§ 15 AufenthG ist eine mitgliedstaatliche Vorschrift im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie, welche die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und 6 AufenthG (Anordnungen von Haft zur Sicherung der Zurückweisung oder des Verbleibs im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung der Abreise nach Verweigerung unerlaubter Einreise) ausschließt.

Die Auffassung, dass die Erforderlichkeit des Transitaufenthalts des Ausländers auf dem Flughafen nach § 15 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG keiner weiteren Nachweise, insbesondere nicht der Feststellung des Vorliegens eines Haftgrunds nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AufenthG bedarf, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs1. Diese beruht darauf, dass das geltende Recht nach der Verweigerung der Einreise die richterliche Anordnung von Zurückweisungshaft oder des weiteren Verbleibs des Ausländers im Transitbereich eines Flughafens als gesetzliche Regelfälle vorsieht. Mit diesen Bestimmungen, die durch Art. 1 Nr. 12 Buchstabe c des 1. Gesetzes zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union vom 18.08.20072 in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden sind, hat der Gesetzgeber eine eigenständige Regelung für die Freiheitsentziehungen und beschränkungen als Folge einer Zurückweisung an der Grenze bzw. im Transitbereich eines Flughafens geschaffen3. Die Vorschriften sind an die Stelle der vormaligen allgemeinen Verweisung in § 15 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aF auf die für die Abschiebungshaft geltende Regelung (§ 62 AufenhG) getreten, die eine Feststellung des Vorliegens einer der in § 62 Abs. 3 AufenthG genannten Haftgründe erforderlich machte.
Ungeachtet dessen zu prüfen ist die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen durch eine über 30 Tage nach seiner Ankunft auf dem Luftweg hinausgehende Aufenthaltsbeschränkung auf den Transitbereich des Flughafens mit dem von der Vorschrift verfolgten Zweck, im Allgemeininteresse die Einreise des Ausländers zu verhindern und die Durchführung der Zurückweisung zu sichern4.
Die Betroffene kann sich auch nicht mit Erfolg gegen die bisherige Auslegung der Vorschriften über die Zurückweisungshaft (§ 15 Abs. 5 AufenthG) und den Transitaufenthalt auf dem Flughafen zur Sicherung der Abreise (§ 15 Abs. 6 AufenthG) wenden. Sie meint, dass die Auslegung dieser Vorschriften gemäß ihrem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger5 widerspreche. Zurückweisungshaft und Transitaufenthalt nach einer verweigerten Einreise dürften wie die Zurückschiebungs- und die Abschiebungshaft gegen eingereiste Ausländer nur bei Vorliegen der in Art. 15 Abs. 1 Buchstaben a und b bezeichneten Voraussetzungen (Fluchtgefahr und Umgehung oder Behinderung der Abschiebung) angeordnet werden. Freiheitsentziehungen, bei denen das nicht festgestellt sei, verletzten den Ausländer in seinen Rechten.
Damit hat sie keinen Erfolg. Der Betroffene kann sich nicht auf Art. 15 der Rückführungsrichtlinie berufen, weil sie auf ihn keine Anwendung findet. Dass es sich so verhält, ist nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu ihrer Umsetzung eindeutig zu beantworten, so dass es keines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf (sog. acte claire)6.
Nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a Halbsatz 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten beschließen, die Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land, See- oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen werden und die nicht anschließend die Genehmigung und das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten. Die Vorschrift erlaubt es, den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie durch mitgliedstaatliches Gesetz einzuschränken7. § 15 AufenthG ist eine mitgliedstaatliche Vorschrift im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie, welche die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und 6 AufenthG8 ausschließt.
Die Rückführungsrichtlinie ist in Deutschland durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.20119 in das nationale Recht umgesetzt worden. Der Betroffene ist im vorliegenden Fall erst zu einem späteren Zeitpunkt (im August 2014) bei dem Versuch der Einreise im Transitbereich eines Großflughafens aufgegriffen worden. Auf ihn findet § 15 AufenthG Anwendung. Die Vorschrift bedurfte bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie keiner inhaltlichen Änderung. Die Frage, ob sich ein Mitgliedstaat auf nationale Vorschriften, die inhaltlich eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie darstellen, auch dann berufen kann, wenn er die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat10, stellt sich hier schon deshalb nicht.
Dass die Vorschriften über die Zurückweisungshaft und den Transitaufenthalt (§ 15 Abs. 5, 6 AufenthG) mitgliedstaatliche Regelungen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie sind, wird zudem bekräftigt durch Art. 8 Abs. 3 Buchstabe c der neu gefassten Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen11. Danach kann ein Asylbewerber in Haft genommen werden, um im Rahmen eines Verfahrens über sein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden. Bei einer Heranziehung der neuen Richtlinie auf die Auslegung der früheren Rückführungsrichtlinie12 ergibt sich, dass mitgliedstaatliche Gesetze, die eine Inhaftierung zur Verhinderung einer illegalen Einreise und zur Sicherung der Zurückweisung auch der Drittstaatsangehörigen ermöglichen, die keinen Asylantrag gestellt haben oder deren Antrag abgelehnt worden ist, nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie zulässig sind.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. März 2016 – V ZB 188/14
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2011 – V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rn. 16[↩]
- BGBl. I S.1970[↩]
- BT-Drs. 16/5065, S. 165[↩]
- vgl. OLG Köln, NVwZ-RR 2009, 82, 83[↩]
- ABl. Nr. L 348 S. 98 – im Folgenden: Rückführungsrichtlinie[↩]
- EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – 283/81 C.I.L.F.I.T., EU:C:1982:335 Rn. 14, f., 16; Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl., § 23 Rn. 27, 29[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013 – C297/12 Filev und Osmani, EU:C:2013:569 Rn. 52 ff., NJW 2014, 527[↩]
- Anordnungen von Haft zur Sicherung der Zurückweisung oder des Verbleibs im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung der Abreise nach Verweigerung unerlaubter Einreise[↩]
- BGBL. I S. 2258[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 28.04.2011 – C61/11 PPU El Dridi, Rn. 49, EU:C:2011:268 Rn. 49 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Generalanwalts vom 01.04.2011, EU:C:2011:205 Rn. 28[↩]
- ABl. Nr. L 180 S. 96 – im Folgenden: Aufnahmerichtlinie[↩]
- zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der beiden Richtlinien bei Stellung eines Asylantrags bis zu dessen Bescheidung: vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 – C534/11 Arslan, EU:C:2013:343 Rn. 49, NVwZ 2013, 1142[↩]