Klagebefugnis eines Umweltverbandes bei einem Luft­rein­hal­te­plan

Nach einem an uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben ori­en­tier­ten Ver­ständ­nis ge­währt § 47 Abs. 1 BIm­SchG einem an­er­kann­ten Um­welt­ver­band ei­ge­ne Rech­te im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO1.

Klagebefugnis eines Umweltverbandes bei einem Luft­rein­hal­te­plan

Der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der seiner Rechtsnatur nach einer Verwaltungsvorschrift ähnlich ist2, ist im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung3 hat das Verwaltungsgericht die in § 42 Abs. 2 VwGO normierte Sachurteilsvoraussetzung der Klagebefugnis entsprechend auch auf die allgemeine Leistungsklage angewendet. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund von Art.19 Abs. 4 GG ist er, wenn auch nicht ausschließlich (siehe § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO), so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet4. Wollte man die allgemeine Leistungsklage – im Gegensatz zur Verpflichtungsklage als einer besonderen Leistungsklage – von dieser Grundentscheidung ausnehmen, käme es zu Wertungswidersprüchen, die in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnten. Das im Verfahren aufgeworfene Sachproblem der Zulässigkeit einer Verbandsklage ist demnach ungeachtet der Rechtsnatur des erstrebten behördlichen Handelns und folglich der prozessualen Einordnung des Rechtsschutzbegehrens zu bewältigen.

Bei der Prüfung, ob dem anerkannten Umweltverband die Möglichkeit einer Verbandsklage eröffnet ist, hat das Verwaltungsgericht sich zu Recht an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs orientiert.

Im Urteil vom 08.03.2011 hat sich der Europäische Gerichtshof zu den Rechtswirkungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25.06.1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen, Aarhus-Konvention – AK)5 verhalten. Die Aarhus-Konvention ist nicht nur von allen Mitgliedstaaten der EU, sondern auch von der EU selbst ratifiziert worden6. Als sogenanntes gemischtes Abkommen ist sie Teil des Unionsrechts und als solcher war sie Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 08.03.2011 im Verfahren C-240/09.

Der Europäische Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die EU und damit der Gerichtshof jedenfalls dann für die Umsetzung und Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK zuständig sind, wenn es um Fragen der Beteiligung und des Rechtsschutzes in Verfahren geht, die inhaltlich die Durchsetzung des EU-Umweltrechts zum Gegenstand haben. Sodann hat er ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 3 AK wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts derzeit keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber gleichwohl verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.

Die nationalen Gerichte sind gehalten, die Entscheidung als Teil des Unionsrechts bei ihren rechtlichen Erwägungen zu beachten7. Die Kritik, der sich die Argumentation des Urteils ausgesetzt sieht, ändert daran nichts. Denn die Grenzen zum „ausbrechenden Rechtsakt“, etwa wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV, dessen Annahme im Übrigen die Pflicht zur „Remonstration“ in Gestalt eines neuerlichen Vorabentscheidungsverfahrens nach sich zöge8, sind ersichtlich nicht überschritten9.

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Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Auslegungsleitlinie erfasst auch die vorliegende Fallkonstellation. Die Luftreinhalteplanung nach § 47 Abs. 1 BImSchG10 dient der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa11. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten kommt es allein darauf an.

Das zutreffende Verständnis einer im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Entscheidung (Auslegungsurteil) erschließt sich zwar vor dem Hintergrund des Streitgegenstands des Ausgangsverfahrens. Darin ging es um die verfahrensrechtliche Stellung der klagenden Vereinigung. Den Urteilsgründen ist indessen nichts zu entnehmen, was darauf schließen lassen könnte, dass sich die Verpflichtung der nationalen Gerichte, Auslegungsspielräume zugunsten von Klagerechten der Umweltverbände zu nutzen, allein auf Verfahrensrecht bezieht und lediglich bereits eingeräumte Mitwirkungsrechte prozessual verstärkt werden sollen12.

Der Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten auf, nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des nationalen Rechts auch Umweltverbänden einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten. Zu Unrecht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass diesem Anliegen über die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO Rechnung getragen werden kann.

Diese Regelungsalternative erlaubt Ausnahmen vom Erfordernis der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten. Sie ist jedoch als solche keine im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs interpretationsfähige Norm, sondern lediglich eine Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel, die durch eine Entscheidung des zuständigen Normgebers umgesetzt werden muss. § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO selbst ist allerdings der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts als andere gesetzliche Regelung eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können. Erst auf der Grundlage einer solchen normativen Entscheidung stellt sich die Frage nach unionsrechtlich dirigierten Auslegungsspielräumen.

Eine die Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel ausfüllende Norm, die es vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erweiternd auslegt, benennt das Verwaltungsgericht nicht. Eine einer solchen Auslegung zugängliche Vorschrift ist auch nicht vorhanden.

Eine besondere Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist im nationalen Recht nur in eng begrenzten Bereichen normiert worden. Die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind nicht einschlägig.

Der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Gleiches gilt für § 1 UmwRG. Die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen von Absatz 1, der vermittelt über Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten13 i.d.F. der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.05.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten14 auch der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 AK dient15, sind nicht gegeben.

Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes kann nicht im Wege der Analogie auf Art. 9 Abs. 3 AK erstreckt werden16. Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.

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Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz dient, wie sich bereits aus seiner amtlichen Bezeichnung (Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG) sowie der amtlichen Anmerkung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorschriften ergibt, der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK. Demgegenüber hat der Gesetzgeber ausweislich der Denkschrift zur Ratifizierung der Aarhus-Konvention hinsichtlich der Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht gesehen17. Insoweit hat sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden. Daran hat sich auch mittlerweile nichts geändert. Ungeachtet der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 08.03.2011 hat der Gesetzgeber an der ausdrücklichen Beschränkung des Anwendungsbereichs auch im Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21.01.201318 festgehalten. Darin werden lediglich die durch die Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 12.05.201119 geforderten Änderungen mit dem Ziel einer „lückenlosen 1:1-Umsetzung“ von Art. 10a UVP-RL sowie von Art. 9 Abs. 2 AK eingefügt20; eine Ausdehnung auf die von Art. 9 Abs. 3 AK erfassten Sachverhalte wird damit ausgeschlossen.

Eine planwidrige Regelungslücke kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil vieles dafür spricht, dass die vom Gesetzgeber bei der Ratifizierung der Aarhus-Konvention vertretene Rechtsansicht zur fehlenden Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts unzutreffend ist. Sie steht mit dem sich auf internationaler Ebene herausbildenden Verständnis der Vertragspflichten nicht in Einklang.

Mit dem Compliance Committee haben die Vertragsparteien auf der Grundlage von Art. 15 AK ein Gremium errichtet, das über die Einhaltung des Abkommens wachen soll, ohne jedoch ein förmliches Streitschlichtungsverfahren nach Art. 16 AK zu präjudizieren21. Durch dessen Spruchpraxis soll das Abkommen für alle Vertragsparteien klare Konturen erhalten. Auch wenn sich das Compliance Committee mit Empfehlungen begnügt, kommt den darin geäußerten Rechtsansichten gleichwohl bedeutendes Gewicht zu; das folgt nicht zuletzt daraus, dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind22.

Nach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer dar, als insbesondere von Deutschland angenommen. In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der sogenannten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK dargelegt23 . Dabei betont es zwar – auch im Anschluss an die während der Zusammenkunft der Vertragsparteien vom 25. bis 27.05.2005 angenommene Entscheidung II/2, die in Rn. 14 bis 16 ein ersichtlich rechtsschutzfreundliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK anmahnt24 – zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass nach Auffassung des Compliance Committee den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vertragsparteien müssen zwar kein System der Popularklage einführen, so dass jedermann jegliche umweltbezogene Handlung anfechten kann. Die Formulierung „sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“ kann aber nach Auffassung des Compliance Committee die Einführung oder Beibehaltung solcher strikter Kriterien nicht rechtfertigen, die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltverbände an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen. Die Formulierung deutet nach Ansicht des Compliance Committee vielmehr auf die Selbstbeschränkung der Vertragsparteien, keine zu strengen Kriterien aufzustellen. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen; er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist25.

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Wenn danach das „Ob“ einer umweltrechtlichen Verbandsklage durch das Abkommen entschieden ist, behalten die Vertragsstaaten gleichwohl einen Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich des „Wie“. Die hiernach ausstehende Umsetzung einer völkervertragsrechtlichen Verpflichtung durch den nationalen Gesetzgeber steht einer planwidrigen Regelungslücke nicht gleich.

Eine Auslegung contra legem – im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung – fordert das Unionsrecht nicht26. Zu Unrecht beruft sich der Umweltverband auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 200827. Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion oder Extension einer Vorschrift des nationalen Rechts setzt jedenfalls eine hinreichend bestimmte, nämlich klare, genaue und unbedingte, im Grundsatz unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Vorschrift voraus, an der es hier nach Scheitern des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten28 mangels unionsrechtlicher Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK (noc)) fehlt.

Hieraus ergibt sich zugleich, dass auch im Unionsrecht eine solche auslegungsfähige Norm nicht auszumachen ist. Das folgt bereits zwingend aus der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar anwendbar ist. Eine nicht unmittelbar anwendbare Bestimmung kann aber nicht Anknüpfungspunkt einer Auslegung sein, die diese Norm der Sache nach anwendbar macht. Eine solche Argumentation wäre zirkulär29.

Der festgestellte Rechtsverstoß ist indessen im vorliegenden Fall nicht erheblich. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Umweltverbands im Ergebnis zu Recht bejaht. Sie folgt aus § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Der Umweltverband kann geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 39. BImSchV30 genügt, in seinen Rechten verletzt zu sein. § 47 Abs. 1 BImSchG räumt nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbänden das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen.

Nach § 47 Abs. 1 BImSchG hat die zuständige Behörde, wenn die durch eine Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Entsprechendes gilt, soweit eine Rechtsverordnung die Aufstellung eines Luftreinhalteplans zur Einhaltung von Zielwerten regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.

Mit dieser Vorschrift verfolgt das Luftqualitätsrecht zwei sich überschneidende Schutzzwecke: Mit der Umsetzung der festgelegten Luftqualitätsziele sollen schädliche Auswirkungen sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt insgesamt vermieden, verhütet oder verringert werden (Art. 1 Nr. 1 RL 2008/50/EG).

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Aus dem vom Gesetz bezweckten Schutz der menschlichen Gesundheit folgt ein Klagerecht für die von den Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen natürlichen Personen. Das ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt. Seine zu den Aktionsplänen nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27.09.1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität31 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.09.200332, § 47 Abs. 2 BImSchG a.F. ergangene Rechtsprechung33 ist in dieser Hinsicht ohne Weiteres auch auf die Luftreinhaltepläne nach Art. 23 Abs. 1 RL 2008/50/EG, § 47 Abs. 1 BImSchG n.F. zu übertragen34.

Der Umweltverband kann als juristische Person in seiner Gesundheit nicht betroffen sein; die Verletzung eines aus der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit folgenden subjektiven Rechts auf Einhaltung der Immissionsgrenzwerte kann er nicht geltend machen. Nach dem hergebrachten Begriffsverständnis des subjektiven Rechts würde Entsprechendes gelten, soweit das Luftqualitätsrecht dem Schutz der Umwelt als solcher und damit einem Allgemeininteresse dient.

Das Unionsrecht gebietet indessen eine erweiternde Auslegung der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen.

Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht zusteht35. Die Kriterien für die Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für eine subjektive, klagefähige Rechtsposition hat er nicht näher erläutert. Die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten über die Geltendmachung individueller Rechtspositionen hinaus ist darin indessen angelegt.

Wird die Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt36, so folgt aus dieser Rechtsprechung gleichwohl, dass sich die juristische Person – gemessen an der in Rn. 38 des Urteils betonten Schutzrichtung der Vorschrift – ein fremdes Interesse, so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter, zum eigenen Anliegen machen darf.

Die in dieser Weise vom Unionsrecht zugebilligte Rechtsmacht ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO im Interesse des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Effektivitätsgebots als subjektives Recht anzuerkennen37. Sie bestimmt zugleich das Verständnis der zur Umsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Vorschriften und hat eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts zur Folge. Allein ein solches Verständnis trägt der Entwicklung des Unionsrechts Rechnung. Es ist von Anfang an von der Tendenz geprägt gewesen, durch eine großzügige Anerkennung subjektiver Rechte den Bürger auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts zu mobilisieren. Der Bürger hat damit zugleich – bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts – eine „prokuratorische“ Rechtsstellung inne. Diese kann auch in den Vordergrund rücken38.

Zu den unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen durch § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht eingeräumt ist, gehören auch die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbände.

Eine Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend, dass neben unmittelbar betroffenen natürlichen Personen auch Umweltverbände das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, ist durch Art. 23 RL 2008/50/EG und Art. 9 Abs. 3 AK geboten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 08.03.2011 in Bezug auf Sachverhalte, die – wie hier die Aufstellung von Luftreinhalteplänen – dem Unionsrecht unterliegen, für Umweltverbände einen weiten Zugang zu Gericht gefordert; er hat dies damit begründet, dass der „Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte“ gewährleistet werden müsse39. Ausgehend hiervon müssen sich die Klagerechte, die der Unionsgerichtshof in seinem Urteil vom 25.07.200840 auf dem Gebiet der Luftreinhaltung anerkannt hat, auch auf Umweltverbände erstrecken. Eine grundsätzliche Verneinung derartiger Rechte von Umweltverbänden wäre zudem, wie oben dargelegt, unvereinbar mit der Spruchpraxis des Compliance Committee zu Art. 9 Abs. 3 AK.

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Weder das Unionsrecht noch Art. 9 Abs. 3 AK verlangen jedoch, jedem Umweltverband ein Recht auf Einhaltung der zwingenden Vorschriften bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zu gewähren. Umweltverbände können – nicht anders als natürliche Personen – Träger von materiellen subjektiven Rechten nur sein, wenn sie Teil nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind. Als „betroffene Öffentlichkeit“ definieren Art. 2 Nr. 5 AK und – für die Umweltverträglichkeitsprüfung – inhaltlich entsprechend Art. 3 Nr. 1 RL 2003/35/EG die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse (siehe auch Art. 2 Abs. 3 RL 2003/35/EG). Diese Vereinigungen sollen sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen können.

Welche Voraussetzungen ein Umweltverband nach innerstaatlichem Recht erfüllen muss, um berechtigt zu sein, sich die Belange des Umweltschutzes bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zum eigenen Anliegen zu machen, ist nicht ausdrücklich geregelt. § 3 UmwRG regelt lediglich, welche Umweltverbände Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz einlegen können. Dieser Vorschrift ist jedoch die Grundentscheidung zu entnehmen, dass nur die nach dieser Vorschrift anerkannten Umweltverbände berechtigt sein sollen, vor Gericht geltend zu machen, dass dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verletzt worden seien. Auch die Mitwirkungsrechte und Rechtsbehelfsbefugnisse nach §§ 63, 64 BNatSchG sind an die Anerkennung nach § 3 UmwRG geknüpft. Ein normativer Anhaltspunkt dafür, dass bei Aufstellung von Luftreinhalteplänen das grundsätzlich auch Umweltverbänden eingeräumte Recht, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein könnte, sind nicht ersichtlich.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. September 2013 – 7 C 21.12

  1. im An­schluss an EuGH, Ur­tei­le vom 25.07.2008 – C-237/07 [Ja­n­ecek], Slg. 2008, I-6221; und vom 08.03.2011 – C-240/09 [Le­so­och­ranárske zu­sku­pe­nie VLK -„slo­wa­ki­scher Braun­bär“-], Slg. 2011, I-1255[]
  2. BVerwG, Beschlüsse vom 29.03.2007 – 7 C 9.06, BVerwGE 128, 278 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 Rn. 27 und vom 11.07.2012 – 3 B 78.11, Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 10; Jarass, BImSchG, 9. Aufl.2012, § 47 Rn. 47[]
  3. zuletzt etwa BVerwG, Urteil vom 15.06.2011 – 9 C 4.10, BVerwGE 140, 34 = Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 161[]
  4. vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29.04.1993 – 7 A 3.92, BVerwGE 92, 263, 264 = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr.196 S. 46[]
  5. Gesetz vom 09.12.2006, BGBl II S. 1251[]
  6. Beschluss des Rates vom 17.02.2005, ABl EU Nr. L 124 S. 1[]
  7. vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 104[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286, 303 f.[]
  9. vgl. Berkemann, DVBl 2013, 1137, 1143 f.[]
  10. i.d.F. des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 31.07.2010, BGBl I S. 1059[]
  11. ABl EU Nr. L 152 S. 1[]
  12. so auch Berkemann, a.a.O. S. 1145; Schlacke, ZUR 2011, 312, 315[]
  13. ABl Nr. L 175 S. 40[]
  14. ABl EU Nr. L 156 S. 17[]
  15. vgl. BT-Drs. 16/2497 S. 42[]
  16. so auch Schlacke, a.a.O. S. 316; unklar Kahl, JZ 2012, 667, 673[]
  17. BT-Drs. 16/2497 S. 42, 46[]
  18. BGBl I S. 95[]
  19. EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C-115/09, Trianel, Slg. 2011, I-3673[]
  20. BT-Drs. 17/10957 S. 11[]
  21. siehe zur Arbeitsweise des Compliance Committee The Aarhus Convention: An Implementation Guide, Second Edition, 2013, S. 234 ff.[]
  22. siehe Implementation Guide, S. 238[]
  23. grundlegend ACCC/C/2005/11, Belgien vom 16.06.2006, Rn. 35 ff.; ACCC/C/2006/18, Dänemark vom März 2008 Rn. 29 ff.; ACCC/C/2008/32 Part I, EU vom 14.04.2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48, Österreich vom 16.12.2011, Rn. 68 ff.; dazu auch Implementation Guide, S.197 ff., 207 f.[]
  24. ECE/MP.PP/2005/2/Add.3 vom 08.06.2005[]
  25. ACCC/C/2010/48 Rn. 71 ff.[]
  26. vgl. EuGH, Urteile vom 04.07.2006 – C-212/04, Adeneler – Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 und vom 16.06.2005 – C-105/03, Pupino – Slg. 2005, I-5285 Rn. 44, 47[]
  27. BGH, Urteil vom 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27[]
  28. vom 24.10.2003 – KOM(2003) 624 – endgültig[]
  29. vgl. Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1042 f.; ein gesetzgeberisches Handeln fordert wohl auch Epiney, EurUP 2012, 88, 89; a.A. wohl Berkemann, a.a.O. S. 1147 f.[]
  30. Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV) vom 02.08.2010, BGBl I S. 1065[]
  31. ABl EG Nr. L 296 S. 55[]
  32. ABl EU Nr. L 284 S. 1[]
  33. EuGH, Urteil vom 25.07.2008 – C-237/07, Janecek – Slg. 2008, I-6221 Rn. 42[]
  34. vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG § 47 Rn. 29e; Jarass, BImSchG, 9. Aufl.2012, § 47 Rn. 50 m.w.N.; Köck/Lehmann, ZUR 2013, 67, 72[]
  35. BVerwG, Urteil vom 25.07.2008 a.a.O. Rn. 39[]
  36. so den EuGH verstehend Ziekow, NVwZ 2010, 793, 794[]
  37. vgl. etwa Gärditz, VwGO, 2013, § 42 Rn. 69 f. m.w.N.[]
  38. siehe hierzu – mit verschiedenen Akzentuierungen – etwa Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR Bd. 1, 2. Aufl.2012, § 7 Rn. 91 ff., 98 ff., 112 ff.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 21a; Schmidt-Aßmann, in: Gedächtnisschrift Brugger, 2013, S. 411 ff.; Hong, JZ 2012, 380, 383 ff.; Gärditz, EurUP 2010, 210, 219 ff.[]
  39. EuGH, a.a.O. Rn. 48, 51[]
  40. EuGH, a.a.O.[]
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