Das Bundesverfassungsgericht hat die bei ihm erhobene Organklage der Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von 127 Bundestagsabgeordneten und zwei Ausschussmitgliedern gegen die Bundesregierung und den 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, den NSA-Untersuchungsausschuss, als unzulässig verworfen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist für derartige Streitigkeiten nicht die Organklage zum Bundesverfassungsgericht eröffnet, sondern vielmehr der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof.

Die beanstandete Einschätzung der Bundesregierung zu rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung von Edward Snowden in Berlin ist lediglich vorläufig; sie stellt daher nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts keine rechtserhebliche Maßnahme dar, die zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein könnte. Gegen die Ablehnung des Untersuchungsausschusses, die Vernehmung in Berlin durchzuführen, ist der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet. Der Antrag betrifft kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschussminderheit gegenüber dem Untersuchungsausschuss, sondern die verfahrensrechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, die dem Bundesgerichtshof zugewiesen ist.
Die Organklage[↑]
Der Organstreit betrifft die Frage der Beweiserhebung des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (NSA-Untersuchungsausschuss) durch Zeugenvernehmung von Edward Snowden, einem US-amerikanischen Staatsangehörigen und früheren Mitarbeiter des Geheimdienstes National Security Agency. Antragsteller sind die Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im 18. Deutschen Bundestag, 127 Mitglieder des 18. Deutschen Bundestages und zwei Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses, die Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Martina Renner. Sie wenden sich gegen die nach ihrer Ansicht unzulässige Weigerung der Bundesregierung, die Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung Edward Snowdens durch den 1. Untersuchungsausschuss des 18. Deutschen Bundestages in Berlin zu schaffen, sowie gegen die Ablehnung von Anträgen der beiden Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses auf Vernehmung Edward Snowdens in Berlin durch den Untersuchungsausschuss.
Die Antragsteller begehren die Feststellung, sie seien durch die Weigerung der Bundesregierung, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung Edward Snowdens in Berlin zu schaffen, sowie aufgrund der Ablehnung der Beweisanträge gerichtet auf dessen Zeugenvernehmung in Berlin durch den NSA-Untersuchungsausschuss in ihrem Recht aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt worden.
Der Ausgangssachverhalt[↑]
Am 14.06.2013 wurde beim United States District Court for the Eastern District of Virginia Anklage gegen Edward Snowden erhoben. Ihm wurden wegen der Verbreitung von Informationen über die Internet- und Telekommunikationsüberwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste Theft of Government Property (Diebstahl von Regierungseigentum), Unauthorized Communication of National Defense Information (unautorisierte Veröffentlichung von Informationen über die Landesverteidigung) und Willfull Communication of Classified Communications Intelligence Information to an Unauthorized Person (vorsätzliche Weitergabe von als geheim eingestufter Geheimdienstkommunikation an nicht autorisierte Personen) vorgeworfen. Am gleichen Tag wurde gegen ihn ein Haftbefehl erlassen. Seit Juni 2013 hält Snowden sich in Moskau auf.
Am 20.03.2014 setzte der 18. Deutsche Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein [1]. Der Untersuchungsausschuss soll im Wesentlichen aufklären, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang durch Nachrichtendienste der Staaten der sogenannten „Five Eyes“ (der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, Kanadas, Australiens und Neuseelands) eine Erfassung von Daten über Kommunikationsvorgänge, deren Inhalte sowie sonstige Datenverarbeitungsvorgänge von, nach und in Deutschland auf Vorrat oder eine Nutzung solcher durch öffentliche Unternehmen der genannten Staaten oder private Dritte erfasster Daten erfolgte beziehungsweise erfolgt und inwieweit Stellen des Bundes von derartigen Praktiken Kenntnis hatten, daran beteiligt waren, diesen entgegenwirkten oder gegebenenfalls daraus Nutzen zogen.
In seiner 2. Sitzung am 10.04.2014 [2] beschloss der NSA-Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der Ausschussmehrheit der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Ausschussminderheit der Vertreter der Fraktionen DIE LINKE und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Entscheidung über den Antrag der seiner Mitglieder Konstantin von Notz und Martina Renner vom 02.04.2014 [3] zur Beweiserhebung durch Vernehmung Edward Snowdens als Zeuge zu vertagen.
Aufgrund eines Beschlusses der Ausschussmehrheit in der Sitzung vom 10.04.2014 [4] nahm die Bundesregierung zu den mit einer möglichen Vernehmung Edward Snowdens vor dem Untersuchungsausschuss verbundenen verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen, aufenthaltsrechtlichen und strafprozessualen Fragen mit einem Schreiben vom 02.05.2014 Stellung [5]. In einer Vorbemerkung wies sie auf Folgendes hin:
Sofern Erkenntnisse zum tatsächlichen Sachverhalt nicht gesichert oder überhaupt nicht vorlagen, konnten Prüfung und Stellungnahme nur in allgemeiner Form erfolgen. Entscheidungen unabhängiger Gerichte oder von Behörden können hierdurch nicht präjudiziert oder vorweggenommen werden. Die nachfolgende Stellungnahme der Bundesregierung kann insofern auch keine bindende Wirkung entfalten.
Vertiefend führte sie aus, dass es für die Wahl der aufenthaltsrechtlichen Instrumente zur Ermöglichung von Einreise und Aufenthalt Edward Snowdens darauf ankomme, ob dieser im Besitz eines gültigen Passes sei. Dies sei nach ihrer Kenntnis nicht der Fall. Nicht sicher sei, ob die Russische Föderation Edward Snowden ohne Reisedokumente ausreisen lasse. Im Hinblick auf ihre Unterstützungspflicht gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss sei im Rahmen der gebotenen Abwägung des Weiteren zu berücksichtigen, ob Edward Snowden als Zeuge im Ausland vernommen werden könne und deshalb ihre Weigerung, ihn nach Deutschland einreisen zu lassen, voraussichtlich nicht zur Folge hätte, dass das Beweismittel nicht zur Verfügung stünde. Eine Vernehmung Edward Snowdens in der Russischen Föderation unmittelbar durch den Untersuchungsausschuss oder durch russische Behörden, per Videokonferenz unter Leitung des Untersuchungsausschusses oder russischer Behörden oder in der deutschen Botschaft setze die Zustimmung russischer Stellen voraus.
Weiter vertrat die Bundesergierung die Auffassung, dass im Fall einer Vernehmung in Deutschland mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen und einer Beeinträchtigung der Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden zu rechnen sei, die für die Sicherheit Deutschlands von grundlegender Bedeutung sei. Die rechtliche Prüfung habe ergeben, dass Edward Snowden – vorbehaltlich der Zustimmung der Behörden des Aufenthaltsstaates – auch im Ausland vernommen werden könne. Vor diesem Hintergrund dürften die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands gegenüber dem möglichen Interesse des Untersuchungsausschusses an einer Vernehmung Edward Snowdens in Deutschland überwiegen. Es sei möglich, dass Edward Snowden im Fall einer Einreise nach Deutschland an die Vereinigten Staaten auszuliefern wäre. Auch ein etwaiges freies beziehungsweise sicheres Geleit wäre in diesem Fall nicht geeignet, eine Auslieferung umfassend zu verhindern.
In einem weiteren Bericht vom 02.06.2014 nahm die Bundesregierung zu fünf Fragen des NSA-Untersuchungsausschusses Stellung [6] und führte ergänzend aus, dass sie weiterhin eine Zeugenvernehmung im Ausland für möglich halte, dass zur Prüfung der Bewilligung einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten noch weitere Fragen an das Department of Justice gerichtet worden seien und dass das Bestehen eines Auslieferungshindernisses auf der Grundlage des bislang mitgeteilten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden könne.
Am 8.05.2014 beschloss der NSA-Untersuchungsausschuss aufgrund des Beweisantrags der ihm angehörenden Abgeodneten v. Notz und Renner vom 02.04.2014 [7] einstimmig, zu dem Untersuchungsauftrag [8] Beweis zu erheben durch Vernehmung von Edward Snowden als Zeuge (Beweisbeschluss Z‑1). Den weitergehenden Antrag der beiden Antragsteller, Edward Snowden einzuladen, dem NSA-Untersuchungsausschuss über seine Kenntnisse Auskunft zu erteilen, lehnte der Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der Ausschussmehrheit der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD ab [9]. Weiter beschloss der NSA-Untersuchungsausschuss in dieser Sitzung mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Edward Snowden zu ersuchen, möglichst bis zum 20.05.2014 schriftlich mitzuteilen, ob und in welcher Art und Weise er für eine Befragung durch den Ausschuss zur Verfügung stehen könne [10]. Mit Schreiben vom 19.05.2014 an den Untersuchungsausschuss teilte der Rechtsanwalt Edward Snowdens mit, dass er seinem Mandanten davon abrate, sich unter den derzeitigen aufenthaltsrechtlichen Bedingungen in einer Weise „von Moskau aus zu äußern“, die seine Situation verschlechtere und seinen Aufenthaltsstatus möglicherweise gefährde.
Am 5.06.2014 beantragten die beiden dem Untersuchungsausschuss angehörenden Bundestagsabgeordneten v. Notz und Renner [11]:
Der 1. Untersuchungsausschuss möge beschließen:
- Herr Rechtsanwalt K. wird gebeten,
- möglichst bis 15.06.2014 mitzuteilen, ob sein Mandant entsprechend dem anwaltlichen Rat nur in Deutschland zu einer Zeugenvernehmung zur Verfügung steht,
- für diesen Fall (Vernehmung nur in Deutschland) seinem Mandanten eine Ladung für eine Zeugenvernehmung am 4.07.2014 in Berlin zu übermitteln.
- Falls Herr Snowden nur in Deutschland für eine Zeugenvernehmung zur Verfügung steht, wird die Bundesregierung nach Übermittlung der entsprechenden Äußerung ersucht, binnen 14 Tagen nach deren Eingang nunmehr in Ansehung dieser Äußerung sogleich alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine Vernehmung des Zeugen vor dem 1. Untersuchungsausschuss zu ermöglichen (insbesondere pass- und ausländerrechtliche Ermöglichung von Einreise und Aufenthalt, Zusage eines wirksamen Auslieferungsschutzes sowie alle notwendigen Vorkehrungen für einen wirksamen Zeugenschutz).
Dieser Antrag wurde in der Sitzung vom 05.06.2014 mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD durch den NSA-Untersuchungsausschuss abgelehnt [12]. In derselben Sitzung beschloss der Ausschuss mit den Stimmen der Ausschussmehrheit gegen die Stimmen der Vertreter der Fraktionen DIE LINKE und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Edward Snowden zu ersuchen mitzuteilen, ob er möglichst bis zum 2.07.2014 für ein (informelles) Gespräch mit dem Vorsitzenden und den Obleuten des Untersuchungsausschusses an seinem momentanen Aufenthaltsort zur Verfügung stehe [12]. Der Rechtsanwalt Edward Snowdens teilte in seinem Antwortschreiben vom 19.06.2014 mit, dass eine Zeugenvernehmung Snowdens in Moskau nicht in Betracht komme und für ein informelles Gespräch in Moskau derzeit kein Bedarf bestehe [13].
Am 25.06.2014 stellten die beiden Bundestagsabgeordneten v. Notz und Renner folgenden Antrag [14]:
- Der Ausschuss möge beschließen:
- Der Zeuge Snowden (Beweisbeschluss Z‑1) wird für die erste Sitzung des Ausschusses zur Beweisaufnahme nach der Sommerpause am 11.09.2014 in Berlin zur Vernehmung geladen.
- Die Bundesregierung wird ersucht, in Erfüllung ihrer grundgesetzlichen Verpflichtungen unverzüglich die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Zeugen Snowden in Deutschland zu diesem Termin zu schaffen (insbesondere pass- und ausländerrechtliche Ermöglichung von Einreise und Aufenthalt sowie Zusage eines wirksamen Auslieferungsschutzes) und dies dem Ausschuss verbindlich mitzuteilen sowie – im Falle einer partiellen oder vollständigen Ablehnung bzw. Nichterfüllung dieses Ersuchens – bis spätestens 29.08.2014 die für die Ablehnung bzw. Nichtveranlassung der betreffenden Maßnahme(n) jeweils maßgeblichen Gründe schriftlich darzulegen und dem Ausschuss mitzuteilen.
- Für den Fall einer ablehnenden Beschlussfassung des Ausschusses über den Antrag zu 1.a. erheben das Mitglied der Fraktion DIE LINKE und das Mitglied der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN als Viertel der Mitglieder des Ausschusses dagegen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 PUAG Widerspruch und beantragen:
Der Ausschuss möge beschließen:
- Der Zeuge Snowden (Beweisbeschluss Z‑1) wird für die nächste Beweisaufnahmesitzung geladen, für die die Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE und Bündnis 90/DIE GRÜNEN in entsprechender Anwendung der Geschäftsordnung des Bundestages gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 PUAG nach dem sogenannten Reißverschlussverfahren seine Vernehmung verlangen können.
- Die Bundesregierung wird ersucht, in Erfüllung ihrer grundgesetzlichen Verpflichtungen unverzüglich die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Zeugen Snowden in Deutschland zu diesem Termin zu schaffen (insbesondere pass- und ausländerrechtliche Ermöglichung von Einreise und Aufenthalt sowie Zusage eines wirksamen Auslieferungsschutzes) und dies dem Ausschuss verbindlich mitzuteilen sowie – im Falle einer partiellen oder vollständigen Ablehnung bzw. Nichterfüllung dieses Ersuchens – bis spätestens 29.08.2014 die für die Ablehnung bzw. Nichtveranlassung der betreffenden Maßnahme(n) jeweils maßgeblichen Gründe schriftlich darzulegen und dem Ausschuss mitzuteilen.“
- Für den Fall einer ablehnenden Beschlussfassung des Ausschusses über den Antrag zu 1.b. oder den Antrag zu 2.b. bei Annahme des Antrages zu 1. bzw.02. im Übrigen beantragen das Mitglied der Fraktion DIE LINKE und das Mitglied der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN als Viertel der Mitglieder des Ausschusses in Wahrnehmung ihres verfassungsrechtlichen Minderheitenrechts auf Beweiserhebung des Ausschusses zu seinem Beweisbeschluss Z‑1 (Vernehmung von Edward Snowden als Zeuge):
Der Ausschuss möge beschließen:
Der Vorsitzende erarbeitet und übermittelt bis zur nächsten Beratungssitzung des Ausschusses einen schriftlichen Vorschlag mit detaillierten Ausführungen dazu, wie angesichts der Ablehnung des Antrages auf Ersuchen der Bundesregierung eine Vernehmung des Zeugen Snowden vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin am vom Ausschuss beschlossenen Termin erfolgen kann, insbesondere, wie dem Zeugen Snowden Einreise nach und Aufenthalt in Deutschland ermöglicht und ein wirksamer Schutz des Zeugen vor einer Auslieferung an das Ausland gewährleistet werden soll.
Alle drei Anträge wurden durch Beschluss vom 26.06.2014 mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abgelehnt [15]. An demselben Tag fasste der NSA-Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der Ausschussmehrheit gegen die Stimmen der Vertreter der Fraktionen DIE LINKE und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den folgenden Beschluss [16]:
- Auf Antrag der Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE und Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Ausschussdrucksache 138 wird die Vernehmung des Zeugen Edward Snowden für den 11.09.2014, 13 Uhr MESZ, terminiert.
- Diese Vernehmung wird als audiovisuelle Zeugenvernehmung entsprechend § 247a StPO durch Übertragung von seinem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Aufenthaltsort in die – öffentliche – Ausschusssitzung in Berlin durchgeführt.
- Der Zeuge wird im Wege der förmlichen Ladung ersucht, für diese Vernehmung am 11.09.2014, 13 Uhr MESZ, zur Verfügung zu stehen.
- Dem Zeugen wird in Aussicht gestellt, dass er auf seinen Wunsch hin an diesem Termin alternativ auch nicht förmlich als sonstige Auskunftsperson gehört werden könnte.
- Die Bundesregierung wird ersucht, die äußeren Voraussetzungen für die Durchführung dieser Vernehmung entsprechend § 247a StPO zu diesem Termin zu schaffen.
- Eine mit einem Aufenthalt von Herrn Snowden in Deutschland verbundene Vernehmung wird zum oben genannten Zeitpunkt unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Bundesregierung [17], der Sicherheitsinteressen des Zeugen und der für den Zeugen abgegebenen anwaltlichen Stellungnahmen abgelehnt.
Mit Schreiben vom 08.07.2014 teilte der Rechtsanwalt Edward Snowdens mit, dass sein Mandant trotz grundsätzlicher Aussagebereitschaft für die avisierte Videovernehmung in Moskau nicht zur Verfügung stehe.
Gegen die Ablehnung ihrer Anträge vom 25.06.2014 erhoben die Abgeordneten v. Notz und Renner als Viertel der Mitglieder des Ausschusses unter Berufung auf § 17 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) [18] Widerspruch und beantragten am 21.07.2014 [19]:
Der Ausschuss möge beschließen:
- Der Zeuge Snowden (Beweisbeschluss Z‑1) wird für die nächste Beweisaufnahmesitzung, für die die Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE und Bündnis 90/DIE GRÜNEN in entsprechender Anwendung der Geschäftsordnung des Bundestages gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 PUAG nach dem sogenannten Reißverschlussverfahren seine Vernehmung verlangen können, zu seiner zeugenschaftlichen Vernehmung am Sitz des Deutschen Bundestages in Berlin geladen.
- Die Bundesregierung wird ersucht, in Erfüllung ihrer grundgesetzlichen Verpflichtungen unverzüglich die Voraussetzungen für eine zeugenschaftliche Vernehmung des Zeugen Snowden in Deutschland zu diesem Termin zu schaffen (insbesondere pass- und ausländerrechtliche Ermöglichung von Einreise und Aufenthalt sowie Zusage eines wirksamen Auslieferungsschutzes) und dies dem Ausschuss verbindlich mitzuteilen sowie – im Falle einer partiellen oder vollständigen Ablehnung bzw. Nichterfüllung dieses Ersuchens – bis spätestens 19.09.2014 die für die Ablehnung bzw. Nichtveranlassung der betreffenden Maßnahme(n) jeweils maßgeblichen Gründe schriftlich darzulegen und dem Ausschuss mitzuteilen.“
Diesen Antrag lehnte der NSA-Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der Ausschussmehrheit in der Sitzung vom 11.09.2014 ab.
Unzulässigkeit der Organklage hinsichtlich der Weigerung der Bundesregierung[↑]
Mit ihrem Antrag festzustellen, dass die Bundesregierung mit ihrer in den Schreiben vom 02.05.2014 [5]; und vom 02.06.2014 – BT-ADrs. 131 – antizipierten und seither aufrecht erhaltenen Weigerung, die in ihrer Kompetenz liegenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Vernehmung des Zeugen Edward Snowden durch den Ersten Untersuchungsausschuss des 18. Deutschen Bundestages in Berlin zu schaffen, ihre Pflicht zur Unterstützung des Untersuchungsausschusses gemäß Art. 44 GG verletzt hat, wenden sich die Antragsteller nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht gegen einen tauglichen Angriffsgegenstand. Dabei kann für das Bundesverfassungsgericht dahinstehen, ob sie sich nur gegen ein schlichtes Unterlassen der Bundesregierung wenden, das in der Weigerung der Unterstützung der Ausschussarbeit liegen soll, oder ob sie kumulativ die Feststellung begehren, dass sie durch die beiden Schreiben vom 02.05.2014 und 2.06.2014 in ihren Rechten verletzt seien. In jedem Fall ist das gerügte Verhalten der Bundesregierung kein zulässiger Gegenstand im Organstreitverfahren.
Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG ist ein Antrag im Organstreitverfahren zulässig, wenn der Antragsteller geltend machen kann, dass er durch eine Maßnahme oder eine Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Die zur Nachprüfung gestellte Maßnahme muss rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtsstellung des Antragstellers beeinträchtigenden, rechtserheblichen Verhalten verdichten können [20]. Als rechtserhebliche Maßnahme kommt jedes Verhalten des Antragsgegners in Betracht, das geeignet ist, die Rechtsstellung des Antragstellers zu beeinträchtigen [21]. Erforderlich ist, dass der Antragsteller durch die angegriffene Maßnahme in seinem Rechtskreis konkret betroffen wird [22]. Handlungen, die nur vorbereitenden oder bloß vollziehenden Charakter haben, scheiden als Angriffsgegenstand im Organstreit aus [23].
Nach diesen Maßstäben bezieht sich dieser Antrag nicht auf taugliche Angriffsgegenstände.
Die beiden Schreiben vom 02.05.2014; und vom 02.06.2014 stellen keine rechtserheblichen Maßnahmen im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar.
Die Einschätzungen der Bundesregierung in dem Schreiben vom 02.05.2014 sind nur vorläufiger Natur. Im Hinblick darauf, dass in dem Zeitpunkt, in dem die Bundesregierung zu dem Beschluss des Ausschusses vom 10.04.2014 Stellung nahm, wesentliche Erkenntnisse zum relevanten Sachverhalt noch nicht vorlagen oder jedenfalls nicht gesichert waren, ist das Schreiben vom 02.05.2014 erkennbar lediglich als erste, nur in allgemeiner Form abgefasste Äußerung ohne Festlegung auf eine bestimmte Bewertung des bisher bekannten Sachverhalts gemeint. Dies betrifft etwa die Fragen, ob Edward Snowden im Besitz eines gültigen Passes ist und ob seitens der Behörden der Russischen Föderation eine Ausreise bewilligt oder eine Zustimmung der russischen Behörden zur Zeugenvernehmung vor Ort erteilt würde. Die Vorläufigkeit der Einschätzung ergibt sich auch daraus, dass der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt ein konkretes Amtshilfeersuchen des NSA-Untersuchungsausschusses zur Beurteilung noch nicht vorlag. Standen die tatsächlichen Umstände eines solchen Ersuchens aber (noch) nicht fest, konnte eine abschließende Bewertung der Bundesregierung zur Reichweite einer sie möglicherweise treffenden verfassungsrechtlichen Unterstützungspflicht gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss noch nicht vorgenommen werden.
Im Übrigen handelt es sich bei diesem Schreiben um eine lediglich unverbindliche Stellungnahme, die Entscheidungen zuständiger Behörden oder unabhängiger Gerichte über die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder über die Bewilligung einer Auslieferung nicht präjudizieren oder vorwegnehmen sollte oder konnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Behandlung eines Amtshilfeersuchens, die Rechte der Antragsteller oder des NSA-Untersuchungsausschusses berühren könnte, entfaltet das Vorgehen der Bundesregierung keine rechtlich relevante Außenwirkung. Die Beantwortung der Anfrage durch die Bundesregierung erschöpft sich vielmehr darin, den NSA-Untersuchungsausschuss über Abwägungsgesichtspunkte im Umgang mit einem möglicherweise künftig an sie zu richtenden Amtshilfeersuchen zu informieren. Das Schreiben hat insofern nur gutachtlichen Charakter und kann durch den NSA-Untersuchungsausschuss zur Vorbereitung seiner Willensbildung im Hinblick auf eine Entscheidung über die Ladung Edward Snowdens zur Zeugenvernehmung in Deutschland herangezogen werden. Aus dem rein informatorischen Charakter dieses Schreibens folgt auch, dass verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Antragsteller nicht berührt werden.
Gleiches gilt für das Schreiben der Bundesregierung vom 02.06.2014, in dem sie durch den Hinweis auf offene Sachverhaltsfragen erneut die Vorläufigkeit ihrer Einschätzung herausstellt.
Soweit sich die Antragsteller generell gegen die Weigerung der Bundesregierung wenden, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung Snowdens in Deutschland zu schaffen, ist der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Unterlassens ebenfalls mangels eines zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob die Bundesregierung unter Umständen von Verfassungs wegen verpflichtet sein kann, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Solange weder eine Ladung Edward Snowdens zur Zeugenvernehmung nach Deutschland vorliegt noch ein konkretes Amtshilfeersuchen des NSA-Untersuchungsausschusses abgelehnt wurde, verdichten sich Stellungnahmen der Bundesregierung mit dem Ziel einer bloßen Unterrichtung noch nicht zu einem rechtserheblichen Unterlassen.
Unzulässigkeit der Organklage hinsichtlich der abgelehnten Beweisanträge[↑]
Hinsichtlich des Antrags festzustellen, dass der NSA-Untersuchungsausschuss mit der Ablehnung der Beweisanträge der beiden ihm angehörigen Abgeordneten v. Notz und Renner zur Vernehmung des Zeugen Edward Snowden in Berlin vom 25.06.2014 – BT-ADrs. 138; vom 21.07.2014 – BT-ADrs. 180 – sowie der fortgesetzten Verhinderung seiner Ladung nach Berlin seine Pflicht gemäß Art. 44 GG verletzt, dem Untersuchungsauftrag nachzukommen, ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet.
Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Antragsteller die Feststellung begehren, dass der NSA-Untersuchungsausschuss sie mit der Ablehnung von Verfahrensanträgen vom 25.06.2014; und vom 21.07.2014 in ihren Rechten aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt hat. Zwar greifen die Antragsteller ausweislich des Wortlautes und der Begründung des Antrags im Organstreitverfahren die Ablehnung von Beweisanträgen an. Bei den streitgegenständlichen Anträgen vom 25.06.2014 und 21.07.2014 handelt es sich aber nicht um Beweisanträge. Formale Voraussetzung eines Beweisantrags ist auch im Untersuchungsausschussverfahren, dass das Beweismittel hinreichend präzise benannt und das Beweisthema hinreichend bestimmt ist [24]. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Demzufolge handelt es sich bei den Anträgen vom 25.06.2014 und 21.07.2014 lediglich um (Verfahrens-)Anträge zur Ausgestaltung der weiteren Arbeit des Untersuchungsausschusses.
§ 36 Abs. 1 PUAG bestimmt bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit, dass zuständiges Gericht für Streitigkeiten nach dem Untersuchungsausschussgesetz der Bundesgerichtshof ist, soweit Art. 93 GG sowie § 13 BVerfGG und die Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes nichts Abweichendes bestimmen.
Aus dem Vorbehalt in § 36 Abs. 1 PUAG sowie aus der Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses nach § 36 Abs. 2 PUAG ergibt sich, dass dem Bundesgerichtshof nach dem Untersuchungsausschussgesetz keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit zugewiesen ist, sondern allein die verfahrensrechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, bei der die – dem Ablauf eines Strafprozesses vergleichbare – Ordnung des Untersuchungsverfahrens im engeren Sinne in Rede steht, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, der Verlesung von Schriftstücken oder der Herausgabepflicht von Gegenständen [25].
Das Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG zielt demgegenüber auf die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten von Verfassungsorganen [26]. Die als verletzt geltend gemachte Rechtsposition muss in einem Verfassungsrechtsverhältnis gründen [27]. Ein Verfassungsrechtsverhältnis liegt vor, wenn auf beiden Seiten des Streits Verfassungsorgane oder Teile von Verfassungsorganen stehen und um diese verfassungsrechtliche Positionen streiten [28].
Nach diesen Maßstäben ist eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die vorliegende Streitigkeit nicht gegeben.
Sie ergibt sich nicht aufgrund einer abweichenden Regelung im Untersuchungsausschussgesetz (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2, § 18 Abs. 3 Hs. 1, § 23 Abs. 2 Hs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 3 Hs. 1 PUAG).
Das Bundesverfassungsgericht kann auch nicht im Wege des Organstreits angerufen werden, da Gegenstand des Antrags nicht die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Grundgesetz ist. Die Antragsteller haben geltend gemacht, ihnen stehe ein Anspruch auf Bestimmung des Zeitpunktes und des Ortes der Zeugenvernehmung zu. Damit machen sie kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschussminderheit gegenüber dem Untersuchungsausschuss geltend. Nicht im Streit steht nämlich das aus Art. 44 Abs. 1 GG abzuleitende Beweiserzwingungs- und Beweisdurchsetzungsrecht der qualifizierten Minderheit im Ausschuss [29]. Die Bestimmung des Vernehmungsortes und des Zeitpunktes der Vernehmung betrifft vielmehr die Modalitäten des Vollzugs eines bereits ergangenen Beweisbeschlusses. Über derartige Verfahrensabläufe entscheidet grundsätzlich die jeweilige Ausschussmehrheit nach Maßgabe der §§ 17 ff. PUAG und der sinngemäß anwendbaren Vorschriften der Strafprozessordnung (Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG). Ihre Verfahrensherrschaft ist durch das Recht der qualifizierten Minderheit auf angemessene Beteiligung begrenzt [30]. Nachdem dem Antrag der beiden Bundestagsabgeordneten v. Notz und Renner auf Zeugenvernehmung Edward Snowdens seitens des NSA-Untersuchungsausschusses durch Erlass des Beweisbeschlusses Z‑1 entsprochen wurde, ist auch dieses Beteiligungsrecht der qualifizierten Minderheit nicht streitgegenständlich. Kern der Auseinandersetzung ist die Klärung der einfachrechtlichen Frage, ob und wie zur Erreichung des Aufklärungszwecks eine unmittelbare Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuss vorzunehmen ist. Allein der Umstand, dass der NSA-Untersuchungsausschuss einfachrechtliche und völkerrechtliche Überlegungen der Bundesregierung in seine Entscheidungen einbezieht, begründet entgegen der Auffassung der Antragsteller keine verfassungsrechtliche Streitigkeit.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 BvE 3/14
- BT-Drs. 18/843; BT-Plenarprot. 18/23[↩]
- BT, BT-Ausschussprot.okoll [BT-Ausschussprot.] 18/2, S. 9[↩]
- BT, Ausschuss-Drs. [BT-ADrs.] 41[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/2, S. 9 f.[↩]
- BT-ADrs. 104[↩][↩]
- BT-ADrs. 131[↩]
- BT-ADrs. 41[↩]
- BT-Drs. 18/843[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/3, S. 7[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/3, S. 9[↩]
- BT-ADrs. 134[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/6, S. 7[↩][↩]
- BT-ADrs. 137[↩]
- BT-ADrs. 138[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/8, S. 9[↩]
- BT-Ausschussprot. 18/8, a.a.O.[↩]
- BT-ADrs. 104 und 131[↩]
- vom 19.06.2001, BGBl I S. 1142, geändert durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 05.05.2004, BGBl I S. 718[↩]
- BT-ADrs. 180[↩]
- vgl. BVerfGE 57, 1, 4 f.; 60, 374, 381; 97, 408, 414; 120, 82, 96[↩]
- vgl. BVerfGE 118, 277, 317 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 1, 208, 228 f.; 13, 123, 125; 124, 161, 185[↩]
- vgl. BVerfGE 68, 1, 74 f.; 97, 408, 414; 120, 82, 96[↩]
- vgl. Brocker, in: Glauben/Brocker, PUAG, 2011, § 17 Rn. 4[↩]
- vgl. BVerfGE 113, 113, 123; 124, 78, 104[↩]
- vgl. BVerfGE 104, 151, 193[↩]
- vgl. BVerfGE 118, 277, 318 f.; 131, 152, 191[↩]
- vgl. BVerfGE 118, 277, 318[↩]
- vgl. BVerfGE 105, 197, 223 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, a.a.O., S. 226[↩]