Straßensanierung – und die ordnungsgemäße Entwässerung

Bei der Planung und Ausführung der Sanierung einer Bundesstraße hat der zuständige Straßenbaulastträger zum Schutz der Anlieger vor nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen dafür Sorge zu tragen, dass weiterhin eine ordnungsgemäße Entwässerung sichergestellt wird.

Straßensanierung – und die ordnungsgemäße Entwässerung

Dabei hat der Straßenbaulastträger auch für die hinreichende Beseitigung des Wassers zu sorgen, das auf die Straße (hier: Bundesstraße) von einem Verkehrsweg (hier: Gemeindeweg) fließt, der in die Baulast eines anderen Trägers fällt. Das setzt jedoch voraus, dass dieser Verkehrsweg die technischen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Entwässerung erfüllt.

Ist das nicht der Fall, ist der Straßenbaulastträger nicht allein deswegen Störer, weil Wasser über seine Straße abfließt, das bei ordnungsgemäßer Entwässerung des anderen Verkehrswegs nicht angefallen wäre. Haben hingegen mehrere Ursachen zusammengewirkt, haften die beteiligten Straßenbaulastträger nach dem Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gesamtschuldner.

Ein Anspruch auf Wiederherstellung des vom abfließenden Niederschlagswasser beeinträchtigten Grundstücks (hier: im Bereich des abgerutschten Hangs und der von den Abund Unterspülungen betroffenen Weideflächen und Stallungen) kann sich entweder aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (Beseitigung der eingetretenen Störung) oder gegebenenfalls auch im Wege der Anspruchskonkurrenz in Form eines Schadensersatzanspruchs auf deliktsrechtlicher Grundlage ergeben1. Auf die in ihren Einzelheiten nicht abschließend geklärte Abgrenzung zwischen dem verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch und dem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch2 kommt es in diesem Verfahrensstadium nicht an, weshalb diese Frage für den Bundesgerichtshof derzeit offenbleiben kann.

Der Tatbestand des § 1004 Abs. 1 BGB ist allerdings nur erfüllt, wenn die abzuwendende Beeinträchtigung nicht ausschließlich auf Naturkräfte zurückzuführen ist. Diese muss wenigstens mittelbar auf den Willen des Anspruchsgegners zurückgehen, das heißt, er muss die durch Naturereignisse ausgelöste Störung durch seine Handlung ermöglicht oder die Beeinträchtigung erst durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt haben3.

Weiterlesen:
Elternnachzug - und die Vermeidung einer Familientrennung

Der Anlieger eines hangabwärts belegenen Grundstücks muss daher grundsätzlich hinnehmen, dass dieses durch die natürliche Gefällelage durch abfließendes Niederschlagswasser stärker beeinträchtigt wird als andere Grundstücke. Eine auf einer nicht fachgerecht ausgeführten Straßenbaumaßnahme beruhende zusätzliche Belastung muss er hingegen nicht dulden.

Bei der dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich angehörenden Planung und dem Bau von Straßen hat der Träger der Straßenbaulast die anerkannten Regeln der Straßenbautechnik und der Wasserwirtschaft zu beachten. Zu diesen gehören auch die Vorschriften des Wasserund Nachbarrechts über Veränderungen des Ablaufs wild abfließenden Wassers4, vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 HessNachbRG, § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG. Hiernach darf der Eigentümer eines Grundstücks den Ablauf wild abfließenden Wassers nicht künstlich so ändern, dass tiefer liegende Grundstücke belästigt sind. Eine Straßenbaumaßnahme, die für tiefer liegende Grundstücke die Gefahr einer Überschwemmung mit erheblichen Schadensfolgen begründet, ist nicht gerechtfertigt5. Insoweit sind Feststellungen erforderlich, von welchem natürlichen Abflusszustand auszugehen ist. Dieser ist nach den Rechtsverhältnissen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der Geltendmachung von Ansprüchen bestehen. Dabei ist nicht allein auf den natürlichen Ursprungszustand, sondern auch auf den vorhandenen rechtmäßigen Zustand einschließlich einer bereits vorhandenen Bebauung hier also die Bundesstraße B 47 vor der Sanierungsmaßnahme abzustellen, der zugleich den Zustand des natürlichen Gefälles mitbestimmt6. Dieser vom Eigentümer hinzunehmende Zustand wird auch von möglichen Duldungspflichten gemäß § 1004 Abs. 2 BGB bestimmt, die sich wie vorliegend etwa aus einem bestandskräftigen Flurbereinigungsplan ergeben können.

Weiterlesen:
Die Gestaltung einer Parkbucht - und die Verkehrssicherungspflicht

Aus dem Straßenrecht ergibt sich nichts anderes.

Zu einer Bundesfernstraße gehört der gesamte Straßenkörper, das heißt nicht nur die Fahrbahndecke nebst Unterbau und Straßengrund, sondern unter anderem auch Durchlässe, Dämme, Gräben, Entwässerungsanlagen, Böschungen sowie Trenn, Seiten, Randund Sicherheitsstreifen (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 FStrG). Die Straßenbaulast umfasst die ordnungsgemäße Entwässerung der Straßen. Das Land als Baulastträger in Auftragsverwaltung für den Bund (Art. 90 Abs. 2 GG) ist verpflichtet, Regenwasser, das unmittelbar auf den Straßenkörper auftrifft, ordnungsgemäß abzuleiten7. Ebenfalls hat der Baulastträger Wasser zu beseitigen, dessen Zufluss von anderen Grundstücken er zu dulden hat.

Im hier entschiedenen Fall konnte für den Bundesgerichtshof ein (schuldhafter) Planungsoder Ausführungsfehler im Zusammenhang mit der Sanierung der Bundesstraße, der zu einer das Grundstück der Grundstückseigentümerin beeinträchtigenden, vermeidbaren und von ihr nicht hinzunehmenden Wasserableitung geführt hat, derzeit nicht ausgeschlossen werden.

Ob dem Anspruch der Grundstückseigentümerin gegen das Land die von diesem behauptete Tatsache entgegenstehen kann, dass insbesondere im Bereich des nach der Behauptung der Grundstückseigentümerin abgerutschten Hangs als (Mit)Ursache für die Durchfeuchtung vor allem das aus dem Gemeindeweg ablaufende Niederschlagswasser und nicht der konkrete Zustand der Bundesstraße in Betracht kommt, erfordert weitere Feststellungen.

Nach dem unter Beweis gestellten Vortrag der Grundstückseigentümerin ist es (auch dort) erst infolge der Sanierung der Bundesstraße zu einem verstärkten Wassereintrag gekommen, was sie unter anderem auf einen unzureichenden baulichen Anschluss der Bundesstraße im Einmündungsbereich des Gemeindewegs zurückführt. Soweit das Berufungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen der beiden Sachverständigen angenommen hat, die Entwässerung im Zusammenhang mit der Überführung des Gemeindewegs auf die Bundesstraße sei mangelhaft, schließt dies eine Verantwortlichkeit des Landes gerade nicht ohne weiteres aus. Es war seine Aufgabe, aus Anlass der Sanierung der Bundesstraße unter Berücksichtigung des Anschlussbereichs des Gemeindewegs für eine ordnungsgemäße Entwässerung zu sorgen. Dass die Grundstückseigentümerin eingeräumt haben mag, die Gestaltung der Oberfläche der Bundesstraße habe den einschlägigen technischen Vorschriften entsprochen, ändert daran nichts. Denn zur ordnungsgemäßen Ausführung der Sanierungsmaßnahme gehörte es auch, die vorhandenen Entwässerungseinrichtungen anzupassen, soweit ein veränderter Wasserablauf dies erforderte.

Weiterlesen:
Die umgestürzte Eiche und die Verkehrssicherungspflicht

Das Land ist für eine übermäßige Durchfeuchtung des Grundstücks, die (auch) durch Wasser bewirkt wird, das von dem Gemeindeweg über die Bundesstraße fließt, nur dann nicht (mit)verantwortlich, wenn die Beschaffenheit des gesamten Straßenkörpers der B 47 nach der Sanierung einschließlich des Anschlusses an den Gemeindeweg den geltenden technischen Maßstäben an eine ordnungsgemäße Entwässerung entspricht und der Wasserzufluss auf die Bundesstraße seinerseits auf einer nicht normgerechten Entwässerung des Gemeindewegs beruht. Das Land muss als Straßenbaulastträger eine hinreichende Beseitigung des auf die Bundesstraße auftreffenden Wassers sicherstellen, dies jedoch nur in dem Umfang, der unter allseitiger Beachtung der bestehenden Geländeverhältnisse und der nachbarund straßenrechtlichen Vorschriften zu erwarten ist. Dabei ist zwar grundsätzlich auch das aus einer einmündenden Straße ablaufende Wasser zu berücksichtigen. Dies setzt aber voraus, dass diese in die Straßenbaulast eines anderen Trägers fallende Straße ihrerseits den technischen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Entwässerung entspricht. Wenn und soweit der andere Baulastträger (hier die Streithelferin, § 43 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 Hess. StrG) gegen die Pflicht, das auf seiner Straße anfallende Wasser im gebotenen Umfang zu beseitigen, verstößt, ist der Straßenbaulastträger (hier das Land) nicht verpflichtet, zugunsten seiner hangabwärts angrenzenden Anlieger anstelle des eigentlich zuständigen Straßenbaulastträgers tätig zu werden. Allein der Umstand, dass Wasser aus einem Gemeindeweg über eine Bundesstraße abfließt, macht deren Baulastträger im Verhältnis zu seinem Anlieger noch nicht zum Störer. Denn soweit der Baulastträger einer Straße für eine Entwässerung sorgt, die das Niederschlagswasser, das auf den Straßenkörper fällt, und das Wasser, dessen Zufluss er von den Nachbargrundstücken dulden muss, beseitigt, handelt er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung, die nach der auf die vorliegende Fragestellung zu übertragenden Rechtsprechung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs im Nachbarrecht eine Störereigenschaft ausschließt8.

Weiterlesen:
Berechnungsgrundlage der Straßenreinigungsgebühren

Haben hingegen mehrere Ursachen zusammengewirkt, haften die beteiligten Straßenbaulastträger nach dem Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gesamtschuldner9. Das Land würde daher auch dann haften, wenn erst eine Kumulation aus einer unter Berücksichtigung der üblichen Verhältnisse unzureichenden Entwässerung der Bundesstraße und des aus dem Gemeindeweg ablaufenden nicht hinreichend abgeleiteten Wassers zu einer Beeinträchtigung des Grundstücks der Grundstückseigentümerin geführt hätte.

Für den Fall, dass das Berufungsgericht nach den vorstehenden Kriterien die dem Grunde nach gegebene Störereigenschaft des Landes feststellen sollte, wird es allerdings weiter zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang die Grundstückseigentümerin die damit verbundene Beeinträchtigung aufgrund der ihr nach dem Flurbereinigungsplan obliegenden Duldungspflichten hinzunehmen hat (§ 1004 Abs. 2 BGB). Dabei wird zu beachten sein, dass der in den 1990er Jahren aufgestellte Flurbereinigungsplan nicht als Rechtfertigung für jegliche späteren Baumaßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen herangezogen werden kann, sofern damit weitergehende erhebliche Beeinträchtigungen verbunden sind.

Sofern sich eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Grundstückseigentümerin in der oben beschriebenen Weise feststellen lässt, wird eine Wiederholungsgefahr als weitere Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs vermutet10.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18

  1. vgl. z.B. BGH, Urteile vom 26.10.2018 – V ZR 328/17, NJW 2019, 1216 Rn. 7; vom 12.11.1999 – V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537; und vom 22.02.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384, 387 f[]
  2. vgl. dazu etwa BGH, Urteile vom 18.04.1997 – V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 238 f; vom 01.12 1995 – V ZR 9/94, NJW 1996, 845, 846; vom 07.03.1986 – V ZR 92/85, BGHZ 97, 231, 237; und vom 09.07.1958 – V ZR 202/57, BGHZ 28, 110, 113[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 18.04.1991 – III ZR 1/90, BGHZ 114, 183, 187 mwN[]
  4. z.B. BGH, Urteil vom 09.05.2019 – III ZR 388/17, MDR 2019, 990 Rn. 18; Beschluss vom 29.06.2006 – III ZR 269/05, NVwZRR 2006, 758 Rn. 8 mwN und Urteil vom 06.12 1973 – III ZR 49/71, BeckRS 1973, 30381350, unter A – II 3b[]
  5. BGH, Urteil vom 09.05.2019 aaO Rn. 24 und Beschluss vom 29.06.2006 aaO[]
  6. vgl. BGH, Urteile vom 09.05.2019 aaO Rn.20; und vom 26.01.2017 – III ZR 465/15, NJOZ 2018, 29 Rn. 16[]
  7. Kodal/Herber, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn. 179.1[]
  8. vgl. BGH, Urteile vom 09.02.2018 – V ZR 311/16, NJW 2018, 1542 Rn. 8; und vom 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 42 f; vgl. auch Kodal/Herber, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn. 179.1[]
  9. vgl. LG Köln, NJW-RR 1990, 865, 866; BeckOGK BGB/Förster, § 830 Rn. 9 [Stand: 1.07.2019]; Erman/Ebbing, BGB, 13. Aufl. § 1004 Rn. 139; MünchKomm-BGB/Wagner, 7. Aufl, § 830 Rn. 49; Palandt/Herrler, 78. Aufl., § 1004 Rn. 26[]
  10. z.B. BGH, Urteile vom 12.06.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 26; vom 26.02.2007 – II ZR 13/06, WM 2007, 845 Rn. 14; und vom 30.10.1998 – V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 10; jew. mwN[]
Weiterlesen:
Der Wahlwerbespot der Neonazis

Bildnachweis:

  • Straßenbau,Straßenwalze,Asphaltwalze,Planiermaschine: Pixabay