Das Bundesverfassungsgericht hat in dem bei ihm anhängigen Normenkontrollverfahren zur sächsischen Schulnetzplanung einen von einer sächsischen, kreisangehörige Gemeinde gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die antragstellende Gemeinde möchte ihre von der Schließung bedrohte Oberschule im Schuljahr 2014/15 fortführen. Die Anmeldefrist für das neue Schuljahr endet am 14. März 2014.
Der Antrag war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bereits unzulässig. Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz kommt, so das Bundesverfassungsgericht, nur dann in Betracht, wenn – was hier nicht der Fall ist – der Rechtsweg zu den Fachgerichten erschöpft ist.
Die sächsische Schulplanung
Über die Schließung einer Schule entscheidet nach § 23a Abs. 5 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.07.2004, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19.05.20101 der Schulträger auf der Grundlage eines Schulnetzplans. Die Schulnetzpläne werden nach § 23a Abs. 1 Satz 1 SchulG von den Landkreisen aufgestellt. Soweit kreisangehörige Gemeinden Schulträger sind, ist bei der Aufstellung der Schulnetzpläne gemäß § 23a Abs. 3 Satz 1 SchulG mit ihnen Benehmen herzustellen. Wird das öffentliche Bedürfnis für den Fortbestand einer Schule oder der Einrichtung einer Klassenstufe verneint, kann der Freistaat Sachsen auf der Grundlage eines Schulnetzplans gemäß § 24 Abs. 3 Satz 2 SchulG auch über den Widerruf der Mitwirkung an einer Schule oder an Teilen derselben entscheiden. In diesem Fall stellt er keine Lehrer mehr zur Verfügung. Maßgeblich für das öffentliche Bedürfnis am Erhalt einer Schule ist insbesondere die Schülerzahl. Für die Oberschule (in der Terminologie des Schulgesetzes: Mittelschule) beträgt die gesetzliche Mindestschülerzahl pro Klassenstufe für die ersten zwei einzurichtenden Klassen jeweils 20; diese Schulform ist mindestens zweizügig zu führen (vgl. § 4a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 SchulG).
Der Ausgangssachverhalt
Die Antragstellerin ist eine kreisangehörige Gemeinde im Freistaat Sachsen und Trägerin einer Grund- und einer Oberschule (Haupt- und Realschulbildungsgang) sowie eines Gymnasiums. In den letzten Jahren wurde die Oberschule bereits schrittweise aufgelöst, so dass im laufenden Schuljahr regulär nur noch eine 10. Klasse mit 16 Schülern und eine 9. Klasse mit 20 Schülern unterrichtet werden. Zudem werden zwölf Schüler in einer „selbstorganisierten“ 6. Klasse durch private beziehungsweise pensionierte Lehrkräfte beschult. Derzeit sind elf Kinder für eine 5. Klasse im Schuljahr 2014/15 angemeldet.
Der für die Antragstellerin maßgebliche Schulnetzplan sieht seit 2006 die Schließung der Oberschule vor. Den insoweit unverändert fortgeschriebenen Schulnetzplan hat das Sächsische Ministerium für Kultus mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 genehmigt. Den Genehmigungsbescheid hat die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht Dresden angefochten.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.02.2013 die Frage vorgelegt, ob § 23a Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SchulG mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar sind. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist § 23a Abs. 1 SchulG mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar, weil die kreisangehörigen Gemeinden für die Grundschulen keine Schulnetzpläne aufstellen könnten. § 23 Abs. 3 Satz 1 SchulG sei darüber hinaus verfassungswidrig, weil den kreisangehörigen Gemeinden mit dem Benehmenserfordernis bei der Aufstellung der Schulnetzpläne für Grund- und Mittelschulen keine ausreichenden Mitwirkungsbefugnisse eingeräumt seien.
Die Antragstellerin beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, § 23a Abs. 1 und Abs. 3 SchulG bis zur Entscheidung der Hauptsache2 für unanwendbar zu erklären, soweit die kreisangehörigen Gemeinden keine Schulnetzpläne aufstellen können beziehungsweise mit ihnen bei der Schulnetzplanung kein Einvernehmen herzustellen ist. Hilfsweise beantragt sie die Erlaubnis, die Oberschule vorläufig weiterzuführen, äußerst hilfsweise, Schüler der 5. Klasse im neuen Schuljahr aufzunehmen und die 5. Klasse einzügig zu betreiben, ohne dass das Land seine Mitwirkung insoweit widerrufen dürfe.
Unzulässigkeit wegen fehlender Rechtswegerschöpfung
Der in dem Hauptsacheverfahren2 gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist mangels Antragsbefugnis unzulässig. Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle können nur die gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG beitrittsberechtigten Verfassungsorgane Anträge stellen. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens sind an dem Normenkontrollverfahren nicht beteiligt, sondern nach § 82 Abs. 3 BVerfGG lediglich äußerungsbefugt3.
Keine Umdeutung in einen zulässigen Antrag
Eine Umdeutung in einen zulässigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet aus. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur zulässig, wenn in der Hauptsache der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht gegeben wäre4. Das ist nicht der Fall. Die insoweit allein in Betracht kommende Kommunalverfassungsbeschwerde ist nicht statthaft.
Nach § 91 Satz 1 BVerfGG können Gemeinden Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, dass ein Gesetz des Bundes oder des Landes Art. 28 GG verletzt. Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist jedoch ausgeschlossen, soweit eine Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung beim Landesverfassungsgericht geltend gemacht werden kann, § 91 Satz 2 BVerfGG. Diese Möglichkeit sieht das sächsische Recht hinsichtlich formeller Landesgesetze vor (vgl. Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 Sächsische Verfassung i.V.m. § 7 Nr. 8, § 36 SächsVerfGHG). Eine Kommunalverfassungsbeschwerde gegen § 23a Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 SchulG zum Bundesverfassungsgericht wäre daher nicht statthaft.
Keine einstweilige Anordnung von Amts wegen
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung von Amts wegen ist nicht angezeigt, weil der Antragstellerin andere Abhilfemöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben oder stehen.
Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gilt auch für den vorgelagerten verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz5. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergibt sich nicht, dass sie den Rechtsweg in der gebotenen Weise erschöpft hat. Zum einen trägt sie vor, das Verwaltungsgericht Dresden6 habe vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich des Widerrufs der Mitwirkung des Freistaats Sachsen an der fünften Jahrgangsstufe abgelehnt, ohne darauf einzugehen, dass damit allenfalls über einen Teil des mit der einstweiligen Anordnung verfolgten Rechtsschutzziels verwaltungsgerichtlich entschieden worden ist, und ohne sich dazu zu verhalten, ob und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis sie Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht erhoben oder aus welchen Gründen sie davon abgesehen hat. Zum anderen legt der Vortrag der Antragstellerin nahe, dass sie sich mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts zufrieden gegeben hat, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der Verfassungswidrigkeit der gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegten Norm sei auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von deren Gültigkeit auszugehen. Diese Auffassung trifft indes nicht zu. Die Antragstellerin hätte daher versuchen müssen, entweder im Wege der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht oder, soweit dies verwaltungsprozessrechtlich möglich ist, durch erneute Antragstellung zum Verwaltungsgericht eine ihr günstige Entscheidung herbeizuführen.
100 Abs. 1 GG steht der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte nicht entgegen. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts hat zwar zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes – jedenfalls im Hauptsacheverfahren – erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf7. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Entscheidung in der Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird8.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. März 2014 – 2 BvL 2/13
- SächsGVBl S. 142 – SchulG[↩]
- BVerfG – 2 BvL 2/13[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 11, 339, 342; 41, 243, 245[↩]
- vgl. BVerfGE 3, 267, 277; 42, 103, 110, 119[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.12 2009 – 2 BvQ 84/09; stRspr[↩]
- VG Dresden, Beschluss vom 21.08.2013 – 5 L 312/13[↩]
- vgl. BVerfGE 79, 256, 266; 86, 382, 389[↩]
- vgl. BVerfGE 86, 382, 389[↩]