70 Jahre – Altersgrenze für Notare

Die in § 48a BNotO bestimmte Altersgrenze von 70 Jahren, bei deren Erreichen das Amt des Notars erlischt (§ 47 Nr. 1 BNotO), verstößt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesarbeitsgerichts nicht gegen das aus der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG1 folgende Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters (Fortführung von BGH, Beschluss vom 22.03.2010 – NotZ 16/09, BGHZ 185, 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 05.01.2011 – 1 BvR 2870/10, NJW 2011, 1131)).

70 Jahre – Altersgrenze für Notare

Darauf, dass die Richtlinie auf das selbständige Notariat nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht anwendbar ist2, kommt es im Ergebnis nicht an. Selbst bei unterstellter Anwendbarkeit der Richtlinie verstößt die Altersgrenze nicht gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters3, weil die für deutsche Notare geltende Altersgrenze nach den Maßstäben der Richtlinie beschäftigungspolitisch dadurch gerechtfertigt ist, dass anderenfalls für die Besetzung der nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehenden Stellen (§ 4 Satz 1 BNotO) nicht, jedenfalls nicht mit der erforderlichen Vorhersehbarkeit und Planbarkeit gewährleistet wäre, dass lebensältere Notare die ihnen zugewiesenen Stellen für lebensjüngere freimachen und diesen eine Perspektive eröffnet wird, den angestrebten Beruf des Notars binnen angemessener Zeit ausüben zu können4. Diese Würdigung wird auch nicht durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts5, des Arbeitsgerichts Hamburg6 und des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main7 in Frage gestellt.

In der eine tarifvertraglich vereinbarte Altersgrenze von 60 Jahren für Berufspiloten betreffenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht5 ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil „Prigge“ vom 13.09.20118 in jener Sache einen Verstoß gegen die Richtlinie nur deshalb angenommen, weil diese Altersgrenze, ab der Flugzeugführer als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten sollten, im Widerspruch zu nationalen und internationalen Regelungen stand, in denen dieses Alter auf 65 Jahre festgelegt war9. Eine vergleichbare Konstellation ist hier nicht gegeben.

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Die zitierte Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg hatte ebenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zum Gegenstand. In seinem daraufhin ergangenen „Rosenbladt“Urteil vom 12.10.201010 hat der Unionsgerichtshof – in inhaltlicher Entsprechung mit der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs – ausgeführt, dass Klauseln über die automatische Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die eine Altersrente beantragen können, als Teil einer nationalen Politik gerechtfertigt sein können, mit der über eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen der Zugang zur Beschäftigung gefördert werden soll. Die damit verfolgten Ziele seien grundsätzlich als eine im Rahmen des nationalen Rechts objektive und angemessene Rechtfertigung für eine von den Mitgliedstaaten angeordnete Ungleichbehandlung wegen des Alters anzusehen11. Weiter hat er den weiten Ermessensspielraum derjenigen, die auf nationaler Ebene die Rechtslage gestalten, nicht nur bei der Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten sozial- und beschäftigungspolitischen Ziels, sondern auch bei der Festlegung der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen betont12. Dementsprechend hat der Unionsgerichtshof die in Rede stehende tarifvertragliche Regelung, aufgrund derer Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das Rentenalter von 65 Jahren erreicht haben, ohne weiteres enden, für mit der Richtlinie vereinbar gehalten.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main13, das die zwingende beamtenrechtliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand für mit der Richtlinie unvereinbar gehalten hat, ist vereinzelt geblieben und vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof aufgehoben worden14)).

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Überdies hat der Gerichtshof der Europäischen Union seinem Urteil vom 06.11.201215 zur Herabsetzung der Altersgrenze für ungarische Richter, Staatsanwälte und Notare von 70 Jahren auf 62 Jahre erneut hervorgehoben, dass die Gewährleistung einer ausgewogenen Altersstruktur, um die Einstellung und Beförderung jüngerer Bediensteter zu begünstigen, ein legitimes Ziel einer Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik ist, das eine Altersgrenze rechtfertigt16. Dies entspricht ebenfalls den Ausführungen in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22.03.201017. Der Unionsgerichtshof hat den Verstoß der betreffenden ungarischen Regelung gegen die Richtlinie dementsprechend damit begründet, dass das legitime Ziel nicht mit geeigneten und erforderlichen Mitteln erreicht werden sollte. Der Gerichtshof beanstandete, dass die in Rede stehende Regelung eine plötzliche und erhebliche Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst vornahm, ohne Übergangsmaßnahmen vorzusehen, die geeignet gewesen wären, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen zu schützen, die eine Einbuße von mindestens 30 % ihres Gehalts hätten hinnehmen müssen18. Von einer derartigen Fallgestaltung ist der Kläger aufgrund der von ihm beanstandeten, bereits seit dem 3.02.1991 (Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte vom 29.01.199119) in Kraft befindlichen Regelungen nicht betroffen.

Auch das den Staatsangehörigkeitsvorbehalt des § 5 BNotO a.F. betreffende Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.05.201120 stützt seine Rechtsposition nicht. Die Altersgrenze des § 48a BNotO findet ihre Rechtfertigung in der Sicherung einer geordneten Altersstruktur und der Notwendigkeit, im Interesse der beruflichen Perspektive lebensjüngerer Anwärter für eine ausreichende Fluktuation zu sorgen21. Diese Erfordernisse wiederum sind zwangsläufige Folge dessen, dass Notarstellen aufgrund von § 4 Satz 1 BNotO nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen22. Nach dem Urteil des Unionsgerichtshofs vom 24.05.201123 gehört die Begrenzung der Zahl und der örtlichen Zuständigkeit der Notare zu den Beschränkungen von Art. 43 EG (= Art. 49 AEUV), die durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können, weil mit den notariellen Tätigkeiten in diesem Interesse liegende Ziele verfolgt werden, die insbesondere dazu dienen, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten. Auf die vom Kläger erörterte Frage, ob das Urteil des Gerichtshofs Auswirkungen auf die Einordnung der notariellen Tätigkeit als Ausübung eines öffentlichen Amts (§ 1 BNotO) hat, weil er gemeint hat, die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt) gelte nicht für die notarielle Urkundstätigkeit24, kommt es demnach nicht an.

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Unbehelflich für die Rechtsposition des Notars ist die für sich genommen sicherlich zutreffende Erwägung, nach der Vollendung des 70. Lebensjahrs sei nicht generell davon auszugehen, dass die körperlichen und geistigen Kräfte von Notaren so sehr nachgelassen hätten, dass das Ausscheiden aus dem Amt zwingend erscheine. Nicht gesundheitliche Erwägungen, sondern Gründe der geordneten Altersstruktur und der Berufsaussichten für jüngere Anwärter sind für die Altersgrenze des § 48a BNotO maßgeblich.

Soweit in diesem Zusammenhang geltend gemacht wird, es habe sich nach Einführung der notariellen Fachprüfung gemäß §§ 7a ff BNotO mittlerweile ein Mangel an Nachwuchsinteressenten für das Anwaltsnotariat eingestellt, rechtfertigt dies nicht, § 48a BNotO nicht mehr anzuwenden, selbst wenn dieser Befund zutreffen und sich verstetigen sollte. Ob, wann und in welcher Weise der Gesetzgeber die Rechtslage geänderten tatsächlichen Verhältnissen anpasst, liegt in seinem, von den Gerichten schon aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierenden Gestaltungsspielraum. Dass sich die Bewerberverhältnisse derart massiv gewandelt hätten, dass mit der Beibehaltung der Altersgrenze des § 48a BNotO der dem Gesetzgeber zustehende weite Spielraum überschritten wäre, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.

Die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Beschwerde eines anderen ehemaligen Notars, dessen Amt aufgrund des Erreichens der Altersgrenze des § 48a BNotO gemäß § 47 Nr. 1 BNotO erlosch, war und ist ebenso wenig geboten wie ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV.

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Die Voraussetzungen einer Aussetzung der Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 94 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 BNotO sind nicht erfüllt. Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist nicht präjudiziell im Sinne des § 94 VwGO, der wörtlich und inhaltlich mit § 148 ZPO übereinstimmt. Die Vorgreiflichkeit nach dieser Vorschrift besteht nicht schon dann, wenn die gleiche Rechtsfrage in beiden Verfahren entscheidungserheblich ist. § 148 ZPO stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren ab, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nicht und wäre im Übrigen auch ein konturenloses Kriterium, das das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigen würde25.

Die Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV sind gleichfalls nicht erfüllt. Der Bundesgerichtshof nimmt insoweit zunächst auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 22.03.201026 Bezug. Soweit er in Nummer II 1 und 2 des vorliegenden Beschlusses ergänzende Erwägungen zum Unionsrecht angestellt und sich hierbei insbesondere mit weiteren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union auseinandergesetzt hat, liegen die Würdigungen ebenfalls derart auf der Hand, dass eine Vorlage gemäß Art. 267 AEUV nach den Maßstäben der sogenannten acte clairDoktrin27 ausscheidet. Vielmehr stützen diese Entscheidungen die Auffassung des Bundesgerichtshofs nach dessen Überzeugung offenkundig.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. November 2013 – NotZ(Brfg) 11/13

  1. Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf[]
  2. BGH, Beschluss vom 26.11.2007 – NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rn. 27; offengelassen: BVerfG aaO Rn. 11[]
  3. BGH, Beschluss vom 22.03.2010 aaO Rn. 22 ff; BVerfG aaO Rn. 11 ff[]
  4. BGH aaO Rn. 29[]
  5. BAGE 131, 113[][]
  6. ArbG Hamburg, BeckRS 2009, 50505[]
  7. VG Frankfurt/Main, BeckRS 2009, 37463[]
  8. EuGH, Urteil vom 13.09.2011 – C-447/09 [Prigge u.a.], NJW 2011, 3209[]
  9. EuGH, aaO Rn. 75[]
  10. EuGH, Urteil vom 12.10.2010 – C-45/09 [Gisela Rosenbladt u.a.], NJW 2010, 3767[]
  11. EuGH, aaO Rn. 62[]
  12. EuGH, aaO Rn. 69; siehe auch EuGH, Urteil vom 06.11.2012 – C-152/11 [Odar], NJW 2013, 587 Rn. 47; siehe hierzu BGH, Beschluss vom 22.03.2010, aaO, Rn. 27 f[]
  13. VG Frankfurt/Main, aaO[]
  14. Hess. VGH, NVwZ 2010, 140[]
  15. EuGH, Urteil vom 06.11.2012 – C-286/12[]
  16. EuGH, aaO Rn. 60, 62 f m.w.N.[]
  17. BGH, aaO Rn. 29[]
  18. EuGH, aaO Rn. 68, 70[]
  19. BGBl. I S. 150[]
  20. EuGH, Urteil vom 24.05.2011 – C-54/08, NJW 2011, 2941[]
  21. BGH, Beschluss vom 22.03.2010 aaO[]
  22. vgl. BGH, aaO[]
  23. EuGH, Urteil vom 24.05.2011, aaO Rn. 98[]
  24. siehe hierzu jedoch BVerfG NJW 2012, 2639 Rn. 46 ff; BGH, Urteil vom 04.03.2013 – NotZ(Brfg) 9/12, NJW 2013, 1605, Rn.19[]
  25. BGH, Beschluss vom 13.09.2012 – III ZB 3/12, WM 2012, 2024 Rn. 13 mwN; zu § 94 VwGO auch Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 94 Rn. 4a[]
  26. BGH, Beschluss vom 22.03.2010 – NotZ 16/09, BGHZ 185, 31 Rn. 32 ff; siehe hierzu auch BVerfG NJW 2011, 1131 Rn. 14[]
  27. siehe hierzu z.B. BGH, Beschlüsse vom 22.03.2010, aaO, Rn. 33 f.; und vom 26.11.2007 – NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rn. 34[]
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