Wegfall eines Gebietserhaltungsanspruchs – und die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren

Ein Grundstückseigentümer ist im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn der Plan seinen Gebietserhaltungsanspruch entfallen lässt.

Wegfall eines Gebietserhaltungsanspruchs – und die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren

Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren nur eine Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen1. Ein Antragsteller kann sich im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden2. Nicht abwägungsbeachtlich sind allerdings geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren3. Dass die Nutzung der Grundstücke durch die Antragstellerin zu 1 kraft eines Pachtvertrages erfolgt, führt nicht dazu, dass ihre Interessen bei der Abwägung unberücksichtigt bleiben müssten4.

Eine Grundstückspächterin kann eine Antragsbefugnis nicht aus einem Entfallen eines Gebietserhaltungsanspruchs herleiten. Ein solcher Anspruch steht dem Eigentümer, nicht aber einem obligatorisch Berechtigten zu5.

Das Vorliegen einer Rechtsverletzung und damit der Antragsbefugnis kann zwar nicht auf der Grundlage eines Vergleichs der bisherigen mit der durch den Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage verneint werden6. Dieser Rechtssatz bezieht sich indes auf die Antragsbefugnis eines Eigentümers eines Grundstücks, das im Plangebiet liegt und für das der Bebauungsplan Festsetzungen trifft. Er gilt nicht für Antragsteller, die Grundstücke außerhalb als Pächter nutzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts7 gehören die Interessen der Nachbarn an der Beibehaltung der geltenden Festsetzungen grundsätzlich zum notwendigen Abwägungsmaterial, wenn die Änderung eines Bebauungsplans dazu führt, dass Nachbargrundstücke in anderer Weise als bisher genutzt werden dürfen. Auch von diesem Rechtssatz ist das Oberverwaltungsgericht nicht abgewichen. Denn er gilt nicht ausnahmslos, insbesondere nicht bei geringfügigen Änderungen sowie bei solchen Änderungen die sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirken können8. Einen solchen Fall hat das Oberverwaltungsgericht angenommen.

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Dagegen besteht eine Antragsbefugnis der Eigentümer von Grundstücken innerhalb des vom Bebauungsplan festgesetzten Gebiets, wenn die teilweise Aufhebung des ursprünglichen Bebauungsplans den bisherigen Gebietserhaltungsanspruch lässt.

Denn die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Dieser als Gebietserhaltungsanspruch bezeichnete bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Durch Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können9.

Das Interesse an einer einheitlichen Art der baulichen Nutzung im Sinne eines einem bestimmten Zweck dienenden Baugebiets ist ein städtebaulicher Belang. Dieses Interesse wird unabhängig von konkreten Nutzungskonflikten als Gebietserhaltungsanspruch geschützt und kann vom Eigentümer als subjektives Recht durchgesetzt werden. Beseitigt ein Bebauungsplan ein solches Recht im Wege der Planung, ist der betroffene Eigentümer antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO10. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt ihm zwar keinen Anspruch auf Fortbestand der bestehenden planungsrechtlichen Situation11. Er kann aber im Normenkontrollverfahren prüfen lassen, ob die Verkürzung seiner Eigentumsposition durch eine geänderte Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in rechtmäßiger Weise erfolgt und insbesondere das Abwägungsgebot gewahrt ist.

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Dem steht nicht entgegen, dass der Gebietserhaltungsanspruch im Gebiet eines Bebauungsplans aus den planerischen Festsetzungen folgt, diese Festsetzungen die rechtliche Schicksalsgemeinschaft also erst zum Entstehen bringen12. Zwar ist das Interesse, mit einem bisher nicht bebaubaren Grundstück in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans – und damit in eine bestimmte Schicksalsgemeinschaft – einbezogen zu werden, für sich genommen kein abwägungserheblicher Belang13. Anders liegt es aber, wenn eine Planung einen bis dahin bestehenden Anspruch auf Gebietserhaltung beseitigt, der jeweilige Eigentümer also keine Erweiterung seines Rechtskreises anstrebt, sondern sich gegen dessen Verkürzung wendet.

Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Das Erfordernis eines solchen Bedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann14. So liegt es im hier vom Bundesvewaltungsgericht entschiedenen Fall: Die Teilaufhebung des Bebauungsplans lässt die planerischen Festsetzungen auf den Grundstücken der Antragstellerinnen unberührt. Mit einer Erweiterung ihres Betriebs auf das Gebiet des S.waldes können sie nicht rechnen. Ob sie Beschränkungen ihres Betriebes zu befürchten haben, bestimmt sich nach natur- und artenschutzrechtlichen Vorschriften, die unabhängig von planerischen Festsetzungen Beachtung verlangen. Auch das Interesse am Erhalt des Gebietserhaltungsanspruchs begründet nicht das Rechtsschutzbedürfnis: Es fehlt jeder Anhaltspunkt, dass es bei Fortbestand der planerischen Festsetzungen zu einer baulichen Nutzung kommen könnte, welcher die antragstellenden Grundstückseigentümerinnen ihren Gebietserhaltungsanspruch entgegenhalten könnten. In dieser Situation erweist sich der Gebietserhaltungsanspruch als leere Rechtshülse, für dessen Verteidigung ein Rechtsschutzbedürfnis nicht besteht.

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Urteilsberichtigung

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. September 2022 – 4 BN 6.22

  1. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 24.09.1998 – 4 CN 2.98, BVerwGE 107, 215 <220 ff.> und vom 29.10.2020 – 4 CN 9.19, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 18[]
  2. BVerwG, Urteil vom 29.06.2015 – 4 CN 5.14, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr.200 Rn. 14[]
  3. BVerwG, Urteil vom 30.04.2004 – 4 CN 1.03, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 138 und Beschluss vom 15.06.2020 – 4 BN 51.19, NVwZ 2020, 1533 Rn. 6[]
  4. BVerwG, Urteil vom 05.11.1999 – 4 CN 3.99, BVerwGE 110, 36 <39>[]
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.1982 – 4 C 51.79, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 50 S. 23 und Beschluss vom 20.04.1998 – 4 B 22.98, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 150 S. 67[]
  6. BVerwG, Beschluss vom 27.09.2021 – 4 BN 17.21, NVwZ 2022, 73 Rn. 6[]
  7. BVerwG, a.a.O, Rn. 9[]
  8. BVerwG a. a. O. Rn. 9 a. E. m. w. N.[]
  9. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16.09.1993 – 4 C 28.91, BVerwGE 94, 151 <155 ff.> und vom 29.03.2022 – 4 C 6.20, NVwZ 2022, 1383 Rn. 8 m. w. N.; zur Bedeutung im Zivilrecht vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2022 – V ZR 76/20, NVwZ 2022, 898 Rn. 7 ff.[]
  10. BayVGH, Urteile vom 26.05.2008 – 1 N 07.3143 u. a. – BauR 2008, 1560 Rn. 26; und vom 09.06.2021 – 15 N 20.14 12 52; Hess. VGH, Urteil vom 14.11.2013 – 4 C 2414/11.N 33; Jung, BauR 2008, 1548 <1549> Panzer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2022, § 47 VwGO Rn. 64[]
  11. vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.10.1996 – 4 B 180.96, Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 39 S. 8[]
  12. so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.05.2015 – 5 S 736/13 56 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.02.2018 – 8 C 11325/17 – BauR 2019, 93 <95>[]
  13. BVerwG, Urteil vom 30.04.2004 – 4 CN 1.03, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 139 f. und Beschluss vom 10.08.2016 – 4 BN 20.16 – BRS 84 Nr. 188 S. 1154[]
  14. BVerwG, Urteile vom 25.06.2020 – 4 CN 5.18, BVerwGE 169, 29 Rn.19 m. w. N.; und vom 12.07.2022 – 4 CN 3.21 18[]
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