Das von einem Apotheker vorgenommene Abfüllen von Fertigspritzen aus einem unter Verwendung biotechnologischer Verfahren hergestellten, gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 zentral zugelassenen Präparat unterliegt als „Herstellung“ eines Arzneimittels im Sinne der VO 726/2004 ebenfalls dem Erfordernis zentraler Zulassung. Die im nationalen Recht (hier: § 21 Abs. 2 AMG) vorgesehenen Einschränkungen der Zulassungspflicht für Rezepturarzneimittel sind auf ein solches Arzneimittel wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar.

Die von dem Apotheker hergestellten Fertigspritzen, für die der Beklagte über keine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt, unterliegen der Zulassungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004. Nach dieser Vorschrift darf ein unter den Anhang der VO fallendes Arzneimittel innerhalb der Gemeinschaft nur in den Verkehr gebracht werden, wenn von der Gemeinschaft gemäß dieser Verordnung eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist.
Nach Nr. 1 des Anhang der VO (EG) 726/2004 sind zentral zu genehmigende Arzneimittel u.a. solche, die mit Hilfe der Biotechnologie der rekombinierten DNS bzw. mit Hilfe von Verfahren auf der Basis von Hybridomen und monoklonalen Antikörpern hergestellt werden. Das Ausgangspräparat L., dessen Wirkstoff Ranibizumab das Fragment eines humanisierten monoklonalen Antikörpers ist, das mit Hilfe rekombinanter DNATechnologie in Escherichia coli hergestellt wurde1, unterfällt dem Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004 und verfügt über eine nach Maßgabe dieser Verordnung erteilte zentrale Zulassung.
Die von dem Apotheker aus L.Durchstechflaschen produzierten Fertigspritzen sind Arzneimittel im Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004. Die Definition des Arzneimittels im Sinne der Verordnung richtet sich nach Art. 1 der RL 2001/83/EG, auf welche Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 726/2004 hinsichtlich der dort vorgesehenen Begriffsbestimmungen verweist. Gemäß Art. 1 der RL 2001/83/EG sind Humanarzneimittel u.a. alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden. Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 726/2004 verweist insoweit ausschließlich auf Art. 1 der RL 2001/83/EG, nicht aber etwa auf deren Art. 3 Nr. 1 und 2, die die Richtlinie auf nach der formula magistralis oder der formula officinalis zubereitete Arzneimittel für nicht anwendbar erklären. Da also Arzneimittel im Sinne der VO (EG) 726/2004 auch Rezepturarzneimittel sind, bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei den von dem Apotheker hergestellten Fertigspritzen um Rezeptur- oder Fertigarzneimittel handelt. Die VO (EG) 726/2004 enthält sonstige – etwa der Regelung des § 21 Abs. 2 AMG entsprechende – Einschränkungen der Zulassungspflicht nicht.
Die beanstandeten Fertigspritzen werden durch den Apotheker auch im Sinne der Nr. 1 des Anhangs der VO (EG) 726/2004 „hergestellt“. Zwar kommt bei dem Abfüllen der Fertigspritzen aus den L.Durchstechflaschen keines der im Anhang der VO (EG) 726/2004 genannten Verfahren zur Anwendung. Die mit dem zentralisierten Verfahren beabsichtigte Wahrung der Qualität technologisch hochwertiger Arzneimittel erfordert hier allerdings ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs. Nach dem in den Erwägungsgründen 7 und 13 zum Ausdruck kommenden Schutzzweck der Verordnung ist ein Arzneimittel im Sinne des Anhangs der VO (EG) 726/2004 bereits dann als „mit Hilfe eines der folgenden biotechnologischen Verfahren hergestellt“ zu beurteilen, wenn es einen auf diese Weise hergestellten Wirkstoff enthält. Nach Erwägungsgrund 7 soll das zentralisierte Verfahren das hohe Niveau der wissenschaftlichen Beurteilung dieser technologisch hochwertigen Arzneimittel aufrechterhalten. Nach Erwägungsgrund 13 sollen im Interesse der öffentlichen Gesundheit für die im Rahmen des zentralisierten Verfahrens zu treffenden Entscheidungen über eine Genehmigung die objektiven wissenschaftlichen Kriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels unter Ausschluss wirtschaftlicher oder sonstiger Erwägungen zugrunde gelegt werden. Mit diesen Schutzzweckerwägungen wäre es nicht vereinbar, als Herstellung im Sinne der Verordnung ausschließlich den biotechnologischen Herstellungsschritt selbst zu erachten und nicht weitere, für die Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats ebenfalls bedeutsame Verarbeitungsschritte auszuklammern.
Für ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs unter Einschluss der von dem Apotheker vorgenommenen Veränderung von Abgabeform und menge (Fertigspritze mit 0,05 ml statt Durchstechflasche mit 0,23 ml) spricht auch die Systematik der VO (EG) 726/2004. Denn nach Art. 16 Abs. 2 und 3 sowie Art. 9 VO (EG) 726/2004 tangieren – worauf die Klägerin zu Recht verweist – schon solche Maßnahmen die Zulassung des Arzneimittels, die als „Änderung der Angaben oder Unterlagen“2 bei der Agentur zu beantragen sind. Dies betrifft u.a. vom Zulassungsinhaber selbst vorgenommene Modifikationen von „Einzelheiten etwaiger empfohlener Bedingungen oder Einschränkungen hinsichtlich der sicheren und wirksamen Anwendung des Arzneimittels“ (Art. 9 Abs. 4 lit. c). Bedarf aber die Änderung solchermaßen anwendungsbezogener Aspekte eines Antrags bei der Agentur, so muss erst recht eine Änderung der Abgabeform und menge zulassungsrelevant sein, zumal wenn sie nicht der Zulassungsinhaber selbst, sondern – wie vorliegend – ein Dritter vornimmt.
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sieht sich bei dieser schutzzweckorientierten Betrachtungsweise zudem im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat entschieden3, dass der Schutzzweck der VO 2309/93 – der Vorgängerregelung der vorliegend in Rede stehenden VO 726/2004 –, welche die Vorbeugung vor einer Irreführung der Verbraucher sowie den Schutzes der öffentlichen Gesundheit bezwecke, dem Parallelimport eines zentral zugelassenen Arzneimittels entgegenstehe, wenn die zentrale Zulassung für eine Packung mit fünf Einheiten und eine Packung mit zehn Einheiten erteilt worden sei und eine neu etikettierte Bündelpackung zu je fünf Einheiten vertrieben werden soll4. Liegt aber schon die Bündelung zweier Packungen, die einzeln zentral zugelassen sind, außerhalb der Legalisierungswirkung der zentralen Zulassung, so muss dies erst recht für ein in Abgabeform und menge geändertes Präparat der vorliegenden Art gelten.
Ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs entspricht auch der Lesart der Europäischen Kommission, welche als von der Genehmigungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 sämtliche Arzneimittel erfasst ansieht, bei denen in irgend einem Stadium des Herstellungsprozesses ein monoklonaler Antikörper gebraucht wird5. Auch die EMEA betrachtet als zentral zulassungspflichtig im Sinne der VO „medicinal products manufactured by mean of biotechnology processes“6.
Zu Unrecht leitet der beklagte Apotheker aus Art. 40 Abs. 2 RL 2001/83/EG ab, dass nach dem Sprachgebrauch des europäischen Gesetzgebers „Herstellung“ und „Abfüllen/Umpacken“ unterschiedliche rechtliche Vorgänge und folglich das von ihm gehandhabte Abfüllen kein „Herstellen“ im Sinne der VO (EG) 726/2004 seien. Nach dem im Titel IV „Herstellung und Import“ enthaltenen Art. 40 Abs. 2 RL 2001/83/EG ist eine Herstellungserlaubnis sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung als auch für die Abfüllung, das Abpacken und die Aufmachung erforderlich (S. 1), nicht jedoch dann, wenn die Zubereitung, Abfüllung oder die Änderung der Abpackung oder Aufmachung lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke oder andere hierzu gesetzlich ermächtigte Personen vorgenommen werden (S. 2). Schon die Wortlautauslegung des Satzes 1 der Vorschrift lässt hier erkennen, dass auch das Abfüllen im Grundsatz eine Herstellungserlaubnis erfordert, dass also unter den Rechtsbegriff der Herstellung im Grundsatz auch das Abfüllen fällt. Satz 2 der Vorschrift nimmt dann auf der Grundlage dieses Ausgangsverständnisses – also ohne Änderung des Herstellungsbegriffs – lediglich bestimmte Formen des Abfüllens etc. von dem Erfordernis der Herstellungserlaubnis aus.
Vor diesem Hintergrund führt auch die Bezugnahme auf die englische, spanische und französische Sprachfassung der VO (EG) 726/2004 nebst Anhang zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch die jeweils im Anhang verwendeten Begriffe „developed by means of one of the following biotechnical processes“, „ desarrollados por medio de uno de los siguientes procesos biotecnolócos“ bzw. „Médicaments issus de l’un des procédés biotechnologiques suivants“ sprechen schon nach ihrem Wortsinn nicht dafür, einzelne, dem biotechnologischen Herstellungsschritt folgende Bearbeitungsschritte aus der rechtlichen Betrachtung auszublenden, und sind mit dem am Schutzzweck der Verordnung orientierten, auf den gesamten Produktionsprozess abstellenden Begriffsverständnis zwanglos vereinbar.
Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 726/2004 führt nicht zur Unanwendbarkeit des Genehmigungserfordernisses. Nach dieser Vorschrift berührt die Verordnung nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedsstaaten im Bereich der Festsetzung der Preise für Arzneimittel sowie in Bezug auf die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungssysteme aufgrund von gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen; danach können die Mitgliedsstaaten insbesondere aus den Angaben in der Genehmigung für das Inverkehrbringen diejenigen therapeutischen Indikationen und Packungsgrößen auswählen, die von ihren Sozialversicherungsträgern abgedeckt werden. Dieser Vorschrift ist (lediglich) zu entnehmen, dass sich der Regelungsbereich der VO (EG) 726/2004 nicht auf die in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten liegenden Bereiche des Arzneimittelpreis- und Sozialversicherungsrechts (hier insbesondere: das Recht der Kostenerstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung) beziehen. Zwar ist das von dem Apotheker verfolgte – von gesetzlichen Krankenversicherungsträgern teilweise unterstützte – Wirtschaftsmodell vor dem Hintergrund des Kostendrucks im Gesundheitswesen zu sehen, weil es zu erheblichen Einsparungen bei der Behandlung mit L. führt. Mitgliedsstaatliches Arzneimittelpreis- und Sozialversicherungsrecht sind jedoch zum einen dem Zulassungsrecht nachgelagerte Regelungsbereiche; die – auch vorliegend betroffene – Frage der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels geht preis- oder sozialversicherungsrechtlichen Fragen voran. Zum anderen – und vor allem – ist dem nationalen Gesetzgeber im Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004 der Zugriff auf den Zulassungstatbestand verwehrt; das durch die VO (EG) 726/2004 vorrangig bestimmte gemeinschaftsrechtliche Zulassungsregime kann durch eine mitgliedsstaatliche Modifikation des Zulassungstatbestands – etwa durch eine Freistellung des Abfüllens gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1b lit. c)) AMG – nicht abgeändert werden.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 24. Februar 2011 – 3 U 12/09
- Fachinformation Anlage K 1, Ziff.02.[↩]
- vgl. Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 5 Rz. 138 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.09.2002 – C‑433/00, GRUR 2002, 1054 [Aventis Pharma./.Kohlpharma betreffend das Präparat „Insuman Comb“][↩]
- EuGH, a.a.O., Tz. 25[↩]
- Anlage K 28, Notice to the Applicants – The Rules Governing Medical Products in the European Union: „any medical product for which a monoclonal antibody is used at any stage in the manufacturing process“[↩]
- EMEA-Papier „Scientific Aspects and Working Definitions for the Mandatory Scope of the Centralised Procedure“ EMEA/CHMP/121944/2007 v. 13.12.2007, S. 3, 1. Absatz[↩]