erbringende Rate im Hinblick auf § 115 Abs. 4 ZPO im Ergebnis günstig auswirken. Denn es ist zu berücksichtigen, dass Beiträge für eine Kfz-Versicherung dem Grunde nach im Sinne von § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nur dann angemessen sind, wenn ein Fahrzeug zu einem (sozialhilferechtlich) anerkennenswerten Zweck gehalten wird12. Dieses ist hier – wie bereits dargelegt – nicht ersichtlich, da aus den vom Kläger gemachten Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht hervorgeht, dass er aus beruflichen oder sonstigen Gründen (z.B. gesundheitsbedingt) auf das Vorhalten eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist. Darüber hinaus sind die Versicherungsbeiträge für sein Fahrzeug auch der Höhe nach nicht angemessen. Der Kläger hat ein Kraftfahrzeug der Marke BMW 116 i Limousine versichert. Das Halten eines solchen Fahrzeugs entspricht nach den finanziellen Verhältnissen des Klägers jedoch nicht einer wirtschaftlichen Lebensführung. Sofern der Kläger – aus von ihm nicht dargelegten und auch sonst nicht ersichtlichen Gründen – auf die Nutzung eines PKW angewiesen sein sollte, wären daher allenfalls Versicherungsbeträge für ein seinen finanziellen Verhältnissen entsprechendes Fahrzeug absetzbar, die sich nach Einschätzung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auf höchstens 30,- € monatlich belaufen dürften.

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Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Februar 2011 – 4 PA 205/10

  1. vgl. zum Beispiel Nr. 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg; ferner Nr. 10.2.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2006 – XII ZR 157/03, NJW 2006, 2182; ferner OLG Celle, Beschluss vom 09.07.2009 – 12 WF 132/09, FamRZ 2010, 54[]
  3. in der Fassung des Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003, BGBl. I 3022[]
  4. vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 10.02.2010 – 4 LA 261/09, NVwZ-RR 2010, 613[]
  5. BGBl. I S. 2954[]
  6. vgl. BT-Drs. 12/6963, S. 12[]
  7. so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.01.2009 – 2 UF 102/08, NJW-RR 2009, 1233; ferner LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2009 – 4 Ta 7/09, jeweils m.w.N.[]
  8. Pauschale von 0,30 € für den Entfernungskilometer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) zugrunde legt ((vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 20.01.2009 – 4 ME 3/09; zuletzt Beschluss vom 27.04.2010 – 4 PA 84/10[]
  9. vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.01.2009, a.a.O.; ebenso LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2009, a.a.O.[]
  10. so OVG Brandenburg, Urteil vom 27.11.2003 – 4 A 220/03, ZFSH/SGB 2004, 238; ferner OVG NRW, Urteil vom 20.06.2000 – 22 A 207/99, FEVS 52, 167[]
  11. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.01.2009, a.a.O.; ebenso LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2009, a.a.O.; vgl. ferner die zu § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG ergangene ältere Entscheidung des Nds.OVG vom 29.11.1989 – 4 A 205/88, FEVS 42, 104[]
  12. vgl. dazu die vorgenannte Entscheidung des Nds. OVG vom 29.11.1989 – 4 A 205/88[]
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