Tricksereien am Fristbeginn – und die Mißbrauchsgebühr

Ein Beispiel aus der Rubrik „Wie man es nicht machen sollte“ liefert eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Tricksereien am Fristbeginn – und die Mißbrauchsgebühr

Der Verfassungsbeschwerdeschriftsatz vom 26. April 2012 ging zunächst am 2. Mai 2012 per Fax unvollständig und ohne Anlagen ein. Auf der ersten Seite des Schriftsatzes ist angegeben, die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts sei „zugegangen am 01.04.2012″. Am 3. Mai 2012 ging, wiederum per Fax, der vervollständigte Verfassungsbeschwerdeschriftsatz mit Anlagen ein. Auf der ersten Seite des an diesem Tag eingegangenen, gleichfalls auf den 26. April 2012 datierten Schriftsatzes findet sich, ohne dass eine Korrektur kenntlich gemacht wäre, anstelle der zuvor gemachten Angabe, nach der der Beschluss des Oberlandesgerichts am 1. April 2012 zugegangen war, nunmehr die Angabe „zugegangen am 03.04.2012″. Im Übrigen entspricht der Schriftsatz, abgesehen von der Vervollständigung um wenige Absätze und die Unterschrift der Prozessbevollmächtigten am Schluss, dem am Vortag eingegangenen.

Mit Schreiben des Allgemeinen Registers des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2012 wurde die Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestünden, weil der Beschluss des Oberlandesgerichts ihr nach ihren eigenen Angaben am 1. April 2012 zugegangen, die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG damit am 2. Mai 2012 abgelaufen, die Verfassungsbeschwerdeschrift aber an diesem Tag nur unvollständig – unter anderem ohne Unterschrift – und ohne Anlagen eingegangen sei.

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Die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers teilte daraufhin mit, dass die am 2. Mai 2012 unvollständig übermittelte Verfassungsbeschwerde auf einem Büroversehen beruhe. Eine Mitarbeiterin der Kanzlei habe in Abwesenheit der Prozessbevollmächtigten den Aktenvorgang vorgefunden und sodann versucht, die Verfassungsbeschwerde im Entwurf per Fax zu übermitteln. Nach Klärung des Missverständnisses sei der Übermittlungsvorgang gestoppt worden. Ausweislich des Faxprotokolls seien keinerlei Seiten übermittelt worden; ansonsten wäre eine entsprechende Mitteilung erfolgt. Nach endgültiger Überarbeitung der Verfassungsbeschwerde sei diese dann am 3. Mai 2012 vollständig übermittelt worden.

Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an und verhängte gegen die Rechtsanwälte eine Mißbrauchsgebühr von 1.000 €:

Nach § 34 Abs. 2 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht eine Gebühr bis zu 2.600 € auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt. Das Bundesverfassungsgericht muss es nicht hinnehmen, an der Erfüllung seiner Aufgaben durch erkennbar substanzlose Verfassungsbeschwerden gehindert zu werden, mit der Folge, dass anderen Bürgern der ihnen zukommende Grundrechtsschutz nur verzögert gewährt werden kann1.

Ein Missbrauch des Verfassungsbeschwerderechts liegt unter anderem dann vor, wenn gegenüber dem Bundesverfassungsgericht falsche Angaben über entscheidungserhebliche Umstände gemacht werden2 oder auf einen ausdrücklichen Hinweis des Allgemeinen Registers auf die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht mit der zumutbaren Sorgfalt reagiert wird3.

Danach ist im vorliegenden Fall die Verhängung einer Missbrauchsgebühr angezeigt. Die Prozessbevollmächtigte musste auf das Schreiben des Allgemeinen Registers hin erkennen, dass aufgrund einer dem Bundesverfassungsgericht übermittelten Angabe, nach der die angegriffene letztinstanzliche Entscheidung am 1. April 2012 zugegangen war, begründete Zweifel an der Einhaltung der Verfassungsbeschwerdefrist bestanden. Spätestens aufgrund einer durch das Hinweisschreiben veranlassten Prüfung musste sie, sofern ihr dies nicht ohnehin bewusst war, auch erkennen, dass dem Bundesverfassungsgericht widersprechende Angaben zum Zugangsdatum des oberlandesgerichtlichen Beschlusses übermittelt worden waren, von denen folglich – mindestens – eine unzutreffend war.

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Unter diesen Umständen auf den Hinweis des Allgemeinen Registers mit Darlegungen zu antworten, die auf der Unterstellung basieren, dass die Verfassungsbeschwerde mit der am 3. Mai 2012 übersandten Version fristgerecht eingegangen war, ohne sich mit einem Wort zu den widersprechenden Angaben zum Datum des Zugangs der Entscheidung des Oberlandesgerichts zu verhalten, verletzt in grober Weise die an einen anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen.

Die Missbrauchsgebühr kann dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers auferlegt werden, wenn die Missbräuchlichkeit diesem zuzurechnen ist4. Dies ist hier der Fall.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 BvR 1142/12

  1. vgl. BVerfGK 6, 219; 10, 94, 97[]
  2. vgl. BVerfGK 14, 468, 470 f., m.w.N.[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.08.2010 – 2 BvR 1465/10[]
  4. vgl. BVerfGK 6, 219, 220>; 14, 468, 471[]