Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung – und der Grundsatz der Subsidiarität

Nach einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist regelmäßig die vollständige Beschreitung des Rechtswegs in der Hauptsache erforderlich.

Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung – und der Grundsatz der Subsidiarität

Vorher ist die Beschwerdeführer zwar ggfs. beschwerdebefugt, doch steht einer Entscheidung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entgegen.

Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 129, 78, 92; stRspr). Nach einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist es daher in der Regel erforderlich, auch den Rechtsweg in der Hauptsache vollständig zu beschreiten1. Zwar steht hier der Beschwerdeführerin, einer Hochschule, gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kein Rechtsbehelf zur Verfügung. Das Oberverwaltungsgericht hat allerdings nur die vorläufige Zulassung zum Studium angeordnet. Damit bleibt der Hochschule die Möglichkeit, die von den Bewerberinnen und Bewerbern gleichzeitig mit den Anträgen auf Eilentscheidung durch die Gerichte eingelegten Widersprüche gegen die Nichtzulassung zum Studium zu bescheiden. Lässt sie die betroffenen Studierenden dann nicht zu, müssten diese gegen die Bescheide den Rechtsweg beschreiten. Damit besteht die Möglichkeit, die fachrechtlichen Fragen in einem fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu klären, bevor entscheidungserhebliche verfassungsrechtliche Fragen – gegebenenfalls im Rahmen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG – zu beantworten wären.

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Die Durchführung des Hauptsacheverfahrens ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil dies unzumutbar wäre. Das ist der Fall, wenn eine Klage im Hinblick auf die Rechtsprechung der Fachgerichte aussichtslos erscheint, wenn Grundrechtsverletzungen geltend gemacht werden, die sich spezifisch auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beziehen2, oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und die Voraussetzungen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gegeben sind3. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das fachgerichtliche Verfahren ist nicht aussichtslos, weil es an einer gefestigten Rechtsprechung zum entscheidungserheblichen Kapazitätsrecht fehlt. Die Rügen der Beschwerdeführerin betreffen auch keine Besonderheiten des Eilverfahrens. Sie macht geltend, die Gerichte hätten das Kapazitätsrecht unter Missachtung von Art. 5 Abs. 3 GG angewendet. Dieser Mangel könnte, was auch das Oberverwaltungsgericht betont4, im Hauptsacheverfahren beseitigt werden. In diesem wäre auch die im Eilverfahren ausdrücklich nicht abschließend geklärte tatsächliche Frage zu beantworten, ob ein mit dem hier in Rede stehenden Bachelorstudiengang vergleichbarer Studiengang im Bundesgebiet zulassungsfrei studiert werden kann. Sollten die außerhalb der vereinbarten Kapazität zugelassenen Studierenden während des Hauptsacheverfahrens ihr Studium beenden, kann die Beschwerdeführerin eine Entscheidung über die Begründetheit der Klage auf Zulassung erreichen, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse an einer solchen gerichtlichen Entscheidung besitzt5. Für ein solches spricht die seit den 90er Jahren stark veränderte, für das Kapazitätsrecht relevante Situation der Hochschulen6, deren verfassungsrechtliche Bewertung streitig ist.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 590/15

  1. vgl. BVerfGE 104, 65, 71; BVerfG, Beschluss vom 15.10.2015 – 1 BvR 1645/14 5[]
  2. wie im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.09.2008 – 81/08, 81 A/08[]
  3. vgl. BVerfGE 79, 275, 279; 104, 65, 71; 114, 258, 279 f.[]
  4. vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 09.02.2015 – 3 Nc 58/14, S. 6, 2.[]
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2010 – BVerwG 6 C 20.09 17 m.w.N.[]
  6. vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium, Drs. 8639-08 vom 04.07.2008, S. 102; Entschließung des 204. Plenums der Hochschulrektorenkonferenz vom 14.06.2005, Empfehlung zur Sicherung der Qualität von Studium und Lehre in Bachelor- und Masterstudiengängen, III.B.[]