Zwangsvollstreckung von Rundfunkbeiträgen – und die Erzwingungshaft

Vor dem Bundesverfassungsgericht blieb jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verhängung von Erzwingungshaft im Verfahren der Zwangsvollstreckung von Rundfunkbeiträgen ohne Erfolg:

Zwangsvollstreckung von Rundfunkbeiträgen – und die Erzwingungshaft

Dem lag ein Fall aus dem westfälischen Borken zugrunde: Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) setzte gegenüber dem Beschwerdeführer rückständige Rundfunkbeiträge in Höhe von 465,50 € fest, welche die Stadt Borken (Vollstreckungsbehörde) im Auftrag des WDR im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt. Im Vollstreckungsverfahren beauftragte die Vollstreckungsbehörde die Gerichtsvollzieherin mit der Abnahme einer Vermögensauskunft (§ 5a Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 802c ZPO), deren Abgabe der Beschwerdeführer damals wie heute verweigert. Auf Antrag des WDR erließ das Amtsgericht Borken -Vollstreckungsgericht- zur Erzwingung der Vermögensauskunft in der Folge einen Haftbefehl (§ 802g ZPO)1, der nach vorausgehender Ankündigung derzeit vollstreckt wird. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 25.02.2021 in der Justizvollzugsanstalt in Erzwingungshaft. 

Einen noch vor der Verhaftung gestellten Antrag, die Vollziehung des Haftbefehls einstweilen einzustellen, wies das Amtsgericht Borken zurück2. Es half auch einem als sofortige Beschwerde ausgelegten Rechtsbehelf des Beschwerdeführers nicht ab3. Das Landgericht Münster wies schließlich die sofortige Beschwerde zurück4.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer diese Gerichtsentscheidungen an, durch die er sich unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt sieht. Die Erzwingungshaft sei unverhältnismäßig, weil sie allein der Feststellung seiner Vermögensverhältnisse diene und dabei nicht das mildeste Mittel zu ihrer Kenntniserlangung sei. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an, weil keine zwingenden Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorlägen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich sei; die Verfassungsbeschwerde sei mangels einer §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG entsprechenden Begründung und mangels Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität unzulässig und habe damit keine Aussicht auf Erfolg5:

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Der Beschwerdeführer missachtet mit seiner Verfassungsbeschwerde insbesondere den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt über die Rechtswegerschöpfung hinaus, dass ein Beschwerdeführer zunächst alle ihm zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um etwaige Grundrechtsverstöße im sachnächsten Verfahren abzustellen6.

Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten während der Erzwingungshaft gehört, dass das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners in Härtefällen Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO gewähren kann7. Die Vorschrift des § 765a ZPO bietet die Möglichkeit, Grundrechte im Wege der Abwägung in die Entscheidung über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzubeziehen8. Das gilt erst recht, wenn, wie hier, öffentlich-rechtliche Forderungen im Wege der Verwaltungsvollstreckung vollstreckt werden und das maßgebliche Landesverwaltungsvollstreckungsrecht auf die Zivilprozessordnung verweist.

Die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen in Gestalt rückständiger Rundfunkbeiträge liegt sowohl im unmittelbaren Interesse der Rundfunkanstalten als auch im Interesse der Gemeinschaft aller Beitragszahler, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren. Ein Beitragspflichtiger, der sich dem entzieht und im Vollstreckungsverfahren trotz Verpflichtung die Abgabe einer Vermögensauskunft (§ 802c ZPO) verweigert, muss mit Erzwingungshaft nach § 802g ZPO rechnen. Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet auch nicht, bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung die Dauer der Erzwingungshaft im Einzelfall und von vornherein, das heißt im Moment des Haftbefehlerlasses, unter Berücksichtigung der Höhe der Forderung kürzer zu bemessen9, zumal der Beschwerdeführer die Freiheitsentziehung durch Abgabe der Vermögensauskunft jederzeit abwenden kann (§ 802i ZPO).

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Unabhängig davon kann jedoch unter Berücksichtigung der Höhe der öffentlich-rechtlichen Geldforderung eine Erzwingungshaft auch schon vor Erreichen der gesetzlichen Höchstfrist des § 802j Abs. 1 Satz 1 ZPO von sechs Monaten durch Zeitablauf unverhältnismäßig werden. Darüber zu befinden, ist auf Antrag des Beschwerdeführers im sachnächsten Verfahren gemäß § 765a ZPO zunächst Aufgabe des Vollstreckungsgerichts.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. April 2021 – 1 BvR 679/21

  1. AG Borken, Haftbefehl vom 03.07.2020 – 7 M 261/20[]
  2. AG Borken, Beschluss vom 24.02.2021 – 7 M 85/21[]
  3. AG Borken, Beschluss vom 03.03.2021 – 7 M 85/21[]
  4. LG Münster, Beschluss vom 12.03.2021 – 05 T 123/21[]
  5. vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>[]
  6. vgl. nur BVerfGE 134, 242 <285 Rn. 150>[]
  7. vgl. BVerfGE 48, 396 <401> 61, 126 <137 f.> BVerfG, Beschluss vom 03.11.2017 – 2 BvR 2135/09, Rn. 15[]
  8. vgl. Heßler, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl.2020, § 765a Rn. 2 f.[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.11.2017 – 2 BvR 2135/09, Rn. 12[]