Für die Zuordnung eines Stoffes zu den Pflanzenschutzmitteln ist allein dessen Zweckbestimmung maßgeblich, nicht aber die Art seiner Herstellung oder seine chemischen Eigenschaften.

Bereits das Fehlen einer Zulassung des Pflanzenschutzmittels kann den Erlass pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen nach § 34a PflSchG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO rechtfertigen. Das gilt nach Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg auch für althergebrachte Mittel – etwa wenn Calciumcarbit gegen Wühlmäuse oder Maulwürfe angeboten wird.
Auch wenn auf den Verkaufsverpackungen zusätzlich noch der Aufdruck „Kein Pflanzenschutzmittel“ aufgebracht war, geht das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht davon aus, dass das Calciumcarbit als Pflanzenschutzmittel in den Verkehr gebracht worden ist, obwohl die hierfür erforderliche Zulassung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG fehlt, und das dies dem Antragsteller zuzurechnen ist: die Zweckbestimmung eines Produkts ergebe sich nicht nur aus der offiziellen Kennzeichnung, sondern in gleicher Weise auch aus der sonstigen Auslobung in schriftlicher oder mündlicher Form. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die für die Zuordnung als Pflanzenschutzmittel maßgebliche Zweckbestimmung eines Produkts sich aus der stofflichen Zusammensetzung, seiner Aufmachung und der Art seines Vertriebs erschließt [1].
Für die tatsächliche Auslobung des Calciumcarbit als Pflanzenschutzmittel gegen Wühler spreche, so die Lüneburger Richter, die Produktinformationen zur Verwendbarkeit des Produkts, in der sich unter anderem die Hinweise „gegen Wühler z.B. unter Terrassen und Gehwegen“ und „bewährtes Hausmittel zum Einsatz gegen Wühler“ finden. Einem durchschnittlich informierten Verbraucher als potentieller Kunde werde damit suggeriert, dass das Produkt generell für die Vergrämung von Wühlern an deren typischen Aufenthaltsorten geeignet sei. Der Zusatz „z.B. unter Terrassen und Gehwegen“ enthält gerade keine Beschränkung auf diesen Anwendungsbereich, sondern beinhaltet eine nicht abschließende, exemplarische Aufzählung. Dementsprechend ist dieser Zusatz in der Produktinformation nicht geeignet, die damit verbundene Zweckbestimmung des Produkts als Pflanzenschutzmittel in Frage zu stellen. Ebenso uneingeschränkt und offen ist der o.a. Hinweis „bewährtes Hausmittel zum Einsatz gegen Wühler“.
Dass das Calciumcarbit auch in anderen Anwendungsbereichen (etwa zum Betreiben von Karbidlampen oder zum Schweißen) verwendet werden kann, für das es keiner Zulassung als Pflanzenschutzmittel bedarf, hat nicht zur Folge, dass dieses Produkt in der konkreten Auslobung nicht als Pflanzenschutzmittel im Sinne des § 2 Nr. 9 PflSchG anzusehen wäre. Denn für die Zuordnung eines Stoffes zu den Pflanzenschutzmitteln ist allein die Zweckbestimmung des Stoffes oder der Zubereitung entscheidend. Nicht maßgeblich sind dagegen die Art der Herstellung oder die chemischen Eigenschaften eines Stoffes oder einer Zubereitung [2].
Auch ist der Antragsteller für die Zweckbestimmung des Calciumcarbits als Pflanzenschutzmittel verantwortlich. Die Zweckbestimmung dieses Produkts ergibt sich maßgeblich aus den Produktinformationen, die der Antragsteller für die Vermarktung zur Verfügung gestellt hat.
Des Weiteren hat der Antragsteller eingewendet, die Antragsgegnerin berufe sich zu Unrecht auf bestimmte Schutzziele und auf die Gefahrenabwehr. Diese setze die Möglichkeit von Gefahren voraus. Der Stoff Calciumcarbit sei aber völlig ungefährlich. Dieser Stoff könne ohne jegliche Beschränkung in jeglicher Verpackung frei gehandelt werden. Insoweit habe bereits das Pflanzenschutzamt der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Juli 1993 ausgeführt, dass das vertriebene Calciumcarbit mit der veränderten Auslobung nicht als zulassungspflichtiges Pflanzenschutzmittel gelte und daher aus pflanzenschutzrechtlicher Sicht vertrieben werden dürfe. Das betreffende Produkt sei in jeder Weise frei verkäuflich, so dass das Vorhandensein gewisser geringer Restmengen des Produkts keinerlei Gefahrensituation darstelle, die einen sofortigen Vollzug vor endgültiger Entscheidung in der Hauptsache rechtfertige.
Auch diese Einwände verhalfen der Beschwerde vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht aber nicht zum Erfolg. Es unterliegt, so das Gericht, keinen rechtlichen Bedenken, dass die angefochtenen Verfügungen Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind. Eine Maßnahme dient dann der Gefahrenabwehr, wenn eine konkrete Gefahr abgewendet werden soll. Dabei ist unter Gefahr eine Sachlage zu verstehen, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Eigentum und Vermögen des Einzelnen insbesondere auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung [3]. Es ist deshalb mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der pflanzenschutzrechtlichen Anordnungen der Antragsgegnerin hier nicht entscheidungserheblich, ob von dem beanstandeten Produkt – hier Calciumcarbit – tatsächlich eine Gefahr für Leben und Gesundheit ausgeht. Denn es steht fest, dass ein Inverkehrbringen des Produkts als Pflanzenschutzmittel mangels Zulassung gegen §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 6 PflSchG verstößt und damit die Rechtsordnung beeinträchtigt. Die Maßnahme stellt eine solche der Gefahrenabwehr dar, weil durch sie verhindert werden soll, dass das Calciumcarbit künftig als Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht wird. In gleicher Weise dient es der Gefahrenabwehr, die Abgabe (von im Handel noch vorhandenen Restmengen) an den Endverbraucher zu verhindern – wie dies in den Jahren 2007 und 2008 geschehen ist -.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. September 2010 – 10 ME 108/10
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.09.1996 – BVerwG 3 B 43.96, Buchholz 424.4 PflSchG Nr. 4 = NVwZ-RR 1997, 215[↩]
- vgl. Schiwy, Deutsches Pflanzenschutzrecht, Kommentar, Stand: September 2009, § 2 Rdnr. 13; für den Fall einer mehrfachen Zweckbestimmung eines Produkts vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.08.2000 – 21 A 1491/98, RdL 2001, 74 = AgrarR 2001, 292[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, BVerfGE 69, 315; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehrrecht, 9. Aufl. 1986, § 15 Nr. 2 Buchst. c; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechtes, 4. Aufl. 2007, Rdnr. 53[↩]
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