Privates Interesse am Fortbestand einer Baulast im Sinne des § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO (hier: Vereinigungsbaulast) ist nicht jedes beliebige, sondern nur ein schutzwürdiges Interesse. Ein langfristiges „Vorratsinteresse“ reicht nicht aus; die „baurechtliche Relevanz“ muss fortbestehen.

Nach niedersächsischem Recht ist der Baulastbegünstigte zur Klage gegen den Verzicht auf eine Baulast und deren Löschung befugt [1]. Im Unterschied zu den Bauordnungen der anderen Länder, die lediglich auf ein öffentliches Interesse abstellen, kann die Bauaufsichtsbehörde nach § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO nur dann auf eine Baulast verzichten, wenn ein öffentliches und ein privates Interesse an der Baulast nicht mehr besteht. Auch für die vor 1995 geltende Gesetzesfassung, die auf ein privates Interesse noch nicht abstellte, ist die Klagebefugnis im Übrigen schon bejaht worden [2].
Die Voraussetzungen für einen Verzicht bestimmen sich in Niedersachsen nach § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO. Zu einem Antrag auf Verzicht im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift ist auch die als Bauaufsichtsbehörde tätige Gemeinde berechtigt, wenn sie – wie hier – Eigentümerin eines der beteiligten Grundstücke ist (Gemeindestraße). Keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken begegnet es, dass bei der nachträglichen Aufteilung eines der beteiligten Grundstücke nur teilweise auf die Vereinigungsbaulast verzichtet wird, wenn sich der Sicherungszweck nicht auf alle Teilflächen bezieht. Im hier vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall war Anlass für die Bewilligung und Eintragung der Vereinigungsbaulast, dass vorhandene Gebäude auf der jetzigen Grenze zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/6 und die Straßenanbindung rechtlich abgesichert werden sollten. Dies ist nunmehr auch ohne Vereinigungsbaulast für den Grenzbereich zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/18 gewährleistet. Auch ein schutzwürdiges privates Interesse am Fortbestand dieses Teil der Vereinigungsbaulast besteht nicht mehr.
Eine Einschränkung auf „schutzwürdige“ Interessen ist unter zwei Gesichtspunkten geboten:
Sie kann sich schon daraus ergeben, dass eine Baulast „vorhabenbezogen“ bewilligt und eingetragen wird [3]. Geschieht dies ausdrücklich, wird damit das nach § 92 Abs. 3 NBauO maßgebliche Interesse abschließend bestimmt. Ob sich der Bezug (nur) zu einem bestimmten Vorhaben auch konkludent ergeben kann, ist umstritten [4]. Für sie kann der enge Zusammenhang mit einem konkreten Vorhaben sprechen, wenn nicht Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Baulast über dieses Vorhaben hinausgreifen sollte [5].
Auch im vorliegenden Fall sollte durch die Baulast ein konkretes baurechtliches Problem gelöst werden. Dass damit zugleich andere Zwecke verfolgt wurden, ist nicht hervorgetreten. Schon dies spricht tendenziell gegen die Schutzwürdigkeit eines Interesses am Fortbestand der Baulast für solche anderen Zwecke.
Unabhängig hiervon folgt aus der grundsätzlichen Anerkennung eines subjektivöffentlichen Rechts des Baulastbegünstigten nach niedersächsischem Recht nicht, dass sich jedes wie auch immer geartetes privates Interesse durchsetzen muss. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der niedersächsische Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Berücksichtigung des privaten Interesses das in der Musterbauordnung ausgeformte Institut der Baulast, das in seinen wesentlichen Grundzügen identisch von den Bauordnungen der Länder übernommen worden ist, für seinen Bereich grundsätzlich verändern wollte. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass hiernach in Niedersachsen Baulasten im Sinne des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 1994 [6] „gleichsam auf Vorrat“, also ohne Bezug auf ein absehbares Bauvorhaben vorgehalten werden können sollen.
Dieses Verständnis der Rechtslage steht nicht in Widerspruch zur Kommentierung bei GrosseSuchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert [7]. Dort heißt es zwar zunächst, eine Baulast könne ohne konkreten Anlass „auf Vorrat“ übernommen werden. Bei näherer Betrachtung wird hier jedoch ein sehr enger „Vorratsbegriff“ verwandt, denn es heißt weiter, es dürfe nur nicht ausgeschlossen sein, dass die Baulast in naher Zukunft baurechtliche Bedeutung gewinne. Das ist auch sachgemäß, denn der Bebauung eines Grundstücks können längere, auch wechselhaft verlaufende Planungsphasen vorausgehen, in denen bereits das Bedürfnis bestehen kann, sich Optionen offen zu halten, welche die Nachbargrundstücke berühren. Damit befürwortet die Kommentierung jedoch noch nicht die Zulässigkeit einer langfristigen, von konkreten Bauwünschen losgelösten Vorratshaltung an Baulasten.
Will sich ein Bauherr in diesem Sinne langfristig Bebauungsoptionen für sein eigenes Grundstück „auf Kosten“ eines Nachbargrundstücks sichern, stehen ihm hierfür zuvörderst zivilrechtliche Mittel zu Gebote. Es kann – gegen entsprechende Gegenleistung – einen darauf abzielenden Vertrag mit dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks schließen, auf dieser Grundlage eine entsprechende Dienstbarkeit in das Grundbuch eintragen lassen und auch vertraglich regeln, dass zu einem geeigneten Zeitpunkt die Eintragung einer Baulast beantragt wird. Damit ist seinen privaten Interessen im Regelfall (jedenfalls vorbehaltlich einer Zwangsversteigerung des dienenden Grundstücks) hinreichend Rechnung getragen. Auch für den Fortbestand einer bereits eingetragenen Baulast reicht deshalb ein bloßes – privates – „Vorratsinteresse“ nicht aus. Eigentumsrechtliche Fragen stellen sich insoweit nicht, weil es der Baulastbegünstigte selbst in der Hand hat, für eine ausreichende zivilrechtliche Absicherung der Inanspruchnahme des anderen Grundstücks zu sorgen. Die Instrumente des öffentlichrechtlichen Baurechts dienen nicht dazu, insoweit eingetretene Versäumnisse auszugleichen.
Auch ein privates Interesse im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO kann deshalb einem Verzicht nur dann erfolgreich entgegen gehalten werden, wenn zumindest eine fortdauernde „baurechtliche Relevanz“ der Baulast dargelegt wird [8]. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dies nicht dazu, dass für die Annahme eines privaten Interesses unabhängig vom öffentlichen Interesse kein Raum mehr bliebe. Die Beklagte hat hervorgehoben, schon im Gesetzgebungsverfahren sei als Beispiel angeführt worden, dass nach dem Abbrennen eines Gebäudes ein öffentliches Interesse an einer hierfür erteilten Abstandsbaulast nicht mehr bestehe, wohl aber – im Hinblick auf den Wiederaufbau – ein schutzwürdiges privates Interesse. Das hat die Klägerin nicht entkräftet.
Im entschiedenen Fall war für das Niedersächsiche Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eine fortdauernde baurechtliche Relevanz der Baulast nicht ersichtlich: Der maßgebliche Bebauungsplan erlaubt keine Bebauung in dem hier fraglichen Grenzbereich, sondern setzt dort Grünfläche (Regenrückhaltebecken) fest; nach den in der mündlichen Verhandlung eingesehenen Luftbildern besteht dieses Regenrückhaltebecken auch faktisch zumindest in Gestalt einer Senke. Vor der Gewerbefläche schließt sich außerdem ein Streifen nicht überbaubarer Fläche an. Eine Änderung des Bebauungsplans zeichnet sich nicht ab. Dass die Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen, ist nicht konkret dargetan. Der Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1991 [9] führt insoweit nicht weiter. Darin wird zwar eingeräumt, dass eine landesrechtliche Vereinigungsbaulast in tatsächlicher Hinsicht einen Ausgleich etwa für eine übermäßige bauliche Nutzung des Baugrundstücks herstellen kann. Konkret ging es in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall um die Einhaltung der Mindestgrundstücksfläche, der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl bei der unregelmäßigen Aufteilung eines Grundstücks, das die zulässigen Werte bereits ausschöpfte. Hier könnte das Interesse der Klägerin dahin gehen, die Festsetzungen für die Straßenverkehrsfläche auf ihrem Grundstück und das Regenrückhaltebecken zu „neutralisieren“. Das ist aber im Wege des Ausgleichs, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in jenem Fall für gangbar gehalten hat, nicht möglich. Erst recht kann eine Befreiung von diesen Festsetzungen nicht damit begründet werden, dass dafür die Baulast als „Verhandlungsmasse“ eingetauscht werden soll.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urtiel vom 16. Januar 2012 – 1 LB 219/09
- vgl. GrosseSuchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl.2006, § 92 Rdnrn. 61, 74[↩]
- Nds. OVG, Urteil vom02.07.1991 – 6 L 132/89, BRS 52 Nr. 164[↩]
- vgl. GrosseSuchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnr.19[↩]
- nach OVG NRW, Beschluss vom 10.10.1997 – 7 B 1974/97, BRS 59 Nr. 228 im Regelfall; nach VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.10.2000 – 8 S 1445/00, BauR 2001, 759 regelmäßig nicht; nach OVG Hamburg, Urteil vom 24.04.2002 – 2 Bf 701/98, BRS 66 Nr. 140 Sache der Auslegung[↩]
- vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 02.07.1991 – 6 L 132/89, BRS 52 Nr. 164[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 04.10.1994 – 4 B 175.94, BauR 1995, 224[↩]
- GrosseSuchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnr. 18[↩]
- vgl. zu diesem Begriff GrosseSuchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnrn. 13 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 14.02.1991 – 4 C 51.87, BVerwGE 88, 24 = DVBl.1991, 812[↩]