In einem Antrag auf Anordnung der Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO ist nicht darzulegen, dass und weshalb der Zielstaat nach der Dublin-III-VO zur Aufnahme verpflichtet ist, insbesondere auch nicht, ob die Überstellungsfrist noch läuft.

Der Haftrichter ist an die Verwaltungsakte, die der Überstellung zugrunde liegen, gebunden. Er hat deshalb auch nicht zu prüfen, ob die Ausländerbehörde die Überstellung zu Recht betreibt1. Das gilt insbesondere, wenn der Zielstaat seine Rücknahmebereitschaft uneingeschränkt erklärt hat.
Unter (erheblicher) Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO ist nach Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-VO das Vorliegen von Gründen im Einzelfall zu verstehen, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser dem Überstellungsverfahren durch Flucht entziehen könnte.
Die in dieser Vorschrift genannten objektiven Kriterien sind im nationalen Recht der Mitgliedstaaten gesetzlich festzulegen2. Dies war in Deutschland für den hier vom Bundesgerichtshof noch zu beurteilenden Zeitraum noch in § 2 Abs. 15 i.V.m. Abs. 14 AufenthG in der bis zum 20.08.2019 geltenden Fassung erfolgt, in dem bestimmten Anhaltspunkte für (erhebliche) Fluchtgefahr bestimmt sind.
Eine ausdrückliche Erklärung des Ausländers, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle, die nach § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 5 AufenthG aF einen konkreten Anhaltspunkt für Fluchtgefahr ergibt, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten werde3. Eine Erklärung des Ausländers kann auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, in deren Kontext die Erklärung steht, als ausdrückliche Erklärung, sich der Überstellung entziehen zu wollen, zu verstehen sein. Das muss sich aber ohne weitere Nachfrage klar und eindeutig ergeben4.
Eine sonstige konkrete Vorbereitungshandlung, die nach § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 6 AufenthG aF ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr sein kann, ist anzunehmen, wenn bestimmte Handlungen auf eine Absicht des Ausländers hindeuten, sich der Abschiebung zu entziehen, und auch objektiv einen gewichtigen Beitrag zur Vorbereitung einer möglichen Flucht darstellen. Zudem dürfen die Vorbereitungshandlungen nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können5. Eine solche Handlung kann im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO darin liegen, dass der Ausländer sich vorübergehend verborgen hält, um eine angekündigte oder unangekündigte Abschiebung zu vereiteln. Eine solche Verhaltensweise des Ausländers dient nämlich dazu, die Rückführung zu verhindern. Sie steht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der konkreten Abschiebung und hat ein vergleichbares Gewicht wie die in § 2 Abs. 14 Nr. 1 bis 5 AufenthG aF beschriebenen Handlungen6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Mai 2020 – XIII ZB 71/19
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19 12[↩]
- EuGH, Urteil vom 15.03.2017, Rs. – C-528/15, NVwZ 2017, 777 Rn. 45 – Al Chodor[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 12.05.2016 – V ZB 27/16 5; und vom 20.10.2016 – V ZB 13/16 5[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 23.01.2018 – V ZB 53/17, InfAuslR 2018, 187 Rn. 12; und vom 13.09.2018 – V ZB 151/17, Asylmagazin 2018, 459 Rn. 10[↩]
- BGH, Beschluss vom 14.01.2020 – XIII ZB 1/19 13[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.04.2019 – V ZB 105/18 5[↩]