Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch und der Folgenbeseitigungsanspruch des allgemeinen Verwaltungsrechts sind keine Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB.

Eine Schadensersatzpflicht aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB ist mithin nicht gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil der Geschädigte es versäumt hat, seinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend zu machen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff des Rechtsmittels zwar nicht auf die in den Verfahrensvorschriften vorgesehenen Behelfe beschränkt, sondern umfasst auch andere, rechtlich mögliche und geeignete – förmliche oder formlose – Rechtsbehelfe (z.B. Gegenvorstellungen, Erinnerungen an die Erledigung eines Antrags, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden), ist also in einem weiten Sinn zu verstehen1. Der Rechtsbehelf muss sich jedoch unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und ihre Beseitigung beziehungsweise Vornahme bezwecken und ermöglichen2. Diese Voraussetzung erfüllt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht.
Allerdings hat der Bundesgerichtshof, worauf das Berufungsgericht seine gegenteilige Rechtsauffassung gestützt hat, wiederholt entschieden, dass die Geltendmachung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Unterbrechung beziehungsweise Hemmung der Verjährung eines Amtshaftungsanspruchs wegen desselben Fehlverhaltens des Sozialleistungsträgers führt3. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Kontext insbesondere den engen Zusammenhang des Herstellungsanspruchs mit dem Primärrechtsschutz hervorgehoben4. Er hat jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit in den seinerzeit zu beurteilenden Sachverhalten bislang davon abgesehen zu entscheiden, ob der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB darstellt, diese Frage vielmehr ausdrücklich offen gelassen5.
Die Frage ist nunmehr zu verneinen6.
Tragende Erwägung des Bundesgerichtshofs, der Geltendmachung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verjährungsunterbrechende beziehungsweise hemmende Wirkung für einen Amtshaftungsanspruch, der auf dieselbe Pflichtverletzung gestützt wird, zuzuerkennen, war der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit7. Der Geschädigte soll nicht wegen Fortschreitens der Zeit gezwungen werden, eine Amtshaftungsklage zu erheben, um den Eintritt der Verjährung seines Anspruchs aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG zu verhindern, obgleich er noch parallel seinen Herstellungsanspruch verfolgt, der hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden Amtshandlung dieselben Fragen aufwirft.
Der Gesichtspunkt des Schutzes der Beteiligten vor der Notwendigkeit, wegen einer (möglicherweise) rechtswidrigen Amtshandlung mehrere Verfahren parallel zu führen, ist jedoch für § 839 Abs. 3 BGB nicht ausschlaggebend, auch wenn dies ein nützlicher Nebeneffekt sein mag. Das gesetzgeberische Anliegen, das der Regelung des § 839 Abs. 3 BGB zugrunde liegt, besteht vielmehr darin, nach Treu und Glauben nur demjenigen Schadensersatz zuzubilligen, der sich in gehörigem und ihm zumutbarem Maße für seine eigenen Belange einsetzt und damit den Schaden abzuwenden sich bemüht. Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich, gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen; § 839 Abs. 3 BGB stellt damit eine besondere Ausprägung von § 254 BGB dar8. Daneben ist die Deutung getreten, dass § 839 Abs. 3 BGB die schadensersatzrechtliche Sanktion des ihm vorausliegenden Gebots darstellt, den Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, die Vorschrift somit die sekundäre Schadensersatzpflicht in den Nachrang verweist9. Wer durch hoheitliches Unrecht Schaden erleidet, muss sich unmittelbar gegen den schädigenden Hoheitsakt wenden, soweit dies möglich und zumutbar ist. Ein Wahlrecht steht dem Geschädigten nicht zu10.
Ausgehend von diesen Zweckbestimmungen hat der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung den Begriff des Rechtsmittels im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB wie oben unter Buchstaben a wiedergegeben ausgelegt. Mit dieser Definition ist es nicht vereinbar, den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch – ebenso wie den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch – als Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB zu qualifizieren.
Der vom Bundessozialgericht richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch knüpft an die Verletzung behördlicher Auskunfts, Beratungs- und Betreuungspflichten als Nebenpflichten im Sozialrechtsverhältnis an. Er begründet einen Anspruch auf (eine Art von) Naturalrestitution. Er ist auf die Vornahme einer zulässigen Amts- beziehungsweise Rechtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte11. Damit entspricht er weitgehend dem im allgemeinen Verwaltungsrecht anerkannten Folgenbeseitigungsanspruch, der ebenfalls auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Handelns oder Unterlassens der vollziehenden Gewalt gerichtet ist und einen Ausgleich in natura gewährt12. Zwar unterscheiden sich die beiden Institute darin, dass im Sozialrecht der Anspruch darauf gerichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn sich der Sozialleistungsträger von vornherein rechtmäßig verhalten hätte, während auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts unrechtmäßige hoheitliche Maßnahmen nur im Rahmen zulässigen Verwaltungshandeln ausgeglichen werden können13. Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs ist daher nicht die Einräumung derjenigen Rechtsposition, die der Betroffene bei rechtsfehlerfreiem Verwaltungshandeln haben würde. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung ist dementsprechend regelmäßig nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, durch hoheitliches Handeln veränderten Zustands gerichtet14.
Entscheidend im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch die Gemeinsamkeit beider Ansprüche, dass sie nicht auf die Abwehr oder Veränderung der zugrunde liegenden Verwaltungsmaßnahme gerichtet sind, sondern die Beseitigung von deren Folgen zum Ziel haben. Sie tragen damit einen auf die Konsequenzen des in Rede stehenden Verwaltungshandelns oder unterlassens gerichteten kompensatorischen, nicht aber auf die Maßnahme selbst gerichteten defensiven Charakter. Demgegenüber müssen sich, wie unter Buchstaben a ausgeführt, Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB unmittelbar gegen die als Amtspflichtverletzung darstellende Handlung richten und das Ziel haben, diese zu beseitigen oder zu berichtigen.
Der Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG ist ebenso wie der sozialrechtliche Herstellungs- und der verwaltungsrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch auf den Ausgleich der Folgen von (pflichtwidrigen) Amtshandlungen und unterlassungen gerichtet. Auch wenn § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB im Gegensatz zu den letztgenannten Instituten ein Verschulden des rechtswidrig handelnden Amtswalters erfordert15 und anders als diese nicht auf Naturalrestitution, sondern auf Geldersatz gerichtet ist16, steht er damit rechtssystematisch auf derselben Stufe wie diese Ansprüche. Auch dies spricht dagegen, ihnen im Wege des § 839 Abs. 3 BGB Vorrang gegenüber dem Amtshaftungsanspruch einzuräumen.
Diese Erwägungen korrespondieren damit, dass im – allerdings wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärten17 – Staatshaftungsgesetz (StHG)18 der Folgenbeseitigungs- und der der Amtshaftung entsprechende Anspruch gleichrangig nebeneinander standen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StHG hatte der Geschädigte grundsätzlich die Wahl, ob er statt der in § 3 StHG geregelten Folgenbeseitigung Geldersatz gemäß § 2 StHG verlangt. Auch der durch das Bundessozialgericht entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch trat „als weiterer Baustein“ zu dem System öffentlichrechtlichen Nachteilsausgleichs, das neben dem Amtshaftungsanspruch unter anderem Regelungen über die Enteignungsentschädigung, einen Ausgleich für enteignungsgleiche Eingriffe und den Aufopferungsanspruch enthält19. Schon die Formulierung, der sozialrechtliche Herstellungsanspruch trete zu dem „neben“ dem Amtshaftungsanspruch bestehenden Ausgleichssystem, deutet darauf hin, dass nach der Konzeption des Bundessozialgerichts Gleichrang zwischen den beiden Instituten bestehen sollte. Noch deutlicher wird dies durch die Einreihung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu den aufgeführten übrigen Instituten. Insbesondere zwischen den Ansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff und dem Amtshaftungsanspruch besteht Anspruchskonkurrenz20. Die Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht gegenüber dem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB subsidiär21, und eine Anwendung von § 839 Abs. 3 BGB auf diesen Anspruch wurde erst gar nicht erwogen. Wird der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im öffentlichrechtlichen Ausgleichssystem auf dieselbe Stufe wie der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs gestellt, ist dies ein weiterer Hinweis darauf, dass eine Forderung aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG gegenüber dem sozialrechtlichen Anspruch ebenfalls keinen Nachrang hat, worauf es aber hinauslaufen würde, wenn jener als Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB einzuordnen wäre.
Schließlich spricht auch der Charakter von § 839 Abs. 3 BGB als besondere Ausprägung von § 254 BGB22 gegen die Qualifizierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs und des verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs als Rechtsmittel im Sinne des Amtshaftungsrechts. Bei der im Rahmen der Auslegung der Vorschrift gebotenen typisierenden Betrachtungsweise sind Maßnahmen des Betroffenen, die sich unmittelbar gegen das in Rede stehende Amtshandeln oder unterlassen richten, grundsätzlich geeignet, den Eintritt eines aus ihm folgenden Schadens zu verhindern oder zu mindern. Dies trifft auf den sozialrechtlichen Herstellungs- und den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu. Sie gewähren ebenso wie der Amtshaftungsanspruch lediglich einen Ausgleich der infolge der in Rede stehenden Amtsmaßnahme bereits eingetretenen Nachteile und sind schon vom Ansatz her nicht auf deren Vermeidung ausgerichtet. Auch sind sie – jedenfalls bei der wiederum erforderlichen generalisierenden Betrachtung – nicht dazu bestimmt, die Belastung der ausgleichspflichtigen Körperschaft zu mindern. Zwar sind sie auf Naturalrestitution gerichtet, während nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG ausschließlich Geldersatz geschuldet wird23. Die Naturalrestitution ist jedoch für den Ersatzpflichtigen nicht typischerweise wirtschaftlich weniger belastend als der Geldersatz.
Die Unanwendbarkeit von § 839 Abs. 3 BGB auf den sozialrechtlichen Herstellungs- und den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch schließt allerdings im Einzelfall nicht aus, dass der Geschädigte, der eine Amtshaftungsforderung erhebt, gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf diese Ansprüche verwiesen werden kann, wenn die Naturalrestitution für die betroffene Körperschaft wirtschaftlich günstiger und dem Anspruchsberechtigten, auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Ausgleichszahlung24, zuzumuten ist25. Der vorliegend zur Entscheidung stehende Sachverhalt enthält aber keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Fallgestaltung vorliegen könnte. Im Gegenteil ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die insoweit in Betracht gezogene Beitragsgutschrift auf dem Rentenkonto der Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch die Beklagte im Ergebnis weniger belastet als die begehrte Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Rentenanspruch und demjenigen, der bestünde, wenn die Beklagte den Beitragsregress durchgeführt hätte.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juli 2013 – III ZR 201/12
- z.B.: BGH, Urteile vom 04.06.2009 – III ZR 144/05, BGHZ 181, 199 Rn. 25; vom 08.01.2004 – III ZR 39/03, NJW-RR 2004, 706, 707; vom 09.10.1997 – III ZR 4 /97, BGHZ 137, 11, 23 und vom 03.06.1993 – III ZR 104/92, BGHZ 123, 1, 7 f[↩]
- BGH, aaO; sowie Urteil vom 16.10.2008 – III ZR 15/08, WM 2009, 86 Rn. 24[↩]
- BGH, Urteile vom 20.07.2000 – III ZR 64/99, VersR 2001, 1108, 1112; und vom 11.02.1988 – III ZR 221/86, BGHZ 103, 242, 246; siehe auch BGH, Urteile vom 12.05.2011 – III ZR 59/10, WM 2011, 1670 Rn. 56 f.; und vom 10.02.2011 – III ZR 37/10, BGHZ 188, 302 Rn. 36 f[↩]
- BGH, Urteile vom 12.05.2011, aaO, Rn. 57, 62; und vom 11.02.1988, aaO, S. 247; siehe auch BGH, Urteil vom 10.02.2011, aaO, Rn. 36[↩]
- BGH, Urteile vom 20.07.2000, aaO; vom 16.11.1989 – III ZR 146/88, NJW-RR 1990, 408, 409; und vom 09.03.1989 – III ZR 76/88, BGHR BGB § 839 Abs. 3 Primärrechtsschutz 2[↩]
- so auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 397 zum verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch[↩]
- siehe insbesondere BGH, Urteile vom 12.05.2011, aaO; und vom 10.02.2011, aaO, Rn. 37[↩]
- BGH, Urteil vom 29.03.1971 – III ZR 98/69, BGHZ 56, 57, 63[↩]
- MünchKomm-BGB/Papier, 5. Aufl., § 839 Rn. 330; Ossenbühl/Cornils, aaO, S. 94[↩]
- dies., aaO[↩]
- st. Rspr., z.B.: BSG, NZS 2013, 233 Rn. 28; BSGE 65, 21, 26; 49, 76, 78 f; siehe auch BGH, Urteil vom 11.02.1988 – III ZR 221/86, BGHZ 103, 242, 246[↩]
- z.B. BVerwGE 140, 34 Rn. 18; BVerwG Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 35; BVerwGE 69, 366, 371[↩]
- BVerwG Buchholz, aaO[↩]
- BVerwG, aaO[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11.02.1988 – III ZR 221/86, BGHZ 103, 242, 246 f; BVerwG Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 35; BSGE 49, 76, 77, 80[↩]
- BGH, aaO, S. 247; zum Hintergrund näher Schäfer/Bonk, StHG, Einführung Rn. 53[↩]
- BVerfGE 61, 149[↩]
- vom 26.06.1981, BGBl. I S. 553[↩]
- BSGE 49, 76, 78[↩]
- z.B. BGH, Beschluss vom 12.04.1954 – GSZ 1/54, BGHZ 13, 88 ff; BGH, Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 31[↩]
- BGH, aaO, S. 101 ff[↩]
- BGH, Urteil vom 29.03.1971 – III ZR 98/69, BGHZ 56, 57, 63, siehe auch oben Buchst. aa[↩]
- z.B. BGH, Urteil vom 11.02.1988 – III ZR 221/86, BGHZ 103, 242, 247[↩]
- siehe hierzu BVerwGE 82, 24, 27 f[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.02.1988, aaO, S. 248[↩]