Rechte Spinner – oder: Auch ein Bundespräsident darf seine Meinung sagen

„Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert. … Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen.“

Rechte Spinner – oder: Auch ein Bundespräsident darf seine Meinung sagen

Das Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag der NPD gegen den Bundespräsidenten wegen dieser während der Zeit des Bundestagswahlkampfes 2013 getätigten Äußerungen zurückgewiesen: Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Hierbei hat er die Verfassung und die Gesetze zu achten, darunter auch das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit. Einzelne Äußerungen des Bundespräsidenten können jedoch gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift. Dies war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vorliegend nicht der Fall.

 

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Im August 2013 nahm Bundespräsident Joachim Gauck an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto „22.09.2013 – Deine Stimme zählt!“ stehenden Veranstaltung wies der Bundespräsident unter anderem auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging der Bundespräsident auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern der NPD gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung hieß es, der Bundespräsident unterstütze die Proteste gegen die NPD. Insbesondere wurden die Aussagen des Bundespräsidenten zitiert, „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert“ und „Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen“.

Auf Nachfrage der NPD, ob die Presseberichte zutreffend seien, wonach der Bundespräsident gewalttätige Proteste gegen sie gutheiße und deren Mitglieder und Aktivisten als „Spinner“ bezeichnet habe, teilte der Bundespräsident mit, dass sich diese Frage bei verständiger Würdigung der vorgelegten Medienberichte von selbst beantworte. Es werde aber klargestellt, dass der Bundespräsident – was der Medienberichterstattung auch zu entnehmen sei – nicht zu gewalttätigen Protesten aufgerufen habe. Vielmehr habe er auf den politischen Meinungskampf verwiesen, gerade wenn es um die Auseinandersetzung mit politischen Ansichten gehe, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellten.

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Zulässigkeit des Organstreitverfahrens[↑]

Der Antrag gegen den Bundespräsidenten ist als Organstreitverfahren zulässig:

Der NPD steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme des Bundespräsidenten als anderes Verfassungsorgan1 in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG verletzt zu sein2. Die NPD wendet sich gegen eine rechtserhebliche Maßnahme3, indem sie behauptet, der Bundespräsident habe die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zulasten der NPD unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Nach ihrem Vortrag erscheint es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Bundespräsident durch die angegriffenen Äußerungen das Recht der NPD auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat4. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung von der, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.03.19815 zugrunde lag und die durch das Fehlen entsprechenden Vorbringens gekennzeichnet war6.

 

Die Rechtmäßigkeit der Äußerungen des Bundespräsidenten[↑]

Der Antrag ist unbegründet. Die angegriffenen Äußerungen des Bundespräsidenten sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzen daher die NPD nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien.

Der Bundespräsident hat neben der Wahrnehmung der ihm durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft seines Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie der Bundespräsident diese Aufgabe wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze. Der Bundespräsident hat demgemäß das Recht der Parteien auf freie und gleiche Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art. 21 GG zu achten, jedoch können Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift.

 

Der Gestaltungsspielraum eines Bundespräsidenten[↑]

Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern7. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann – wie der Bundespräsident überzeugend dargelegt hat – den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung.

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Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland entspricht es, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt8. Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist der Bundespräsident nicht etwa, wie die NPD meint, von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zugrunde zu legen und darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben.

 

Grenzen des Gestaltungsspielraums: Bindung an Verfassung und Gesetze – keine willkürliche Parteilichkeit[↑]

Der Bundespräsident übt Staatsgewalt im Sinne von Art.20 Abs. 2 GG aus und ist gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art.20 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden, was in der Eidesformel (Art. 56 GG), mittelbar in den Immunitätsregeln (Art. 60 Abs. 4 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GG wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht „über dem Gesetz“.

Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Dieses Recht kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken9. Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen10. Wann dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab.

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So hat das Bundesverfassungsgericht für die Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von einem (unzulässigen) parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass die Öffentlichkeitsarbeit durch Einsatz öffentlicher Mittel den die Regierung tragenden Parteien zu Hilfe kommt und die Oppositionsparteien bekämpft11. Geht es bei dieser Fallgestaltung in erster Linie darum, den Prozess der freien und offenen Meinungs- und Willensbildung des Volkes gegenüber vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht gedeckten Einflussnahmen der Bundesregierung zugunsten der sie tragenden Parteien abzuschirmen, sind die verfassungsrechtlichen Grenzen negativer Werturteile in den Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern von einem anderen Ausgangspunkt her zu bestimmen. Derartige Werturteile sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung grundsätzlich zulässig; die betroffene Partei kann sich im Kampf um die öffentliche Meinung dagegen zur Wehr setzen12. Sie werden erst dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen10. Diesen Ansatz hat das Bundesverfassungsgericht auch für die Beteiligung staatlicher Stellen an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Einleitung eines gegen die NPD gerichteten Verbotsverfahrens aufgegriffen und ausgesprochen, dass das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung es staatlichen Stellen verwehrt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht13.

Diese Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres für die verfassungsrechtliche Beurteilung negativer Äußerungen des Bundespräsidenten über bestimmte Parteien heranziehen. Weder steht der Bundespräsident mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses, noch stehen ihm Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken. Es gehört auch nicht zu seinen Befugnissen, die Öffentlichkeit regelmäßig über radikale Bestrebungen zu informieren oder über einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei (Art. 21 Abs. 2 GG) zu befinden. Äußerungen des Bundespräsidenten haben andererseits kraft seiner Stellung besonderes Gewicht, und eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Bundespräsidenten folgt anderen Gegebenheiten als die mit direkten politischen Konkurrenten oder einer von ihnen getragenen Bundesregierung. Folglich sind die Grenzen der Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten gesondert zu bestimmen.

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In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen – insbesondere solche, die den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden – aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren Beseitigung zu werben. Er kann in diesem Sinn integrierend nur wirken, wenn es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher zu benennen. Gehen Risiken und Gefahren nach Einschätzung des Bundespräsidenten von einer bestimmten politischen Partei aus, ist er nicht gehindert, die von ihm erkannten Zusammenhänge zum Gegenstand seiner öffentlichen Äußerungen zu machen. Dem steht die verfassungsrechtliche Erwartung nicht entgegen, dass der Bundespräsident – insbesondere zu Wahlkampfzeiten – eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt, weil mit ihr nicht die Vorstellung eines politisch indifferenten Amtswalters verbunden ist. Äußerungen des Bundespräsidenten sind dabei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind.

Entsprechend diesen Grundsätzen kann der Bundespräsident auch weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert und in welcher Weise er auf die jeweilige Kommunikationssituation eingeht. Er ist insbesondere nicht gehindert, sein Anliegen auch in zugespitzter Wortwahl vorzubringen, wenn er dies für angezeigt hält. Mit der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr im Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall sein wird, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“14 qualifiziert werden.

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Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, hat zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt. Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung. Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.

 

Die Äußerungen des Bundespräsidenten[↑]

Nach diesem Maßstab sind die von der NPD angegriffenen Äußerungen des Bundespräsidenten nicht zu beanstanden. Der Bundespräsident hat sich mit seinen, wie sich jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, auch auf die NPD bezogenen Äußerungen gegen geschichtsvergessene rechtsradikale und fremdenfeindliche Überzeugungen gewandt und dazu aufgerufen, mit demokratischen Mitteln zu verhindern, dass sich diese Überzeugungen durchsetzen. Damit hat der Bundespräsident sich im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten und nicht willkürlich gegen die NPD Partei ergriffen.

Soweit die NPD sich in ihren Rechten dadurch verletzt sieht, dass der Bundespräsident Proteste gegen die NPD in Berlin-Hellersdorf öffentlich unterstützt habe, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die NPD unterstützt oder auch nur gutgeheißen hätte, lässt sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung – entgegen der Auffassung der NPD – nicht entnehmen. Der Bundespräsident hat eingangs seiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits das Abreißen von Plakaten nicht zu billigen. Es konnte daher kein Zweifel bestehen, dass er erst recht gewalttätige Auseinandersetzungen mit der NPD ablehnte. Im Weiteren hat er lediglich in der Sache auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5, 8 GG) hingewiesen und zum politischen Meinungskampf aufgefordert. Hierzu war er befugt.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes „Spinner“ im konkreten Zusammenhang. Der Bundespräsident hat damit über die NPD und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Bundespräsidenten ergibt, die Bezeichnung als „Spinner“ – neben derjenigen als „Ideologen“ und „Fanatiker“ – als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale – nationalistische und antidemokratische – Überzeugungen vertreten15. Die mit der Bezeichnung als „Spinner“ vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen „ihre Grenzen aufweisen“. Indem der Bundespräsident, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der NPD vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten16 geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.

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Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10 Juni 2014 – 2 BvE 4/13

  1. vgl. BVerfGE 62, 1, 33[]
  2. vgl. BVerfGE 121, 30, 57 m.w.N.; 44, 125, 137 m.w.N.[]
  3. vgl. BVerfGE 118, 277, 317 m.w.N.[]
  4. vgl. BVerfGE 40, 287, 293; 44, 125, 146; 63, 230, 243[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 25.03.1981 – 2 BvE 1/79, BVerfGE 57, 1[]
  6. vgl. BVerfGE 57, 1, 7 ff.[]
  7. vgl. BVerfG, Urteil vom 10.06.2014 – 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10, Rn. 91 ff.[]
  8. vgl. BVerfG, Urteil vom 10.06.2014 – 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10, Rn. 95 m.w.N.[]
  9. vgl. BVerfGE 44, 125, 146[]
  10. vgl. BVerfGE 40, 287, 293[][]
  11. vgl. BVerfGE 44, 125, 148 ff.[]
  12. vgl. BVerfGE 40, 287, 291 ff.[]
  13. BVerfG, Beschluss vom 20.02.2013 – 2 BvE 11/12, NVwZ 2013, S. 568, 569, Rn. 22; zu Abwägungen bei negativen Werturteilen in Verfassungsschutzberichten über Presseerzeugnisse vgl. BVerfGE 113, 63, 75 ff.[]
  14. vgl. BVerfGE 93, 266, 294 m.w.N.[]
  15. zur grundgesetzlichen Ordnung als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vgl. BVerfGE 124, 300, 327 ff.[]
  16. vgl. insoweit BVerfGE 124, 300, 330 f.[]