Standortplanung für Mobilfunkanlagen

Eine Stand­ort­pla­nung für An­la­gen des Mo­bil­funks ist den Ge­mein­den nicht grund­sätz­lich ver­wehrt, wenn hier­für ein recht­fer­ti­gen­der städ­te­bau­li­cher An­lass be­steht. Ver­fah­rens­freie Vor­ha­ben wer­den von einer Ver­än­de­rungs­sper­re er­fasst, auch wenn mit ihrer Er­rich­tung beim In­kraft­tre­ten der Ver­än­de­rungs­sper­re be­reits be­gon­nen wor­den ist.

Standortplanung für Mobilfunkanlagen

Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt erlassen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine Veränderungssperre erst erlassen werden darf, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll1. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. Denn wenn Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen fehlen, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans noch offen. Die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären – auch vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG – nicht erträglich, wenn sie zur Sicherung einer Planung dienen sollte, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt2. Die Veränderungssperre schützt die künftige Planung, nicht aber lediglich die abstrakte Planungshoheit3.

Dieses Mindestmaß an konkreter planerischer Vorstellung gehört zur normativen Konzeption des § 14 BauGB. Nach seinem Absatz 2 Satz 1 kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Ob der praktisch wichtigste öffentliche Belang, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung, beeinträchtigt ist, kann aber nur beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht noch völlig offen sind. Daraus folgt, dass das Mindestmaß an Vorstellungen, die vorliegen müssen, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen, zugleich geeignet sein muss, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat4. Dasselbe gilt für das Gewicht, das dem mit der Veränderungssperre verfolgten Sicherungszweck beizumessen ist.

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Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass es grundsätzlich erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung besitzt, sei es, dass sie einen bestimmten Baugebietstyp, sei es, dass sie nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzungen ins Auge gefasst hat5.

Diese Voraussetzungen sah das Bundesverwaltungsgericht im hier entschiedenen Fall als erfüllt an: Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass lediglich das vorhandene und zum Teil bereits zum Wohnen genutzte ehemalige Bahnhofsgebäude in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans einbezogen werden soll, der ein allgemeines Wohngebiet vorsieht. Im Hinblick darauf geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, es spreche Überwiegendes dafür, dass die im bestehenden Baugebiet festgesetzte Nutzungsart auf das einbezogene Grundstück ausgedehnt werden solle. Diese Einschätzung ist, soweit sie nicht ohnehin auf tatrichterlicher Würdigung des Einzelfalls beruht, bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Ihr steht nicht entgegen, dass in der 3. Änderung des Bebauungsplans „Eichenhain“ vom 28.10.2010 für einen kleinen Teil des Gebäudes, das noch zu Bahnzwecken genutzt wird, ein Sondergebiet „Bahnhof“ vorgesehen ist. Denn damit wird lediglich in untergeordnetem Umfang einer tatsächlich ausgeübten und fortzusetzenden Nutzung (für den Schrankendienst) Rechnung getragen.

Ein weiteres Ziel der Planung war der Ausschluss von Mobilfunkanlagen unter der Voraussetzung, dass eine ausreichende Versorgung des betroffenen Teils des Gemeindegebiets mit Mobilfunkleistungen von anderen, nicht innerhalb oder am Rande eines Wohngebiets liegenden Standorten aus gewährleistet werden kann. Dies kam nach den Feststellungen in den erkennbaren Unterlagen und Umständen der Planung hinreichend klar zum Ausdruck6.

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Da das ohnehin vorhandene und genutzte Gebäude einer weiteren Nutzung zugänglich ist und bleiben soll, handelt es sich entgegen der Auffassung der Revision von vornherein nicht um eine „Negativplanung“, also um eine Planung, mit der nur etwas verhindert werden soll. Auch der Umstand, dass in diesem Gebiet bestimmte Arten von Nebenanlagen ausgeschlossen werden sollen, macht sie nicht zur „Negativplanung“ in diesem Sinn.

Zu Recht geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die der Veränderungssperre zugrunde liegende Planung städtebaulich gerechtfertigt ist.

Eine Standortplanung für Anlagen des Mobilfunks ist den Gemeinden nicht grundsätzlich verwehrt, wenn hierfür ein rechtfertigender städtebaulicher Anlass besteht. Da Mobilfunkanlagen städtebauliche Auswirkungen haben, dürfen die Gemeinden mit den Mitteln der Bauleitplanung Festsetzungen über ihre räumliche Zuordnung treffen. Den Gemeinden steht es frei, die Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht7. Sie dürfen Standortplanung auch dann betreiben, wenn bauliche Anlagen nach den maßgeblichen immissionsschutzrechtlichen Maßstäben – hier den Grenzwerten der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BlmSchV) – unbedenklich sind.

Allerdings dürfen die Träger der Bauleitplanung sich nicht an die Stelle des Bundesgesetz- oder -verordnungsgebers setzen; daher sind sie beispielsweise nicht befugt, für den gesamten Geltungsbereich eines Bauleitplans direkt oder mittelbar andere (insbesondere niedrigere) Grenzwerte festzusetzen. In diesem Sinn wäre eine eigene „Vorsorgepolitik“ unzulässig. Eine derartige Planung liegt der Veränderungssperre der Beigeladenen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs jedoch nicht zugrunde.

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Der Klägerin ist zuzustimmen, wenn sie die Auffassung vertritt, eine Einschränkung der Errichtung von Mobilfunkanlagen im Hinblick auf ihre elektromagnetischen Emissionen (also nicht die Gestaltung) würde gegen das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) verstoßen, wenn sie sich lediglich auf rechtlich irrelevante „Immissionsbefürchtungen“ stützen ließe. Denn diese hätten kein städtebauliches Gewicht.

Davon ist nach den Feststellungen im Berufungsurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs allerdings nicht auszugehen. Er verweist darauf, dass nach einem Bericht des Bundesamts für Strahlenschutz noch weiterer Forschungsbedarf bestehe, und stützt dies auf die Aussage in einem Abschlussbericht, die Frage, ob Kinder stärker exponiert oder empfindlicher gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern sein könnten als Erwachsene, habe im Rahmen des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms (DMF) nicht abschließend geklärt werden können. Allein dieser Befund rechtfertige es, im Zusammenhang mit Mobilfunk bestehende Besorgnisse weiterhin auch dem „vorsorgerelevanten Risikoniveau“ zuzuordnen und nicht ausschließlich den „Immissionsbefürchtungen“. Diese Feststellungen hat der Bundesverwaltungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Die gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs erhobene Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin meint, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Auslegungsgrundsätze verstoßen. Sie verweist auf die Rechtsprechung zu Feststellungen zur Zeitgeschichte8 und zur Befugnis des Bundesverwaltungsgerichts, Materialien des Landesgesetzgebers auszuwerten9. Derartige Fälle liegen hier indes nicht vor. Unstreitig – auch die Revision will dies nicht in Frage stellen – haben zahlreiche Forschungen stattgefunden, deren Ergebnisse in entsprechenden Publikationen dargestellt, erörtert und zusammengefasst worden sind. Die Beteiligten tragen hierzu ausführlich vor. Die Auswertung derartiger Forschungspublikationen ist Sache der Tatsachengerichte. Erst wenn ein Sachverhalt als derart gesichert angesehen werden kann, dass er vernünftigerweise von niemandem mehr in Zweifel gezogen werden kann, könnte darin eine revisionsgerichtlich verwertbare allgemeinkundige Tatsache liegen10. Davon kann hier keine Rede sein. Weder die verschiedenen Stellungnahmen, auf die die Beteiligten verweisen, noch die die Thematik betreffenden Bundestagsdrucksachen11 lassen darauf schließen, dass bereits ein Konsens dahin bestünde, bei den Auswirkungen von Mobilfunkanlagen handele sich lediglich um irrelevante Immissionsbefürchtungen.

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Bei einer Standortplanung für Mobilfunkanlagen werden die Gemeinden zur Vermeidung eines Abwägungsfehlers allerdings zu beachten haben, dass ein hohes öffentliches Interesse an einer flächendeckenden angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks besteht. Davon ist der Bundesverwaltungsgericht bereits in Entscheidungen ausgegangen, die die Maßstäbe für Befreiungen zugunsten der Betreiber von Mobilfunkanlagen betrafen12. In der Zwischenzeit hat die Nutzung von Dienstleistungen des Mobilfunks quantitativ und qualitativ erkennbar zugenommen; insbesondere hat sich die Zahl der Dienste erhöht, die mit den Endgeräten des Mobilfunks in Anspruch genommen werden können, so dass das Gewicht des öffentlichen Interesses eher noch gestiegen ist.

Dabei haben die Gemeinden bei der Planaufstellung auch die Wertentscheidung des Verordnungsgebers einzubeziehen, die der Ergänzung durch § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zugrunde liegt. Danach sind fernmeldetechnische Nebenanlagen denjenigen Nebenanlagen gleich gestellt worden, die ebenfalls besonders wichtige Grundbedürfnisse wie die Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser betreffen. Auch Mobilfunkanlagen fallen hierunter13.

Die Planung der Gemeinde scheitert auch nicht daran, dass sie sich mit dem Instrumentarium der Baunutzungsverordnung rechtlich nicht umsetzen ließe. Das gilt sowohl für den Fall, dass es sich – wovon vorliegend auszugehen ist, weil die Anlage untergeordneter Bestandteil des Mobilfunknetzes ist – um fernmeldetechnische Nebenanlagen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO handelt, als auch für gewerbliche Hauptanlagen.

Rechtsgrundlage für den Ausschluss fernmelderechtlicher Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO. Danach kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehen sind, nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden. Dabei ist dem Verwaltungsgerichtshof dahingehend zu folgen, dass die Formulierung „nach den §§ 2 bis 9“ die betroffenen Baugebiete umschreibt, wie dies auch in § 1 Abs. 10 BauNVO oder – mit der Einschränkung „§§ 4 bis 9“ – in Absatz 7 der Vorschrift der Fall ist. Dies steht auch mit der Systematik der Baunutzungsverordnung im Einklang. Die Regelungen in den §§ 12 bis 14 BauNVO stellen Querschnittsvorschriften dar, die die Zulässigkeitsvorschriften der §§ 2 ff. BauNVO ergänzen und in den jeweils bezeichneten Baugebieten weitere Anlagen für zulässig erklären. Dies wird durch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bestätigt. Daher ist es folgerichtig, die in diesen Regelungen, somit auch in § 14 BauNVO, normierten Ausnahmen ebenso zu behandeln wie die in den Baugebietsvorschriften vorgesehenen Ausnahmen. Die in § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO ausdrücklich geregelte Möglichkeit, die Zulässigkeit von untergeordneten Nebenanlagen im Bebauungsplan einzuschränken oder auszuschließen, steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern bestätigt das Ergebnis. Der Bundesverwaltungsgericht hat diese Vorschrift als Erinnerung an den Ortsgesetzgeber bezeichnet, dass er die Möglichkeit der bauplanerischen Abwahl besitzt14. Ein E-contrario-Schluss kann daraus nicht gezogen werden.

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Fernmeldetechnische Hauptanlagen, die nicht unter § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO fallen15, können als Gewerbebetriebe in einem Wohngebiet nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 9 BauNVO ausgeschlossen werden. Der Einwand, es fehle hierfür an städtebaulichen Gründen, ist in diesem Zusammenhang verfehlt. Denn mit „besonderen“ städtebaulichen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 9 BauNVO ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich gefordert, dass es spezielle Gründe gerade für die gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzung geben muss16. Daran bestehen für Mobilfunkanlagen keine Zweifel.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. August 2012 – 4 C 1.11

  1. vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21.10.2010 – 4 BN 26.10 – BRS 76 Nr. 108 und vom 01.10.2009 – 4 BN 34.09, Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 29; Urteil vom 19.02.2004 – 4 CN 16.03, BVerwGE 120, 138, 146 f.[]
  2. BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 – 4 CN 13.03 – BRS 67 Nr. 118[]
  3. Beschluss vom 19.05.2004 – 4 BN 22.04 – BRS 67 Nr. 119[]
  4. BVerwG, Beschluss vom 01.10.2009 a.a.O. Rn. 9[]
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 a.a.O.; Beschlüsse vom 21.10.2010 a.a.O. und vom 05.02.1990 – 4 B 191.89 – BRS 50 Nr. 103[]
  6. vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 01.10.2009 a.a.O.[]
  7. BVerwG, Urteil vom 28.02.2002 – 4 CN 5.01 – BRS 65 Nr. 67[]
  8. BVerwG, Urteil vom 12.09.1968 – 8 C 99.67, BVerwGE 30, 225[]
  9. BVerwG, Urteil vom 28.10.1970 – 6 C 48.68, BVerwGE 36, 192, 214[]
  10. BVerwG, Urteil vom 28.02.2007 – 3 C 38.05, BVerwGE 128, 155 Rn. 26[]
  11. vgl. insbesondere den Vierten Bericht der Bundesregierung über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen vom 12.01.2011, BT-Drucks. 17/4408[]
  12. BVerwG, Beschlüsse vom 20.06.2001 – 4 B 41.01, BRS 64 Nr. 82; und vom 05.02.2004 – 4 B 110.03 – BRS 67 Nr. 86[]
  13. vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 03.01.2012 – 4 B 27.11 – BauR 2012, 754[]
  14. BVerwG, Urteil vom 03.12.1992 – 4 C 27.91, BVerwGE 91, 234[]
  15. vgl. hierzu BR-Drucks. 354/89 S. 57[]
  16. BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 – 4 C 77.84, BVerwGE 77, 317[]
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