Die Nachbarverträglichkeit einer Kinderkrippe (Kindertagesstätte für Kleinkinder zwischen 1 und 3 oder 4 Jahre) beurteilt sich in erster Linie nicht nach der Einhaltung von Orientierungswerten. Maßgeblich sind vielmehr insbesondere die Grundstückssituation sowie die in der BauNVO getroffene Wertung, wonach Kindertagesstätten als Anlagen für soziale Zwecke je nach Größe auch in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sein können. Der die TA Lärm kennzeichnende Trennungsgedanke gilt hier nicht.

Die Begründetheit eines gegen die Baugenehmigung für die Kinderkrippe eingelegten Nachbarrechtsbehelfs beurteilt sich im Wesentlichen nicht danach beurteilt, ob die vom angegriffenen Vorhaben ausgehenden Immissionen auf dem Grundstück der Antragstellerin die in Nr. 6.1 Satz 1 lit. c) der TA-Lärm 1998 angegebenen Immissionsrichtwerte für Kern‑, Dorf- und Mischgebiete einhalten werden. Die Nachbarverträglichkeit von Kindertagesstätten – die Kinderkrippe für Kleinkinder im Alter von 1 bis 3 bzw. 4 Jahren stellt einen Unterfall der Kindertagesstätte dar – beurteilt sich vielmehr nach einer wertenden Betrachtung der Situation, in die die in ihrer Nutzung konkurrierenden Grundstücke gestellt sind; Orientierungswerte spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle 1:
Die Orientierungswerte der TA-Lärm können schon deshalb nicht angewandt werden, weil ihre Nr. 1 Satz 2 lit. h) „Anlagen für soziale Zwecke“ von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Dieser Ausschluss wurde ausdrücklich mit dem Ziel und dem Hintergrund aufgenommen, dass Kindertagesstätten als Anlagen für soziale Zwecke im Sinne der Baunutzungsverordnung anzusehen sind. Wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung, gerade nicht getrennt von Wohngebieten errichtet und betrieben zu werden, sondern – wie etwa auch Spielplätze – in solche Wohngebiete eingebettet, sollten sie nicht dem Grundgedanken der TA-Lärm unterfallen, störende von lärmempfindlicher Nutzung fernzuhalten, d. h. beide räumlich zu trennen. Aus diesem Grunde scheidet zugleich eine immissionsschutzrechtliche Betrachtung nach Nr. 2 der so genannten Freizeitlärm-Richtlinie 2 aus. Denn der letzte Satz ihrer Nr. 1 nimmt Kinderspielplätze – mit Ausnahme so genannter Abenteuerspielplätze – vom Begriff der in den vorangegangenen Sätzen dieser Bestimmung aufgeführten Freizeitanlagen aus.
Selbst wenn man Kindertagesstätten als nicht genehmigungspflichtige Anlagen im Sinne des § 22 Abs. 1 BImSchG ansähe, wäre zur Beurteilung der Nachbarverträglichkeit einer solchen Anlage eine auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen abstellende Prüfung durchzuführen, ob die damit verbundenen Immissionen die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Das ist danach zu beurteilen, ob sich diese (namentlich Lärm-) Einwirkungen nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen dessen halten, was bei Würdigung der konkreten Verhältnisse dem Nachbarn noch zuzumuten ist. Maßgeblich sind danach insbesondere der durch den An- und Abfahrtsverkehr verursachte Lärm, derjenige, den die bestimmungsgemäße Nutzung einer Kindertagesstätte verursacht, die Tageszeiten, zu denen das geschieht, sowie die Frage, ob diese Nutzung als sozial-adäquat und mit der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des in Rede stehenden Gebiets zu vereinbaren anzusehen ist 3. In diesem Zusammenhang kommt den Wertungen, die der Gesetzgeber in der Baunutzungsverordnung getroffen hat, eine besondere Bedeutung zu 4. Insoweit ist zu beachten, dass Anlagen für soziale Zwecke in einer ganzen Reihe von Baugebieten zulässig sind. So hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg in den beiden zitierten Beschlüssen es sogar für zulässig erachtet, je nach Gruppenstärke Kindertagesstätten (hier: bis maximal 22 Kinder) als Ausnahme sogar in reinen Wohngebieten zuzulassen (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990). Nun ist zwar zu berücksichtigen, dass bei Nutzungsarten, die mehreren der in den §§ 2 bis 9 BauNVO geregelten Baugebieten zugewiesen sind, ihre „Gebietsverträglichkeit“ zu prüfen ist 5. Auch unter diesem Gesichtspunkt sprechen die tatsächlichen Umstände gegen die antragstellende Nachbarin. Denn erörtert das Oberverwaltungsgericht Hamburg 6 – allerdings mit Blick auf großstädtische Verhältnisse -, ob Kindertagesstätten mit einer Größe von maximal 22 Teilnehmern sogar in einem einem reinen Wohngebiet entsprechenden Quartier zulässig sein können, wird man für den nicht ganz so großstädtischen Bereich von Wunstorf eine Kinderkrippe mit 2 x 15, das heißt insgesamt 30 zu betreuenden Kleinkindern in einem Bereich, der – wie selbst die Antragstellerin meint – angesichts seiner Lage als Misch- oder sogar Kerngebiet anzusehen ist, beim hier streitigen Vorhaben nicht von einer gebietsuntypischen Anlage für soziale Zwecke sprechen können. Gerade wegen der Einbettung in einen Bereich, der auch zum Wohnen genutzt wird, ist die Annahme der Antragsgegnerin sehr realistisch, An- und Abfahrtsverkehr werde nicht über das Maß hinaus angezogen und verursacht werden, das in einem Misch-/Kerngebiet als gebietstypisch anzusehen ist.
Den Orientierungswerten der TA-Lärm kommt hier keine mit ausschlaggebende Bedeutung zu, weil diese – wie oben ausgeführt – sich wegen des Zwecks, den Anlagen sozialer Zwecke erfüllen, gerade selbst keine Bedeutung beimisst. Für Kindertagesstätten heißt dies, dass die mit ihnen mehr oder minder notwendig verbundenen Auswirkungen wie An- und Abfahrtsverkehr sowie Lautäußerungen der Kleinkinder von den Bewohnern eines solchen Gebiets „nun einmal“ nach der Wertung des Baunutzungsverordnungs-Gesetzgebers hinzunehmen sind. Insofern gilt nichts anderes als beispielsweise für den in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO geregelten Fall, dass in einem Gebiet, welches vorwiegend dem Wohnen dient, seiner Versorgung dienende Läden sowie Schank- und Speisewirtschaften zugelassen werden. Das führt zwar zu Störungen, ist jedoch im Interesse naher Versorgung hinzunehmen. Dasselbe gilt im Hinblick auf gebietstypische Anlagen für soziale Zwecke.
Die mit ihnen verbundenen Einwirkungen sind daher ungeachtet eventuell bestehender Lärm-Orientierungswerte hinzunehmen. Insoweit gilt nichts anderes, als es beispielsweise für die Pflicht gilt, Einstellplätze innerhalb eines Wohngebiets hinzunehmen. Deren Nutzung mag im Einzelfall zu einer Überschreitung der Orientierungswerte führen. Das ist jedoch wegen der vom Baunutzungsverordnungs-Gesetzgeber gewollten Nebeneinander von Wohnen und Garagen im Prinzip hinzunehmen 7.
Auf dieser Linie liegt zudem die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Nachbarverträglichkeit von Spielplätzen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 8 sind Kinderspielplätze nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts 9 auf die unmittelbare Nähe zur Wohnbebauung angewiesen und stellen sogar in einem reinen Wohngebiet deren nicht nur sinnvolle, sondern auch städtebaurechtlich zulässige Ergänzung dar. Denn Spielplätze sind für eine altersgemäße Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wünschenswerte, wenn nicht sogar erforderliche Einrichtungen, um diesen einen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen, bei dem der natürliche Bewegungsdrang ausgelebt und zugleich Sozialverhalten eingeübt werden kann. Nur im Einzelfall kann eine solche ebenfalls sehr lärmträchtige Einrichtung daher unzulässig sein.
Diese Rechtsprechung ist auf Kindertagesstätten zu übertragen. Diese Einrichtungen dienen insbesondere dazu, berufstätigen Eltern, erst recht Alleinerziehenden die Unterbringung von Kleinkindern mit dem Ziel zu ermöglichen, einem Beruf nachzugehen. Dies soll möglichst wohnortnah geschehen. Der die TA-Lärm mitbeherrschende Trennungsgrundsatz (vgl. § 50 BImSchG) trägt die Einordnung als Anlage für soziale Zwecke mithin gerade nicht.
Allenfalls in Ausnahmefällen steht daher dem Eigentümer eines in einem Misch-/Kerngebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Kindertagesstätte dieser doch vergleichsweise geringen Größe ein Abwehranspruch zu. Solche Gesichtspunkte streiten hier nicht zum Vorteil der Antragstellerin. Der mit dem Vorhaben verbundene An- und Abfahrtsverkehr ist vergleichsweise gering.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 3. Januar 2011 – 1 ME 146/10
- vgl. zum Nachstehenden: Rojahn, ZfBR 2010, 752; OVG Hamburg, Beschlüsse vom 15.10.2008 – 2 BS 171/08, BauR 2009, 203; sowie vom 02.07.2009 – 2 BS 72/09, BauR 2010, 56 – diese betreffen ein und dieselbe Kindertagesstätte mit unterschiedlich starken Gruppen -; OLG Celle, Beschluss vom 27.06.1997 – 4 U 47/94, MDR 1997, 1023 = NdsRpfl. 1997, 311; Dietrich/Kahle, DVBl. 2007, 18; Macht/Scharrer, DÖV 2009, 657; Guckelberger, UPR 2010, 241[↩]
- vom 08.01.2001, NdsMBl. 2001, 201[↩]
- vgl. zu den vorstehenden Gesichtspunkten BVerwG, Urteil vom 30.04.1992 – 7 C 25.91, BVerwGE 90, 163 = DVBl. 1992, 1234 = UPR 1992, 381 = BRS 54 Nr. 188[↩]
- vgl. dazu jüngst auch BVerwG, Urteil vom 16.09.2010 – 4 C 7.10[↩]
- vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 28.02.2008 – 4 B 60.07, ZfBR 2008, 379 = BauR 2008, 954 = UPR 2008, 265 = NVwZ 2008, 768[↩]
- a.a.O.[↩]
- vgl. Nds. OVG, Beschlüsse vom 27.03.2007 – 1 ME 102/07, NdsVBl. 2007, 199; sowie vom 21.10.2009 – 1 ME 192/09, DVBl. 2009, 1530; s. auch Beschluss vom 04.01.2010 – 1 LA 304/07; vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 16.09.2010 – 4 C 7.10[↩]
- vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 12.12.1991 – 4 C 5.88, BRS 52 Nr. 47 = NJW 1992, 1779; Beschluss vom 03.03.1992 – 4 B 70.91, BRS 54 Nr. 43 = NVwZ 1992, 884[↩]
- vgl. insbes. Nds. OVG, Urteil vom 26.03.1996 – 6 L 5539/94, OVGE 46, 371; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 03.02.2004 – 1 LA 31/03[↩]