Soweit ein Verwaltungsakt bereits vor Eintritt der Bestandskraft entweder kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist oder von der Behörde für sofort vollziehbar erklärt wird, kann das Verwaltungsgericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen, § 80 Abs. 5 VwGO. Unabhängig von der materiellen Rechtskraftfähigkeit eines solchen Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO bindet dieser die Beteiligten, so dass ein erneuter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bei identischem Streitgegenstand unzulässig ist. Im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO wird allein die Fortdauer der im vorausgehenden Verfahren nach § 80 Abs 5 VwGO getroffenen Entscheidung geprüft, nicht aber deren ursprüngliche Richtigkeit. Die Befugnis zur Änderung von Beschlüssen von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO steht ausschließlich dem Gericht der Hauptsache zu, in die das Beschwerdegericht unzulässigerweise eingreifen würde, wenn es im Beschwerdeverfahren die vom Gericht der Hauptsache abgelehnte Abänderung oder Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO vornähme.

Ein Anspruch eines Beteiligten auf eine erneute gerichtliche Sachentscheidung im Abänderungsverfahren besteht nur unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Im Rahmen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gilt der Verschuldensmaßstab des § 60 Abs. 1 VwGO.
Mit dieser Begründung hat jetzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die Abänderung einer für den Antragsteller negativen Aussetzungsentscheidung abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat zunächst, so das OVG Lüneburg, zu Recht den erneuten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO umgedeutet, weil nur ein solcher Antrag zulässig ist und dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin entspricht. Denn unabhängig davon, ob dem vorausgegangenen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO neben der formellen Rechtskraft auch eine materielle Rechtskraft1 oder nur eine eingeschränkte materielle Rechtskraft2 zukommt, bindet ein solcher Beschluss nach allgemeiner Auffassung jedenfalls die Beteiligten3, so dass ein erneuter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bei – wie hier – identischem Streitgegenstand unzulässig ist.
Die sich aus § 80 Abs. 7 VwGO ergebenden Voraussetzungen für eine Abänderung des vorausgehenden Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO sind indes nicht erfüllt. Im Abänderungsverfahren wird allein die Fortdauer der im Verfahren nach § 80 Abs 5 VwGO getroffenen Entscheidung geprüft, nicht deren ursprüngliche Richtigkeit oder die Feststellung sonstiger behördlicher Befugnisse4. Das Abänderungsverfahren trägt damit dem Umstand Rechnung, dass in manchen Fällen Veränderungen während des Hauptsacheverfahrens eintreten, auf die trotz formeller Rechtskraft und der damit verbundenen Bindungswirkung eines abgeschlossenen Eilverfahrens mit Wirkung für die Zukunft reagiert werden muss. Ein Anspruch eines Beteiligten auf eine erneute gerichtliche Sachentscheidung besteht dabei nur unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Danach hat ein Abänderungsantrag eines Beteiligten nur dann Erfolg, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen werden, die geeignet sind, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen5. Diese Voraussetzungen sind nach dem Vorbringen der Antragstellerin nicht erfüllt. Veränderte Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 Alt. 1 VwGO liegen in erster Linie bei einer Änderung der Sach- oder Rechtslage nach Abschluss des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vor. Der von der Antragstellerin geschilderte Sachverhalt endet mit der Rückkehr ihres Ehemannes aus Nigeria nach Deutschland „Ende April 2009“. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO war hier indes erst mit dem die Beschwerde verwerfenden Beschluss des Senats vom 25. Mai 20096 abgeschlossen. Damit liegen auch nach dem Vorbringen der Antragstellerin keine Umstände vor, die erst nach Abschluss des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entstanden wären, sondern Umstände, die schon im vorausgehenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestanden haben und hätten vorgebracht werden können. Eine Änderung oder Aufhebung der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt dann nach § 80 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 VwGO aber nur in Betracht, wenn der Beteiligte ohne Verschulden gehindert war, diese Gründe im vorausgehenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend zu machen. Gründe, die das Unterlassen der Antragstellerin entschuldigen könnten, sind von ihr nicht dargetan. Ausgehend von dem auch im Rahmen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO anwendbaren Verschuldensmaßstab des § 60 Abs. 1 VwGO7 sind ihrem Vorbringen auch keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die ein Verschulden in Frage stellen könnten. So hat die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sie entgegen ihrer ursprünglichen Behauptung, wonach ihr Ehemann sich habe von ihr trennen wollen, während der gesamten Dauer der Ortsabwesenheit ihres Ehemannes Kontakt zu ihm gehabt und auch von dem Unfall gewusst habe. Selbst wenn man diese neue Darlegung als wahr unterstellt, hätte die Antragstellerin schon im vorausgehenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO umfassende Kenntnis der nun vorgetragenen Umstände gehabt. Einen Grund, warum sie diese Umstände erst jetzt vorbringt, hat sie aber nicht einmal ansatzweise benannt, so dass auch die sich aus § 80 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 VwGO ergebenden Voraussetzungen zur Abänderung des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht vorliegen.
Das OVG kann den erstinstanzlichen Beschluss auch nicht nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO ändern. Diese Befugnis steht auf Grund der ausdrücklichen8 Klarstellung durch das 4. VwGOÄndG ausschließlich dem Gericht der Hauptsache zu9. In diese ausschließliche Kompetenz des Gerichts der Hauptsache würde das Beschwerdegericht unzulässigerweise eingreifen, wenn es im Beschwerdeverfahren die vom Gericht der Hauptsache abgelehnte Abänderung oder Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO vornehmen dürfte.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Juni 2009 – 4 ME 168/09
- so VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.8.1994 – 10 S 1767/94 -, NVwZ-RR 1995, 174, 175[↩]
- so Thüringer OVG, Beschl. v. 3.5.1994 – 1 EO 156/93 -, NVwZ-RR 1995, 179, 180[↩]
- Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 22.12.1994 – 1 M 7516/94 -, NVwZ-RR 1995, 376; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, § 80 Rn. 358; Posser/Wolff, VwGO, § 80 Rn. 194 jeweils m.w.N.[↩]
- VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.12.2001 – 13 S 1824/01 -, NVwZ-RR 2002, 908, 909; Posser/Wolff, a.a.O., Rn. 198; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 80 Rn. 183; wohl weitergehend: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 80 Rn. 103; Bader/Funke-Kaiser, VwGO, 3. Aufl., § 80 Rn. 155[↩]
- vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.1.1999 – 11 VR 13/98[↩]
- 4 ME 129/09[↩]
- vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 387[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung – 4. VwGOÄndG -), BT-Drs. 11/7030, S. 25[↩]
- vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.12.2001 – 13 S 1824/01 -, NVwZ-RR 2002, 908, 910; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.2.1995 – Bs VII 2/95 -, NVwZ 1995, 1004, 1005[↩]